Danke zuerst für die wohlwollenden Kommentare zum letzten Teil. Heute kommt mein letzter Beitrag in dieser Reihe. Ich habe nachgedacht und nach den Ursprüngen zu meiner Haltung zu Männerröcken gesucht. Tatsächlich ist mir da ein Kindheitserrlebnis eingefallen, das bezeichnend ist:Das erste Mal geriet ich mit der Welt der Geschlechterordnung ernsthaft in Konflikt, als auf unserer Straße Mädchen und Jungen zusammenspielten und Elke von den Kleiderschränken auf dem Dachboden sprach, in denen ihre Mutter alte Kleider aufhob. Da konnte man sich umziehen und Vater, Mutter, Kind spielen. Mädchen lieben es, sich mit Mamas alten Klamotten zu verkleiden. Der Kleiderschrank auf Elkes Dachboden war dafür eine wahre Fundgrube. Wenn Mädchen dazu noch ihre Wangen und Lippen rot malen dürfen, sind sie in ihrem Element. Aber Jungs mögen das auch. Alle Kinder lieben das. Es ist faszinierend sich zu verwandeln, in jede Rolle. Je wilder die Maskerade ist, desto besser. Am besten wird es, wenn man sich selbst nicht wieder erkennt. Der Eindruck, dass das die natürliche Vorliebe von Mädchen ist, entsteht dadurch, dass die Eltern es den Töchtern durchgehen lassen und häufig unterstützen, den Jungen aber nur, wenn sie noch sehr klein sind. Die rollenbewusste Erziehung greift hier so subtil und durchdringend, dass Jungen ihre Freude schnell verlieren oder sich nicht mehr trauen.
Ich hatte bald keine Lust mehr, den Vater zu spielen, denn während die Mädchen alle Kleider durchprobierten, durfte ich nur den schwarzen Beerdigungsanzug von Elkes Großvater anziehen. Das war mir zu langweilig. Ich wollte auch etwas Buntes, Flatterndes tragen. Die Mädchen hatten ihre Rollen aber gut gelernt. Sie wussten was sie durften und was ich als Junge nicht durfte. Es dauerte eine Weile, bis sie meinem vorübergehenden Rollentausch zustimmten. Elke bemerkte dazu: „Na gut, dann mach das mal ausnahmsweise. Wir werden auch niemanden davon erzählen.“
Mir war es völlig egal, ob sie es weiter erzählten oder nicht. Wir spielten doch nur. Als die Mädchen runtergehen wollen, um sich in einem größeren Spiegel zu betrachten, will ich mitgehen. Elke warnt mich: „Und wenn meine Mutter dich sieht?“
„Mir doch egal.“
„Na, du musst es wissen.“
Die Mutter sah mich dann und war schockiert. Ich musste sofort ihren braunen Bleistiftrock und eine hellbraune Bluse mit Rüschen an den Ärmeln ausziehen. An ihre Worte kann ich mich noch gut erinnern: „Was ist denn mit dir los? Spinnst du? Mein Gott, zieh das sofort aus, sofort!“
Ich verstand zwar meinen Fehler nicht, aber irgendwie hatte ich was ganz Schlimmes angestellt. Ich war doch nur ein noch weltfremdes, naives Kind. Die Dimensionen der Geschlechtertrennung waren mir völlig fremd.
Damals wusste ich noch nicht, dass bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts Jungen in meinem Alter die gleichen Röcke und Kleider wie die Mädchen trugen (siehe Abb. 29, 30).
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.Abb. 29: US-amerikanische Jungen in Kleidern
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.Abb. 30: Junge mit Matrosenkleid, Bruder mit
Schwestern in Überkleidern (Smocks)
Manchmal unterschieden sie sich auch. So waren Knopfleisten auf der Vorderseite nur bei Jungen üblich. Smocks wurden an französischen Schulen bis in die 60er Jahre getragen. Das waren weite Kleider, die wie Kittel getragen wurden, um die Kleidung darunter zu schonen.
Die Sitte auch Jungen Kleider anzuziehen reicht weit zurück und war naheliegend in einer Kultur, wo alle Menschen Röcke trugen. Das hatte zudem praktische Gründe. Bei Kleinkindern war es so leichter, die Windeln zu wechseln. Auch ist ein Kleid leichter zu schneidern, und entsprechend dem Wachstum eines Kindes kann die Länge leichter geändert werden. Ebenso wirkte ein Kleid wie eine erzieherische Maßnahme, denn das Toben war nicht immer erwünscht. Kleider machen permanent bewusst: Mach dich nicht schmutzig. Diese Rockkultur änderte sich mit dem Aufkommen der Hose schrittweise. Die Männerhose wurde zu erst die allgemeine Standardbekleidung der erwachsenen Männer. Das sogenannte Breeching im angelsächsischen Sprachraum war der Zeitpunkt, wo die Eltern entschieden, dass ihr Sohn groß genug war für Breeches. Das ist ein alter Begriff für Hosen. Gemeint waren meistens Kniebundhosen Selbst als im 19. Jahrhundert Matrosenuniformen populär wurden, zog man in England den Jungen nicht unbedingt Matrosenanzüge an, sondern wählte selbstverständlich Matrosenkleider.
So ändern sich die Zeiten und mit ihnen erwachsene Befindlichkeiten. Elkes Mutter konnte ich mit ihren Sorgen nicht verstehen. Aber Kinder machen, was die Großen sagen. Die Stärke der Empörung von Elkes Mutter hat mich sofort wieder geschlechtsspezifisch eingenordet. Als ich mich aus dem Haus schleichen wollte, hat sie noch mal im versöhnlichen Ton mit einem ungewöhnlich vertraulichen Schulterklopfen und väterlicher, tiefer Stimme gesagt: „Mach das bloß nie wieder, hörst du! Wenn du mir das versprichst, sag ich auch nichts deinen Eltern.“ Ich glaube dieses einschneidende Erlebnis hat mich bis vor kurzem geprägt. Meine negativ eingestellten Bauchgefühle zum Karnevalsversprechen hatten diese Szene noch nicht vergessen.
Das Trauma bei Elke und ihrer Mutter wirkte lange nach. Den Wunsch meiner Großeltern, dass ich als Messdiener dem Priester sonntags bei der Heiligen Messe assistiere, habe ich deshalb jahrelang ausgeschlagen. Nie wieder würde ich ein Kleid anziehen. Auch nicht ein Messgewand zur Ehre des Herrn in einem feierlichen Gottesdienst. Das habe ich mir geschworen, so wahr mir Gott helfe!