Hallo Micha,
Ja, es gibt eine Menge solcher Glaubensbekenntnisse - und im Grunde glaube ich das auch.
Hier geht es um glauben - um das Annehmen einer Sache ohne ausreichenden Beweis.
Aber viele wissen es nicht, haben einen Schleier vor den Augen oder vor dem Herzen oder fühlen sich getrennt von Gott oder vom Sinn.
Hier geht es um Wissen - und natürlich wissen es viele nicht, da schlicht ausreichende Beweise fehlen.
Mit Polemik nützt man jedenfalls niemandem, auch nicht mit polemischen Zitaten.
Sie regen zum Nachdenken an. Und der Inhalt des Zitats ist ja durchaus richtig. Es mag natürlich eine kognitive Dissonanz auslösen, die man dann vor sich wegargumentieren muss.
Sich über den Glauben oder Unglauben eines anderen Menschen lustig zu machen, zeugt von keiner hohen Gesinnung, sondern von innerem Unfrieden und innerer Unfreiheit.
Einen Glauben in Frage zu stellen - mit welchen Mitteln auch immer - ist erst einmal völlig unpersönlich. Ein Glauben ist nur ein Denkmodell. Zu einem Problem wird es nur dann, wenn jemand diesen Glauben so sehr zu einem Teil seines Selbst gemacht hat, dass er sich vom Angriff auf den Glauben persönlich angegriffen fühlt, weil er diesen Teil seines Selbst nicht in Frage stellen will, kann oder darf. Den inneren Unfrieden (die kognitive Dissonanz) und die innere Unfreiheit (das eigene Glaubenssystem nicht in Frage stellen zu können) hat also der Gläubige und nicht derjenige, der kritisiert.
Lieber Joe,
ich glaube, dass das Leben einen Sinn hat - ohne ausreichende Beweise.
Ich glaube, dass das Gute im Menschen letztlich stärker ist als das Böse - ohne ausreichende Beweise.
Glaube hat zu tun mit Vertrauen, Nachfolge, Treue. Ein Kind vertraut seinen Eltern, auch ohne wissenschaftliche Expertise. Eltern schenken Urvertrauen, wenn sie gute Eltern sind. Erst gute Erfahrungen mit den Eltern liefern so etwas wie Beweise, dass das Vetrauen gerechtfertigt ist.
Das fehlende Wissen um die eigene Gotteskindschaft oder das schon vorhandene Erwachen ist kein wissenschaftliches Wissen, sondern eher das Wissen eines Kindes, das zuerst mal vertraut und dann gute Erfahrungen damit gemacht hat. Hinterher kann man es auch theoretisch herleiten und plausibel erklären, und diese Erklärungen können anderen Mut machen, sich auch darauf einzulassen. Das ist Glaube.
Polemik ist eine feindliche Rede, nicht einfach nur eine Kritik. Ich kann durchaus zu jemandem sagen, dass mir sein Welt- oder Gottesbild nicht plausibel ist, ohne ihm zu sagen, dass sein Welt- und Gottesbild falsch, böse, schädlich, doof usw. ist. Was ihm plausibel ist, muss nicht auch mir plausibel sein. Aus einer freundlich vorgetragenen Kritik kann er auch lernen und umgekehrt ich aus seiner freundlich vorgetragenen Kritik. Wir müssen gar nicht polemisch diskutieren, um Nachdenken zu erreichen, ja ermöglichen Nachdenken mit Freundlichkeit eher als mit Feindlichkeit.
Freundliche Kritik ist es z.B., wenn ich mit meine Eltern schlechte Erfahrungen gemacht habe und einen, der mit seinen gute Erfahrungen hatte, frage, ob er die Probleme, die ich habe, nicht auch irgendwo hat. Wenn ich ihm aber sage, sein Vertrauen in seine Eltern sei blöd und meschugge, er dürfe seinen Eltern nicht vertrauen, sondern müsse sich von ihnen lossagen, so wie ich mich von meinen losgesagt habe, dann ist das Polemik, so wie ich das Wort verstehe und was ich auch hier im Forum sehe. Das ist aufdringliche Missionierung für den eigenen Unglauben. Die lehne ich genau so ab wie eine für einen bestimmten religiösen Glauben.
Ein Mensch, der sich von seinem Glauben getragen und geführt weiß (ja, weiß!, aber nicht wissenschaftlich verstanden, sondern im Sinne von Lebenserfahrung), sieht in seinem Glauben nicht nur ein Denkmodel, mit dem man spielen kann, sondern ein Fundament seinen Lebens. Ich bin da jedenfalls vorsichtig mit Kritik und bringe sie, wenn ich sie bringen will, freundlich, vorsichtig und mitfühlend vor und nicht polemisch.
Ich persönlich habe einen Glauben, der mir erlaubt, mit den Bildern zu spielen, also auch mit den Vorstellungen von Gott oder Göttin oder auch mehreren davon oder Dharma oder auch dem Nichtvorhandensein von etwas derartigem. Mein Glaube (engl. faith) ist etwas unabhängiger von einem formulierten Glaubenbekenntnis (engl. belief), aber bei anderen ist das mitunter anders. Ich sehe vieles als Metapher, was andere wörtlich nehmen, bin eher liberal-religiös, viele andere sind eher konservativ oder fundamentalistisch. In Diksussionen mit Fundamentalisten gehe ich polemisch gegen deren oft vorhandene Intoleranz vor, gegen ihre Rechthaberei und ihre Verurteilung von Andersgläubigen, also gegen ihre Polemik, aber nicht gegen ihren Glauben. Ich kenne auch Fundamentalisten, die tolerant und respektvoll mit Andersgläubigen umgehen. Und dabei ist es egal, ob es theistische (christliche, muslimische, ...) oder atheistische Fundamentalisten sind.
Es ist nicht unpersönlich, den Glauben eines anderen in Frage zu stellen, genau so wenig, wie das Vertrauen eines Kindes in seine Eltern in Frage zu stellen. Es geht immer um den Menschen, nicht nur um Denkmodelle. Will man über Denkmodelle disktuieren, muss man sich darauf einigen. Beide Gesprächspartner müssen bereit sein, das, was ihnen Sinn im Leben gibt, als bloßes Denkmodell zu diskutieren. Und man muss während des Gespräches darauf achten, dass das Gespräch nicht kippt und doch persönlich wird. Wird es das, unterbricht man die Diskussion lieber, verneigt sich voreinander und geht in Frieden auseinander.
LG, Micha