Hallo Micha,
interessant ist, dass du in der Gegenüberstellung der Begriffe, um sie als ungleich zu markieren, bereits eine Wertung siehst. Wenn ich sagen würde: Äpfel sind keine Birnen, stelle ich dann etwas einseitig negativ dar? Diskriminiere ich bereits die Tomaten, weil sie unerwähnt bleiben? Wenn Unvoreingenommenheit gilt oder auch Gleichberechtigung, dann kann das Anderssein weder schlecht noch gut sein. So heißt es auch im Französischen: Vive la difference.
Wegen deiner Wertung gebe ich jetzt kurz meine Interpretation. Emotionen spielen die wichtigere Rolle in unserem Leben. Sie sind die Macht. Ohne sie geht gar nichts. Über Vernunft reden wir gerne, sie spielt aber eine nachrangige Bedeutung in unserem Leben. Diese Ungleichheit ist im Hirn anatomisch angelegt. Selbst im Geschäftsleben, wenn es um Millionenverträge geht, werden viele Vertragsdaten langwierig und genau geprüft, um dann eine Unterschrift zu leisten, weil man ein gutes Gefühl und Vertrauen aufgebaut hat. Eine überzeugende Datenlage in Kombination mit einem schlechten Gefühl verhindert einen Vertragsabschluss. Also, unsere Instinkte sind die Macht.
So und jetzt ein paar Infos von Daniel Kahneman, der für seine Erkenntnisse einen Nobelpreis verliehen bekommen hat. Biologisch und psychologisch sind sind Gefühl und Ratio zwei Dinge, die grundsätzlich anders arbeiten. Sie sind auch im Hirn anatomisch räumlich getrennt. Der Datenaustausch erfolgt über wenige Schnittstellen wie dem sogenannten Mandelkern. Gemeinsam ist nur ihr Ziel auf die vielfältigen Situationen im Alltag zu reagieren und erfolgversprechende Reaktionen zu finden.
Das limbische System mit unseren archaischen Instinkten und Emotionen arbeitet permanent ohne unser Zutun praktisch wie ein Autopilot im Hintergrund. Dieses System hat immer eine Reaktion parat. Es reagiert auch wenn unserem Bewusstsein eine Situation noch unklar ist. Gegebenenfalls reagiert es mit einem Affekt. Wenn z.B. der Urmensch plötzlich sah, dass sich ein Säbelzahntiger näherte, konnte es zu viel Zeit kosten um abzuwägen, ob das Raubtier ihn oder eine Antilope in der Nähe ausgesucht hatte. In solchen Situationen entscheiden unsere Intuitionen über Flucht oder Verstecken. Die Ratio im Neocortex ist dann stumm geschaltet ohne eine Möglichkeit der Intervention. Entscheidet sich unser Autopilot für Flucht, dann setzt er einen gewaltigen Adrenalin-Schub frei, der unsere Herzfrequenz im Bruchteil einer Sekunde hochfährt und wir um unser Leben rennen können. Die Macht unserer Instinkte so gewaltig, dass potenzielle Selbstmörder es nicht schaffen, ihren Vorsatz von einer hohen Brücke in den Tod zu springen, auch umzusetzen. Die durchdachte rationellle Entscheidung wird durch die Höhenangst blockiert. Die Ratio ist definitiv nicht der Chef in uns.
Mit Instinkten fing das Leben an. Unser Herz schlägt selbstständig durch einen vollautomatischen Impulsgeber. wir müssen darüber nicht weiter nachdenken und mit unserer Ratio einen inneren Knopf drücken. Selbst primitives Leben ist ohne Instinkte nicht möglich. Gefühle sind die Grundlage für das Leben. Da kann man überhaupt nichts Negatives finden. Unser Gefühlskostüm ist aber konfiguriert auf die Bedingungen zur Zeit der Steinzeit und früher. Das schafft heutzutage mit veränderten Umweltbedingungen Probleme. Mit der technischen Entwicklung hat das alte System nicht Schritt halten können. Steinzeitrezepte helfen uns heute immer weniger. Trotzdem halten wir an ihnen fest, denn Gefühle sind ja Empfindungen, die hormonell verstärkt werden und uns deshalb so beeindrucken. Wir betonen gern wie wichtig ein klarer Kopf ist und handeln nicht danach. Wir können nicht anders, wenn Gefühle so stark sind. Da sind wir dann auch nicht anders als ein Junkie. Das Bild vom durch Vernunft geleiteten Menschen ist nur ein Anspruch, dem der wissende Mensch nicht genügt. Für ein intelligentes Lebewesen ist homo sapiens sapiens noch ziemlich primitiv. Aber bedenke, wir sind evolutionstechnisch auch nur ein erster Versuch in diese Richtung.
Emotionen denken nicht nach. Es fehlt die dafür notwendige neuronale Struktur und Kompetenz. Sie arbeiten eine Art Checkliste aus feststehenden Kriterien nach dem Ja-oder-nein-Prinzip ab. Bauchgefühle sind EQ (emotionale Intelligenz) und nich IQ (math,-logische Intelligenz). Ein strikter Algorithmus bietet dann programmierte Handlungsoptionen, die wir durch hormelle Unterstützung als individuell, persönlich, ergreifend usw. wahrnehmen.
Anders ausgedrückt: Grundstoff für die emotionale Verarbeitung ist ein assoziativer Input, der nicht weiterverarbeitet wird, um Zeit zu sparen. Der Zeitfaktor ist wichtig, speziell um in plötzlichen Gefahrenssituationen handlungsfähig zu bleiben. Das uns unsere Gefühle vielfältiger erscheinen, liegt daran, dass wir über unsere Gefühle nachdenken und daran unsere Ratio beteiligen. So entstehen Varianten.
Gefühle leben vom Vertrauen. Das müssen sie doch, wenn man nicht alles weiss und trotzdem eine Entscheidung zu treffen hat. Die Trefferquote für pauschales Handeln, dass sich als richtig erweist ist hoch, denn unser archaisches Gefühlssystem basiert auf der Erfahrung hundertausender Jahre. Deswegen vertrauen wir unseren sogenannten Bauchgefühlen.
Nur da, wo ich etwas weiss, brauche ich kein Vertrauen mehr. Da wo ich vertraue kann ich falschliegen. Da wo ich einer Überzeugung vertraue bleibe ich angreifbar eben weil es nicht die ultima ratio ist. Das kann zu Streit führen. Wenn man sich dann um mehr Wissen bemühen würde, käme eine Lösung näher. Stattdessen wird lieber weiter emotional aufeinander rumgehackt. Die Fronten verhärten sich. Und dann fühlen sich Leute, dass sieht man auch bei den Diskussionen hier im Forum, persönlich angegriffen und beleidigt. Das Dilemma liegt in der ungenügenden vernetzten Nutzung vom Gefühlssystem und dem logischen System. Von einer geleichberechtigten Gewichtung sind wir meilenweit entfernt. Da, wo es um Entscheidungen geht kommt die Vernunft meist erst an zweiter Stelle. Deswegen bin ich vom Verlauf so mancher Diskussion hier im Forum enttäuscht. Je hitziger die verlaufen, desto mehr pochen die Unterstützer der jeweiligen Streitparteien darauf recht zu haben. Arschlöcher gibt es nur bei den Anderen. Es wird ausgeschlossen, dass man selbst etwas falsch macht. Die emotionelle, hormonelle Anteilnahme blockiert das nüchterne Abgleichen der Argumente. Schade, wenn manch wichtige gesellschaftliche Debatte so gar nichts bewirkt.