Bei der Bearbeitung unserer Umfrage ist uns aufgefallen, dass ein und dasselbe Kleidungsstück mal weiblich und mal männlich wirken kann. Das gilt für Hosen genauso wie für Röcke. Um unsere Überlegungen besser zu verstehen, gebe ich den Textausschnitt nochmal wieder und illustriere ihn mit 2 Bildern. Mir ist das Thema so wichtig, weil durch einen kognitiven Test deutlich wird, dass Rock wie Hose keine biologische Geschlechtlichkeit innewohnt. Eine Geschlechtszuordnung liegt immer in gesellschaftlichen Absichten begründet.Was macht Rock wie Jeans weiblich oder männlich?Als wir das Ergebnis für die Frage nach der Unweiblichkeit von Jeans mit Fotos von Frauen und Männern in Jeans illustrieren, kommt uns eine neue Frage in den Sinn. Wie kann eine fast gleiche Jeans mal als weiblich und ein anderes Mal als männlich eingestuft werden? Es ist doch eine sehr ähnliche Jeans, nur in unterschiedlicher Größe. Kann ein kognitiver Test eine Antwort geben? Was bedeutet das für einen Test mit Rock?
Hierzu mache ich in Eigenregie ein weiteres Experiment. Im Rollenspiel haben wir dazu nicht genügend Zeit. Allerdings wird das Ergebnis in die Marketingstrategie einfließen, weil es wichtig ist, um ein besseres Bild zu bekommen, auch zur Abgrenzung des Männerrocks vom Frauenrock.
In einem Versuch zeige ich Schülern Bilder von Modellen für eine halbe Sekunde. Die Modelle sind mit einer langen Jeanshose bekleidet. Alle Frauenbilder habe ich so weit vergrößert, dass sie annähernd deckungsgleich mit den größeren männlichen Körpern sind. Die Fotos zeigen einen Ausschnitt vom Bauch bis zu den Knien. Die Versuchspersonen müssen sofort entscheiden, ob das Bild weiblich oder männlich auf sie wirkt. Dadurch, dass die Testpersonen keine Zeit zum Nachdenken haben, müssen sie intuitiv eine Entscheidung treffen. Nur intuitiv können wir schnell reagieren. Das heißt, sie müssen auf ein evolutionär verinnerlichtes Wissen zurückgreifen, denn unsere Bauchgefühle haben sich erst über lange Zeiträume gebildet und vererbt. Die Trefferquote ist mit 77% sehr hoch.
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.Abb. 15: Frau (links) und Mann in Jeans
Als ich die Versuchspersonen auf das hohe Ergebnis anspreche, sind viele der Meinung, dass das Ergebnis noch höher wäre mit noch engeren Jeans, weil Körperform und Proportionen dann noch besser erkennbar sind. Auch erinnere ich mich, dass Frauen bei der Befragung der Meinung waren, Jeans sind weiblich und machen sexy, wenn die besonders eng oder kurz sind wie Röhrenjeans oder Hot-Pants.
Wenn die Bildbetrachter sich so schnell und sicher entscheiden können, obwohl die Jeans fast gleich bleibt, dann deckt sich das mit Erwartungen aus den oben genannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die ein Schema nahelegen, das intuitiv funktioniert, weil es keine Zeit zum Nachdenken gibt. Die Entscheidungsmatrix enthält offenbar nur Informationen zur optischen Differenzierung weiblicher oder männlicher Körper und nicht für Kleidung. Heißt das in der Konsequenz, eine Jeans ist weder weiblich noch männlich, und sexy ist sie auch nicht? Machen erst ein Körper und seine Körpersprache die Jeans weiblich oder männlich oder sexy?
Ich wiederhole das Experiment mit dem Schulrock und einem weißen T-Shirt. Wenn der Rock weiblich macht, müssten alle Rockbilder mit weiblich bewertet werden, auch weil es keine Zeit für eine genauere Beurteilung gibt. Tatsächlich aber decken sich die Entscheidungen häufiger mit dem Geschlecht des Rockträgers als mit dem Kleidungsstück.
Die Trefferquote ist mit 90% sehr hoch. Wieder greift das Rock-wie-Hose-Prinzip. Der Rock wird nicht in Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftlichen Regeln gebracht, die ihm eine geschlechtsspezifische Funktion zu ordnen. Die Rockbilder werden mal weiblich und mal männlich bewertet. Wieder verlassen sich die Probanden in dem kognitiven Test auf ihr Bauchgefühl. Und das folgt anderen Gesetzen als den anerzogenen. Auch hier gilt: Erst der jeweilige Körper in seinem Phänotyp und die Körpersprache bestimmen das Geschlecht. Sie erst machen den Rock weiblich oder männlich. Die männliche Körpersprache lässt Männer in Rock und Jeans breitbeiniger stehen, während Frauen gerade beim Posing für eine Aufnahme gerne die Beine nebeneinander oder voreinander setzen. Auch winkeln sie oft die Knie so an, dass die Hüfte betont wird. Die weibliche Körpersprache ist im Rock sogar stärker als in Hosen, um u.a. einem gewissen Sicherheitsbedürfnis zu entsprechen. Interessanterweise ist Männern, obwohl der Rock nach unten offen ist, dass weniger wichtig. Selbst schottische Soldaten, die immerhin in der Öffentlichkeit im Kilt ihre Regimenter repräsentieren, fläzen sich ungeniert breitbeinig, wenn sie nicht gerade für ein offizielles Foto posieren.
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.Abb. 16: Mann und Frau im Rock und ihre Silhouetten
Der weibliche oder männliche Phänotyp des Menschen bestimmt die Wirkung der Kleidung. Die Silhouette beziehungsweise Körperform und Körpersprache entscheiden über den Gesamteindruck. Das macht in Abb. 15 die linke Jeans zur Frauenhose und in Abb. 16 die linke rocktragende Silhouette zum Mann.
Dort, wo Frauen und Männer heute noch Kleider tragen, gibt es zusätzliche kleine Unterschiede, die das Geschlecht in seiner spezifischen Natur unterstreichen. So hat der Frauenkimono einen breiten Gürtel, um die Taille weiblich zu betonen. Auch betont bei Männerkleidern der Ausschnitt nie ein Dekolleté. Nicht das Kleid unterscheidet die Geschlechter, sondern sein Design bzw. seine Ausführung.
Als ich in einem letzten Test Hosenfotos und Rockfotos mische, bleibt die Trefferquote mit 82% hoch. Die Versuchspersonen treffen offensichtlich ihre Entscheidung nicht primär anhand der Bekleidung, sondern vor allem nach körperlichen Merkmalen. Anders ausgedrückt bedeutet das: Die Entscheidung folgt wieder nicht gesellschaftlichen, sondern anatomischen und verhaltensbiologischen Kriterien. Aus biologischer Sicht sind Rock und Hose nicht geschlechtsspezifisch.
Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für lange Haare. In meiner Kindheit im traditionellen Umfeld der 60er Jahren, galten die als absolut unmännlich. Aber auch sie sind aus biologischer Sicht kein geschlechtsspezifisches Merkmal. Das lange Haare weiblich oder männlich sein können ist besonders leicht festzustellen, weil wir Haare überwiegend zusammen mit dem Gesicht wahrnehmen. Das Gesicht in seiner Physiognomie ist sehr charakteristisch für Frauen und Männer. Selbst wenn man Männern Damenperücken aufsetzt, wirken sie weiter männlich. Auch hier gilt: Nicht die Perücke bzw. die Haare bestimmen die Wirkung, sondern die Gesichtszüge. Würde ich mein Experiment auch mit Perücken durchführen, dürfte die Trefferquote wegen der Eindeutigkeit der Gesichtszüge sicherlich bei fast 100% liegen. Ein aktueller gesellschaftlicher Modestandard reflektiert nicht automatisch biologisches Wissen.
Wenn der menschliche Blick den Unterschied mit schnellem, also intuitivem Denken erkennt, dann beruht das offensichtlich auf einem inneren, biologischen Wissen, das älter als unsere gesellschaftlichen Traditionen ist. Wenn wir heute Männer in Röcken als weiblich wahrnehmen, dann beruht das auf vergleichsweise neuen Einflüssen, die bei fortgesetzter, einseitiger Prägung irgendwann einmal die alten Prägungen überschreiben werden. Meine Versuche lassen annehmen: Noch kennt das biologische Erbe unserer Bauchgefühle in Rock und Hose keine Kleidungsstücke, die ein Geschlecht definieren. Für einen wissenschaftlichen Beweis müssen allerdings weitergehende Untersuchungen in größerem Umfang durchgeführt werden.
Wer also behauptet, ein Rock mache mich weiblich, irrt. Eine solche Person kennt einfach nicht den Mann in mir. Immerhin behauptet heute fast niemand mehr, dass Hosen Frauen männlich machen. Nach Jahrzehnten hat sich die Hose gegen moralische Bedenken endlich durchgesetzt. Seit etwa einem halben Jahrhundert hat sie sich in vielen Kulturen als geschlechtsunabhängig etabliert. Genauso wie heute die Hose, macht der Rock an und für sich weder weiblich noch männlich. Nur die Macht gesellschaftlicher Interessen kann dem Rock die biologische Unschuld nehmen.