Autor Thema: Identifikation als "Mann" oder als "Frau" - warum scheint das wichtig?  (Gelesen 15922 mal)

Offline MAS

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Wie eng begrenzt doch der Horizont der sogenannten Wissenschaft ist ...

Ja, und echte Wissenschaftler*innen wissen das und erweitern den Horizont Schritt für Schritt. Wissenschaft ist halt keine Esoterik. (Obwohl manche beides miteinander verwechseln.)

LG, Micha
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Offline Holger Haehle

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Lieber Micha,
Evolution ist ein kontinuierlicher Prozess mit fließenden Übergängen. Deswegen war der Mensch, wie wir am Feuerbeispiel sehen, auch nicht mit Beginn seiner Existenz kulturfähig, sondern musste diese Leistung schrittweise erwerben. Wenn du dir Filme vom Leipziger Primatenzentrum anschaust wirst du beeindruckt sein, was Schimpansen bereits fühlen und denken können. Alles was Kultur braucht ist in den Tieren angelegt, die wenigstens über einen einfachen Neocortex verfügen, denn intelligente Leistungen brauchen auch die entsprechende Hardware als Prozessor.

Kultur macht den Menschen zunehmend unabhängig und frei. Deswegen wird Kultur als Gegenentwurf zur Natur beschrieben. Alle geschlechtlichen Attributionen sind entweder biologisch vermittelt oder kulturell vermittelt, weswegen wir von biologischem Geschlecht (Sexus oder kurz Sex) und soziokulturellem Geschlecht (Gender) reden.

Wenn wir in unserem Gegenüber unbedingt eine Frau oder einen Mann erkennen wollen, dann hat das mit kulturellen Konstruktionen zu tun, die wir bis ins Unterbewusstsein verinnerlicht haben. Die Erkennbarkeit geschlechtlicher Unterschiede hat mit der Kultur an Bedeutung zu genommen. Anthropologen verweisen in diesem Zusammenhang auf Effekte ausgelöst duch Sesshaftigkeit und der Entwicklung von Agrargesellschaften. In dieser Zeit entstanden ausgeprägte Rang und Geschlechterordnungen deren Regeln mehr oder weniger bis heute gelten.

Häufig nehmen wir starke Prägungen und die daraus erwachsenden Überzeugungen (z. B. Homophobie) als natürlich wahr im biologischen Sinne. Tatsächlich werden sie aber durch kulturelle Einflüsse generiert. Der Eindruck der Natürlichkeit entsteht durch ein intensives Gefühl, das mit einer Überzeugung einhergeht. Es entsteht im Rahmen von konditionierender Sozialisierung durch dauerhaft angelegte neuronale Verknüpfungen, die mit dem Nucleus accumbens gekoppelt sind, der Hormone freisetzt, die eben genau dies bestätigende Gefühl geben.

Und damit sind wir wieder beim Threadthema. Es ist die Macht der Gewohnheit im Gegenüber Männlein oder Weiblein sehen zu wollen. Wir können das ändern, aber dazu braucht es einen Prozess, der schrittweise die neuronale Verankerung löst. Wir können das ändern, weil es Kultur ist, die in den oberen Hirnregionen angelegt ist auf die wir Zugriff haben und nicht im unteren Zwischenhirn und Stammhirn, auf die wir keinen bewussten Zugriff haben.

Die biologische Erkennbarkeit des Geschlechts spielt nur dann eine Rolle, wenn Pheromone ins Spiel kommen. Das sind Botenstoffe, die von einem Individuum nach außen als Duftstoffe abgegeben werden und bei einem anderen Individuum spezifische Reaktionen auslösen. Auf diese Weise spüren Männchen den Eisprung der Weibchen, was die Libido anwachsen lässt. Immer wenn ihr euch fragt, warum gerade diese Frau euch so sehr anzieht, liegt das nicht unbedingt an äußerlicher Attraktivität, sondern der besonderen Note des Schweißgeruchs.

Offline Timper

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Der letzte Absatz ist wohl etwas an den Haaren herbeigezogen. Wann kommt man einer Frau so nahe das man Schweißgeruch wahrnimmt? Und wenn ich im TV eine sehr attraktive Frau sehe geht schon überhaupt nicht. Mag sein das wir alle Duftstoffe abgeben aber das spielt erst dann eine Rolle wenn man der Person sehr nahe kommt. Vorher gibt es ganz andere bewusste und unterbewusste Faktoren. Es gibt Studien die herausgefunden haben das bestimmte Proportionen , Symetrien über attraktiv oder weniger attraktiv entscheiden. Und erst im Nahbereich kommen Duftstoffe ggf ins Spiel. So jedenfalls beim Menschen. Das das bei Zb Hunden anders ist mag stimmen..
Wenn ich zb auf der Straße eine Frau ansehe auf zb 4—5 m entscheiden Kleidung , Haare , Make Up Anatomie als erstes. Jedenfalls sicher nicht meine Nase.
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Rock tragen? Ich darf das!

Offline Lars

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Identifikation als Mann oder Frau ... manchmal ist es in der Tat unwichtig.
Ich hatte da schon mehrere Erlebnisse, wo die Menschen ein tolles Outfit und ein schönes Gesamterscheinungsbild wahrgenommen und bewundert haben, aber offensichtlich keine Notiz davon genommen haben, daß ein Mann - ein deutlich als Mann erkennbarer Mann - in der schönen Kleidung gesteckt hat. Das war in diesem Moment völlig unerheblich. Was diese Menschen gemeinsam hatten, war ein sehr weiter Horizont.
Schützen die Grünen die Natur?
Oder müssen wir die Natur vor den Grünen schützen?


Offline Flo

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Geht um die eigene Identifikation oder darum wie andere Menschen/ Gesellschaft eine Person identifiziert?
Jeder Mensch kann und darf sich selbst entscheiden, wie er/sie sich fühlt und wie er/sie sich identifiziert. Und das geht keinen etwas an.
Wie andere Menschen einen sehen - ehrlichweise sollte ich jetzt schreiben - so what. Wen interessiert es?
Geht es nicht darum, wie wir wahrgenommen werden wollen?
Darauf hat ein jeder von uns doch Einfluss. Ich war rocktragend bei der Kfz Anmeldung und wurde mit „Frau“ angesprochen. Obwohl ich mich so nicht fühle,/verhalte. Aber die Mitarbeiterin hat wohl gedacht, mit Rock will jedermann als Frau identifiziert werden!
Sollte mich das stören? Nein, da sollte ich drüber stehen.

Offline MAS

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Lieber Micha,
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Kultur macht den Menschen zunehmend unabhängig und frei. Deswegen wird Kultur als Gegenentwurf zur Natur beschrieben. Alle geschlechtlichen Attributionen sind entweder biologisch vermittelt oder kulturell vermittelt, weswegen wir von biologischem Geschlecht (Sexus oder kurz Sex) und soziokulturellem Geschlecht (Gender) reden.

Wenn wir in unserem Gegenüber unbedingt eine Frau oder einen Mann erkennen wollen, dann hat das mit kulturellen Konstruktionen zu tun, die wir bis ins Unterbewusstsein verinnerlicht haben. Die Erkennbarkeit geschlechtlicher Unterschiede hat mit der Kultur an Bedeutung zu genommen. Anthropologen verweisen in diesem Zusammenhang auf Effekte ausgelöst duch Sesshaftigkeit und der Entwicklung von Agrargesellschaften. In dieser Zeit entstanden ausgeprägte Rang und Geschlechterordnungen deren Regeln mehr oder weniger bis heute gelten.

Häufig nehmen wir starke Prägungen und die daraus erwachsenden Überzeugungen (z. B. Homophobie) als natürlich wahr im biologischen Sinne. Tatsächlich werden sie aber durch kulturelle Einflüsse generiert. Der Eindruck der Natürlichkeit entsteht durch ein intensives Gefühl, das mit einer Überzeugung einhergeht. Es entsteht im Rahmen von konditionierender Sozialisierung durch dauerhaft angelegte neuronale Verknüpfungen, die mit dem Nucleus accumbens gekoppelt sind, der Hormone freisetzt, die eben genau dies bestätigende Gefühl geben.

Und damit sind wir wieder beim Threadthema. Es ist die Macht der Gewohnheit im Gegenüber Männlein oder Weiblein sehen zu wollen. Wir können das ändern, aber dazu braucht es einen Prozess, der schrittweise die neuronale Verankerung löst. Wir können das ändern, weil es Kultur ist, die in den oberen Hirnregionen angelegt ist auf die wir Zugriff haben und nicht im unteren Zwischenhirn und Stammhirn, auf die wir keinen bewussten Zugriff haben.

Die biologische Erkennbarkeit des Geschlechts spielt nur dann eine Rolle, wenn Pheromone ins Spiel kommen. Das sind Botenstoffe, die von einem Individuum nach außen als Duftstoffe abgegeben werden und bei einem anderen Individuum spezifische Reaktionen auslösen. Auf diese Weise spüren Männchen den Eisprung der Weibchen, was die Libido anwachsen lässt. Immer wenn ihr euch fragt, warum gerade diese Frau euch so sehr anzieht, liegt das nicht unbedingt an äußerlicher Attraktivität, sondern der besonderen Note des Schweißgeruchs.

Lieber Holger,

so sind wir uns wieder einig. Kultur wird als Gegenentwurf zur Natur beschrieben. Und wir gewöhnen uns so sehr an kulturelle Maßstäbe, dass sie uns natürlich vorkommen. Max Scheler nannte das "relativnatürlich", ich "quasinatürlich" (wobei ich mit dieser Nacheinandernennung mich nicht auf seine Stufe erheben möchte).

Wichtig ist dabei auch das, was ich "soziale Plausibilität" nenne. Wir Menschen orientieren uns aneinander, parallelisieren unsere Konstrukte. Der Wunsch, dazuzugehören, ist dabei maßgeblich. Grund wahrscheinlich ursprünglich die Unfährigkeit, alleine zu überleben. So entsteht letzlich Kultur. Mindestens dadurch genau so wie durch Werkzeugherstellung.

Und zu dieser Kultur gehoren auch soziale Rollen, die wir einnehmen. Ich wollte "spielen" schreiben, aber es ist meist kein Spiel, sondern (manchmal tödlicher) Ernst. Dass einige dieser Rollen geschlechtsspezifisch sind, ist uns auch so verinnerlicht, dass wir trotz aller Gleichberechtigung heutzutage sie noch in uns haben, nicht nur bei der Partnersuche. Daher das Gefühl der Peinlichkeit (vor allem bei Jungs) irgendwie andersgeschlechtlich verortet zu werden. Aus der Rolle zu fallen konnte (und kann teilweise immer noch) fatale Folgen nach sich ziehen: Ausgrenzung, Verbannung, Tod. Das war zu lange Fakt und ist evtl. sogar in unsere Gene eingeschrieben. Gene verändern sich nämlich auch durch Traumata. Das braucht mehrere Generationen anderer Erfahrungen, bis sich das auswächst.

So verstehe ich es.

LG, Micha
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Ich vermute, dass wir unbewusst Düfte auch auf größere Entfernung wahrnehmen. Meine Frau auch bewusst, so über zwei Stockwerke hinweg, was ich erst bei 1m Entfernung rieche.

LG, Micha
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Offline Skirtedman

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Warum muss ich wissen, ob jemand "Mann" oder "Frau" ist?
« Antwort #52 am: 22.01.2023 01:54 »
Geht um die eigene Identifikation oder darum wie andere Menschen/ Gesellschaft eine Person identifiziert?
...
Geht es nicht darum, wie wir wahrgenommen werden wollen?

Nein, Florianne, darum geht es nicht, jedenfalls nicht in diesem Thread.

Wie jemand sich selbst identifiziert, hatten wir hier im Forum schon so oft an verschiedensten Stellen diskutiert.

Und wie andere jemanden sehen, ist auch nicht so der Gegenstand dieses Threads.

Ich als Thread-Starter hatte das damals vor 3 Jahren mit einer missverständlichen Überschrift versehen - was mir erst jetzt auffiel, als ich den Thread aus der Versenkung hervorholte.

Inzwischen ist mir eigentlich eine treffendere Überschrift eingefallen, die sich aber vermutlich bei den üblichen Forums-Abläufen (Antwortbutton drücken und losschreiben) nicht mehr hier durchsetzen wird:

'Warum muss ich wissen, ob jemand "Mann" oder "Frau" ist?'

Du schreibst:
Zitat
Geht es nicht darum, wie wir wahrgenommen werden wollen?

Ich glaube, Dein "geht es nicht darum" bezieht sich hirr nun nicht auf die Fragestellung des Threads, sondern auf die Wertigkeit innerhalb des eigenen (Er-)Lebens. - Ja, das ist sicherlich mit die wichtigste Frage. Allerdings auch nicht zentraler Gegenstand dieses Threads.

Es geht darum, weshalb wir offenbar bei jeder Interaktion mit einem Menschen, spätestens in der Kommunikation mit oder über diesen Menschen, die Information - ich nenn's mal - begehren, ob es sich um einen Mann oder Frau handelt, auch wenn das oft garnichts mit dem Zweck der Interaktion zu tun hat.

Haben wir Schwierigkeiten, diese Zuordnung dieses Menschens aus eigener Einschätzung heraus zweifelsfrei zu treffen, fühlen wir uns schnell unwohl und das permanente Fragezeichen befleitet uns bei der Interaktion mit diesem Menschen. Diese offene Zuordnung verunsichert uns.

Ich finde, diese Zuordnung befällt uns überall.

Wir hatten hirr schon sehr gute Denkansätze hier im Thread, auch mit einem Ausflug in die menschliche Kulturgeschichte.

Und oft laufen die Gedanken darauf hinaus, dass wir es so gelernt haben und es so verinnerlicht haben. Und obeohl uns aufgeklärten Menschen im Westeuropa von 2023 wissen, fass es für die meisten Alltagsbegegnungen absolut unwichtig ist, ob uns gerade Mann, Frau (oder anderes) gegenüber ist, können wir aus dem verinnerlichten Zuordnen aus Macht der Gewohnheit nicht heraus.

Vielleicht lege ich zuviel Bedeutumg in diese Frage, aber die Erkenntnis "aus Macht der Gewohnheit" scheint mir zwar wichtig, aber zu wenig.

Warum war es denn wichtig, uns diese Zuordnung beizubringen - nur um uns zu einer geigneten zukunftstragenden Partnerwahl zu bringen - und wir verfallen auch weiterhin dem Schema, auch wenn die Partnerwahl längst abgeschlossen ist?

Oder steckt da noch mehr dahinter? Hat es gar etliche Vorteile weit jenseits der Partnersuche, diese Zuordnung ziemlich eindeutig bei jeder Interaktion zu wissen?

Ein paar marginale Vorteile hatten wir schon aufgezählt. Fallen da jemandem noch mehr Vorteile ein? Oder sind die für mich marginalen Vorteile doch so fundamental? Und wenn ja, warum?

Offline Skirtedman

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Warum muss ich wissen, ob jemand "Mann" oder "Frau" ist?
« Antwort #53 am: 22.01.2023 02:20 »
Ich finde, diese Frage systemisch zu ergründen, könnte auch gerade für Menschen interessant sein, die sich selbst nicht so eindeutig als Mann oder Frau sehen, aber dieser allgegenwärtigen bipolaren Einteilung sich gezwungen sehen unterzuordnen.

Ich glaube, das war auch 2019 der Ursprungsgedanke, weshalb ich diesen Thread erschuf.

Für mich persönlich ist es in meinem Leben nicht wirklich so relevant: ich fühle mich als Mann, ich werde wohl praktisch immer als Mann wahrgenommen.

Wenn ich am Telefon mich nur mit Nachnamen melde, werde ich immer zutreffenderweise als "Herr Skirtedman" (Nachname geändert) angesprochen. Auf die Idee, mich nach einer anderen Zuordnung nachzufragen kommt niemand.

Ich möchte mal kurz neben Kultur und der darin verankerten Macht der Gewohnheit noch einen anderen Aspekt ins Spiel bringen - das hatten wir beim nun parallel laufenden Thread über das Pronomen (dort: die Selbstzuordnung) bereits angerissen: Die Sprache.

Ich glaube, Baskisch kennt keine männlichen und weiblichen Artikel. Das Englische hat ja auch nur das neutrale "The". Doch bei den Pronomen unterscheiden diese Sprachen auch wieder zwischen z.B. "he" und "she". Im Deutschen unterscheiden wir ja bei den Possesivpronomen noch doller: "sein", "seine", "ihr", "ihre".

Zwingen die Konditionierung zur zukunftstragenden Partnerwahl UND die Sprache uns zu der unvermeidlichen Zuordnung unseres Gegenübers?

Offline Holger Haehle

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'Warum muss ich wissen, ob jemand "Mann" oder "Frau" ist?'

Offensicht ist diese Frage schon bei Ungeborenen interessant, denn bereits Schwangere werden gefragt: Was wird es denn. Und die erste Frage nach der Geburt geht in die gleiche Richtung: Was ist es denn.
Ich finde, es gibt wichtigere Fragen, wie z. B. nach der Gesundheit.

Wir müssen wissen, ob es Mädchen oder Junge ist, um das richtige zu schenken. Blaue Strampler für die Jungs. Was mit rosa für die Mädchen. Damit sind sie zweifelsfrei markiert, so das es nicht schwer fällt mit dem jeweiligen Kind die richtigen Spiele für sein Geschlecht zu spielen.

Wir wollen immer das Geschlecht unseres Gegenüber wissen, um uns immer adequat zur Rollenverteilung zu verhalten. Einem alten Mann hilft man nicht über die Straße. :(

Das ist ein kulturelles Phänomen, das mit zunehmender Gleichstellung an Bedeutung verlieren sollte, was aber wegen unserer Prägungen nur sehr langsam geschieht. Ich finde es erschreckend wie sehr viele Eltern darauf achten, dass Jungs keine T-Shirts in rosa oder mit Katzenmotiv bekommen. Dazu wurde im Forum schonmal was vom ZDF empfohlen:
https://www.zdf.de/dokumentation/no-more-boys-and-girls/sendung-eins-100.html

Biologisch ist der Unterschied nur relevant, wenn Botenstoffe wie Pheromone oder Sexualhormone im Spiel sind. Allerdings ist bei Menschen ja ganzjährig Brunftzeit.

Offline Skirtedman

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"Allerdings ist bei Menschen ja ganzjährig Brunftzeit."

Da sprichst Du was an!

Angeblich soll bei den Menschenfrauen ab der Pubertät das ganze Leben lang das Gewebe rund um die Brustdrüsen geschwollen sein im Gegensatz zu den anderen Tieren und auch zu unseren nächsten Verwandten, den Affen. Das soll wohl den permanenten Sexualtrieb des Menschen zur Folge haben. Bei allen anderen Säugetieren sind sie nur zur Brunftzeit oder nur, wenn sie mit ihrer Drüsenfunktion wirklich gebraucht werden angeschwollen.

Vielleicht trägt auch dies dazu bei, dass unser Verhalten eher sexualisiert ist auch jenseits der aktiven Nachwuchsproduktion.

Dass wir Menschen länger leben, vor allem die Frauen, hängt ja auch damit zusammen, dass wir als Neugebirene noch ziemlich unreif gebiren werden und erst durch jahrelanges Lernen die - freilich dann auch individuell besser angeoassten - Fähigkeiten von unserer Elterngeneration lernen müssen. Giraffen können z.B. ab der ersten Minute schon stehen, sehen und laufen.

Und dass wir inzwischen länger als bis zum Gröbsten der Nachwuchsaufzucht leben, ist ja eine kulturelle Leistung und eigentlich von der Natur so gar nicht vorgesehen.

Schleppen wir unser sexualisiertes Verhalten nur als 'Unfall' durch unser Leben? Ist unser eigentlich natürlicher Lebensinhalt eigentlich mur die Erhaltung der Art? Ist es also auch eher ein 'kultureller Unfall', dass wir Situationen erleben (dürfen), wo das Geschlecht unserer Mitmenschen eigentlich gar keine Rolle spielt?

Hinkt also die Natur des Menschen der Kultur des Menschen hinterher? Die Software ist zu stark, die Hardware noch zu schwach?

Offline MAS

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Gude zusammen!

Ich weiß nicht, ob es schon irgendwo hier im Thread erwähnt wurde:

Schon wenn eine Frau schwanger ist, wird sie oft gefragt: "Weißt Du schon, was es wird?" Gemeint ist sicher nicht, ob es ein Mensch wird oder ein anders Wesen, oder ob das Kind mal Feuerwehrfrau oder Putzmann wird, sondern ob es Junge oder Mädchen wird.

Und blicken Menschen in einen Kinderwagen blicken, fragen viele: "Ist es ein Junge oder ein Mädchen."

Forschungen haben herausgefunden, dass viele Menschen mit Kleinkindern unterschiedlich umgehen, je nach dem, ob sie das Kind für einen Jungen oder ein Mädchen haltne.

Und das, wie jemand mit einem Kind umgeht, hat Einfluss auf dessen Selbstwahrnehmung. So beginnt das Gendern schon sehr früh.

LG, Micha

PS: Oh sorry, ich lese erst jetzt, dass Holger das schon thematisiert hat. Aber es ist ja auch schön, dass wir unabhängig voneinander darauf gekommen sind.
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Offline Timper

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Ich glaube das man auf dem Holzweg ist man vieles der Sozialisation ( Stichwort Gender) zuschiebt. Ich bin fest der Überzeugung das im Hintergrund tiefverankerte Genetische Programme laufen die auf Vermehrung abzielen. Das sind Millionen Jahre alte Programme ( Vermehrungsprogramme) und jetzt seit vielleicht 50 Jahre glauben wir das ändern zu können weil wir etwas mehr wissen. Fakt ist aber das immer mehr in der Genetik entdeckt wird.

Und Skm — nein da hinkt nichts. Wir versuchen nur die Natur auszubremsen. Das hat noch nie funktioniert. Wir versuchen Kultur der Natur überzustülpen. Da macht die aber nicht so einfach mit. Auch bei bei dir ist das so. Deswegen bist du ( soweit ich das weiß) heterosexuell was wohl immer noch das genetische Vermehrungsprogramm von 99% der Menschen ist. Deswegen  dürfte wohl der erste Augenmerk als erstes immer dem Gegengeschlecht gelten und der zweite Blick dem anderen. Eigenartig finde ich allerdings das es mehr oder wenig auch Kindern gilt. Also die Frage Mädchen oder Junge , die ja recht nebensächlich ist.
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Offline Lars

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Wir versuchen nur die Natur auszubremsen. Das hat noch nie funktioniert. Wir versuchen Kultur der Natur überzustülpen. Da macht die aber nicht so einfach mit.

Richtig!
 
Die Natur ist das Höchste der Schöpfung .... sie ist quasi Gott. Wir sind ein essentieller Teil davon.
 
Warum sollte sich die Natur (=Gott, Schöpfung) ausbremsen lassen? Sie lacht sich höchstens kaputt über unsere anmaßenden Versuche, uns über die Natur stellen zu wollen ...
Schützen die Grünen die Natur?
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Offline Holger Haehle

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1. Sozialisation ist so wahnsinnig wichtig dafür wie wir ticken und auf unser Gegenüber als Frau oder Mann reagieren, weil unser Hirn bei der Geburt nahezu unvernetzt ist. Deswegen können Babies fast nichts, während beispielsweise ein Gazellenkitz schon nach wenigen Minuten aufstehen und der Herde folgen kann und auch weiß welche Pflanzen es fressen oder nicht fressen sollte. Kitze werden mit einem fast vollständig entwickelten Hirn geboren. Sie müssen nur noch wachsen, um erwachsen zu werden. Ihr Hirn entspricht bereits bei Geburt einem Erwachsenenhirn.

Bei einem Baby mit fast leerer Festplatte führt jede Lernleistung zur Anlage spezifischer neuronaler Vernetzungen. Es werden dafür extra entsprechende physikalische Strukturen angelegt. Deshalb ist Sozialisation so prägend und kann sich so einbrennen, dass es sogar zu Gehirnwäsche führt.

Biologisch unveränderbar determiniert sind nur die Dinge im Hirnstamm und in Teilen des Zwischenhirns. Dazu gehören die charakterlichen Grundzüge, sowie die sexuelle Orientierung. Deswegen helfen auch keine Therapien gegen das Schwulsein.

2. Explizite genetische Vermehrungsprogramme werden nirgendwo in der Genetik beschrieben. Das ist somit erstmal nur eine Annahme, die es noch zu beweisen gilt.

Was schon entdeckt wurde, ist so etwas wie „Attraktivitätsprogramme“. Dazu gehören die Pheromone mit ihren Duftstoffen, die den Eisprung bei Männern spürbar machen und die Libido steigernde Androgene (ersatzweise auch Kokain, das deswegen auch Fickpuder genannt wird).

3. Die überwiegende Mehrheit ist Hetero, weil Homosexualität eben nicht durch Gene entsteht. Kann auch gar nicht, denn sonst wäre sie schon ausgestorben wegen mangelnder Weitergabe des Gens durch Reproduktion. Alle Abweichungen sexueller Orientierung entstehen durch epigenetische Faktoren. Das sind selektive Ablesemechanismen die z. B. bei einer Ameisenkönigin festlegen, ob aus Eiern mit dem gleichen Genmaterial Arbeiter oder Soldaten gebildet werden sollen. Da Männer über ein weibliches X-Chromosom, aber Frauen nicht über ein männliches Y-Chromosom verfügen, könnten theoretisch epigenetische Faktoren aus einem männlichen Embryo ein Mädchen entstehen lassen. Tatsächlich entsteht maximal ein intersexuelles Kind.


 

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