Gude zusammen!
Kleider werden auch in Europa von Männern getragen, nur eben nicht "Kleider", sondern "Kutten", "Habits", "Talare" usw. genannt.
Ein großer Teil der Zuschreibung eines Kleidungs- oder eines Schmuckstückes, sowie auch einer Verhaltensweise als weiblich oder männlich liegt im Denken und Fühlen des Menschen. Dieses Denken und Fühlen ist wiederum großenteil sozial beeinflusst. Wir lernen von klein auf durch Parallelisierung mit unseren Mitmenschen, wie wir uns in unserer gesellschaftlichen Rolle auch geschlechtsspezifisch zu verhalten und damit auch zu kleiden haben und was wir als gegengeschlechtlich wahrnehmen. Dabei können die Merkmale, an denen Männlichkeit und Weiblichkeit festgemacht werden, durchaus variieren. Wir hatten hier schon mehrmals das Beispiel der rosa Farbe als männliche oder als weibliche Farbe. Oder das Beispiel der Zuordnung von Blumenmustern, die in Indonesien traditionell nur an Frauensarongs zu finden sind, in Polynesien aber auch an Männersarongs.
Aber nicht nur die geschlechtsspezifische Zuordnung ist sozial konstruiert, sondern auch die Frage, was wir überhaupt geschlechtsspezifisch zuordnen oder was wir als geschlechtsneutral ansehen. Und auch die Wichtigkeit einer Abgrenzung vom anderen Geschlecht ist sozial konstruiert. Und diese sozialen Konstrukte erlernen wir von klein auf, und zwar nicht nur als rationales Weltbild, sondern wir verkörpern sie, d.h. wir spüren sie körperlich in Form von Abscheu, Angst, Widerwille oder aber auch Faszination, Erregung, Attraktion. Da kommt dann auch Individuelles dazu. Bei den meisten Menschen gibt es zwischen sozialen Einflüssen und indivduellen Interpretationen keinen Widerstreit, bei manchen aber schon. Und so ein Widerstreit kann Konflikte auslösen, psychische und soziale.
Das kann man zwar alles rational erklären, aber es selbst ist nur zu einem kleinen Teil rational, sondern vor allem emotional. Aber wie gesagt, auch Emotionen sind Konstrukte des Geistes und zum großen Teil parallelisiert mit den Mitmenschen. Und dabei spielt das, was wir an den für uns wichtigen aktuellen Mitmenschen wahrnehmen meistens eine größere Rolle als das, was wir in Büchern, Filmen, Museen oder auf Reisen bei Menschen anderer Zeiten und Regionen als ebenso möglich wahrnehmen. Etwas von woanders her zu übernehmen und in unsere alltäglichen Gesellschaft einführen zu wollen, ist immer ein Kraftakt und bedarf immer wieder der Rechtfertigung und Erklärung, uns selbst und anderen gegenüber. So ist es, wenn wir sagen, Männer hätten schon immer Röcke getragen und täten es woanders immer noch, oder auch wenn wir sagen, Frauen trügen ja auch Hosen, also könnten Männer auch Röcke tragen. Immer wieder müssen wir das uns selbst und anderen sagen, weil wir und die anderen es nicht alltäglich sehen. Es ist nicht alltäglich sinnlich wahrnehmbar.
So bin auch in sozial beeinflusst darin, Röcke als weiblich anzusehen, und das ist immer noch emotional wirklich, auch wenn meine Ratio mir sagt, es sei nur ein Teil der Wirklichkeit. Ich fühle mich vom Weiblichen aber auch eher angezogen als abgestoßen. So waren immer diese beiden Gefühle, mich von femininer Kleidung angezogen zu fühlen und mich zugleich dessen zu genieren oder zu schämen, weil es als sozial unerwünscht gilt, das zu tun. Rationale Erklärungen dagegen sind sozial hoch angesehen, so dass ich lieber mit rationalen Erklärungen über Kleidungsgeschichte und Emanzipation aufwarte, was ja dann auch allgemein gut angenommen wird. Es ist also in sich widersprüchlich, zugleich das Feminine zu genießen und an der Abschaffung der femininen Zuschreibung zu arbeiten, aber so ist das Leben eben oft ambig. Oder wie manche sagen: nicht logisch, sondern psychologisch.
Gestern trug ich z.B. aus der Damenabteilung Rock, Leggings und Stiefeletten. Wenn ich dann an mir herunter schaute, kam mir das schon auch feminin vor. Und ich genoss das auch. Wenn ich eine ähnlich gekleidete Frau sah und für hübsch befand, genoss ich das Gefühl, ihr darin ähnlich zu sein. Und doch wollte ich nicht als feminin wahrgenommen werden, sondern einfach als Mann, der sich emanzipiert hat. Und ein Kollege fragte, dann mal, wie ich denn auf den Rock gekommen sei, ob das was mit Irland zu tun habe. Er hat meine Kleidung also als männlich, nur eben kulturell etwas exotisch wahrgenommen. Ist ja auch gut so. Ich denke, wir müssen nicht immer eindeutige Gefühle haben und auch nicht eindeutig auf andere wirken. Alles vereindeutigen zu wollen reduziert die Kompelxität der Wirklichkeit auf wenige Parameter. Das Leben wird dadurch ärmer. Schöner finde ich es, Ambiguität anzunehmen. Für manche ist das dann ein Aushalten, für andere aber ein Genuss. Oder für dieselbe Person mal ein Aushalten und mal ein Genuss.
LG, Micha