Ich arbeite nun seit fast einem Monat in meiner neuen Einrichtung. Es ist wirklich ein himmelweiter Unterschied und eine Befreiung. Eltern reagieren sehr offen und positiv auf mich, ich wurde mit warmen und herzlichen Worten empfangen und gerade der Umstand, dass ich ein männlicher Erzieher bin ist für viele ein Grund zur Freude.
Ich war schon häufiger in Röcken auf der Arbeit, Nagellack trage ich sowieso immer und ich habe auch Pullover oder Hosen getragen, die eindeutig als Damenkleidung zu erkennen sind. Am Verhalten der Eltern hat das nichts geändert, kein passiv-aggressives Verhalten, keine negativen Schwingungen, keine abwertenden Blicke, keine Kontaktvermeidung oder ähnliches. Was hinter meinem Rücken gesprochen wird, weiß ich natürlich nicht, aber es sind alles Anzeichen, dass es für die Eltern nicht problematisch zu sein scheint. Jedenfalls gab es bisher keine Beschwerden beim Team. Was so ein Wechsel bewirken kann und wie unterschiedlich Familien auf Männer in Kitas und Männer in Röcken reagieren können. Drüben war es ein Cocktail von den übelsten sexistischen Anfeindungen, hier ist mein Geschlecht sogar ein positiv, fast schon euphorisch gewerteter Umstand, der mich zu einer Besonderheit macht.
Die Kinder sind mittlerweile weitestgehend an meinen besonderen Kleidungsstil gewöhnt. Meine Motive oder Muster, der Nagellack, die Leggings und die Röcke sorgen oft in positiver Weise für Gesprächsstoff. Die Kinder finden mich cool und mögen mich. Heute war ich sogar im Hortbereich aushelfen. Die Kinder dort bekommen mich nur selten zu Gesicht, weil sie in einem anderen Stockwerk sind. Sie warfen mir nur neugierige Blicke zu und kamen mit mir gleich ins Gespräch, wobei es da nicht um meine Kleidung ging. Schließlich hatten sie mich beim ersten Aufeinandertreffen gefragt, warum ich einen Rock trage und mit meiner Antwort war das Thema für sie erledigt. Es erinnert mich alles sehr stark an eine andere Einrichtung, in der ich mal im gleichen Stadtteil gearbeitet habe. Meine Kolleginnen sprechen mich mittlerweile auch auf meine Kleidung an und sind immer sehr fasziniert von meinen Outfits. Beispielhaft möchte ich mal anhand meines heutigen Outfits berichten, wie die Reaktionen darauf waren.
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.Ich betrat mit diesem Outfit heute morgen unsere Einrichtung. Unsere Köchin erspähte mich als Erstes und stieß ein lautes, staunendes: "WOW!" heraus und rief "Kinder, schaut mal!" Zwei Erzieherinnen saßen im Flur mit den ersten Kindern am Frühstückstisch. Sie lachten erfreut, weil sie es nur cool fanden. Eine Kollegin sagte: "Das ist ein richtig gutes Outfit. Den Rock würde ich auch tragen, der ist einfach klasse." Danach wurde David Bowie mit Begeisterung aufgenommen und es entwickelte sich ein Gespräch über Rockmusik und die ausgeflippte Herrenmode dieser Zeit. Die Kinder und Erzieher staunten einfach nur über mein Outfit. Die andere Kollegin meinte: "Hast du schon dein erstes Gehalt für Kleidung ausgegeben? Gestern warst du auch schon so chic gekleidet." Sie sagte zu mir: "Zu meiner Zeit war das ein Skandal, wenn Männer Röcke trugen, aber heute ist das doch vollkommen normal." Ich meinte: "Ja, aber leider nicht bei jedem. Es gibt immer noch Leute, die wahnsinnige Probleme damit haben." Sie sagte: "Das sind einfach nur Idioten. Die werden es nie lernen. Das sind die Ewiggestrigen." Sie ist selbst Anfang 60 und lobte mich bereits am Vortag für eine Damenleggings, die ein rotes Tartanmuster trug: "Du erinnerst mich an meine Jugend in den 70ern. Solche Hosen trugen damals die Bay City Rollers. Das war damals der letzte Schrei."
Nach einigen Minuten kam ein Vater mit seiner Tochter in die Kita. Als er meinen Hoodie entdeckte, sagte er: "Hey cool, Yoshi ist auch ein Rocker wie wir." Er erzählte, dass seine Tochter daheim berichtet, dass ich immer so coole Pullover mit Disney- und Cartoon-Charakteren anziehe, aber mit Rockmusik würde ich sie sogar noch mehr catchen. Dann fuhr er fort mit: "Ich mag solche ausgeflippte Kleidung. Heute haben meine Tochter und ich eine Frau in der Bahn gesehen, die hatte knallig rote Haare." Dabei wanderte sein Blick auf meine Beine und er sagte: "Das war so ein Rot wie Ihre..." Er machte eine Pause und überlegte kurz, um dann zu sagen: "Ist das ein Rock?" - "Ja." - "Die Haarfarbe war genauso rot wie Ihr Rock." Das sagte er mit so einer Selbstverständlichkeit, als sei ein Mann im Rock das normalste auf der Welt.
Im Laufe des Tages riefen mich die Kinder "Yoshi, der Rocker" und das Interesse für David Bowie war sogar so groß, dass wir nicht nur sein Make-Up thematisierten, sondern die Kinder auch seine Musik hören wollten. Meine Kollegin holte ihr Handy heraus und spielte einige seiner Klassiker wie "Space Oddity" und "Starman" ab. Danach stöberte sie in ihrem Handy nach Fotos und sie zeigte uns, dass sie sich mal als David Bowie verkleidet hatte. Sie hatte sogar das exakt gleiche Make-Up, wie auf meinem Hoodie. Des Öfteren verkleidet sie sich und geht auf Kostümpartys.
Als erstes Zwischenfazit kann ich sagen, dass es richtig war, wieder in diesen Stadtteil zu gehen. Man feiert mich ja regelrecht für meine Outfits, so wie ich es von meiner vorletzten Arbeitsstelle kannte. Auch wenn das wieder irgendwelche Forenmitglieder triggern wird, aber man merkt schon, dass es ein linksgrün geprägter Stadtteil ist, der mir mit einem ganz anderen Weltbild begegnet. Da wird ein Rock und Nagellack am Mann als Durchbrechen der Gendernormen erwünscht und wird nicht als gefährliche Ideologie gesehen, die kleine Jungs schwul macht. Gerade der heutige Tag hat mich wieder mal auf eine Euphoriewelle gehoben und nach den schrecklichen Erlebnissen der letzten Monate in meiner alten Einrichtung, genieße ich einfach nur diese positiven Vibes der Eltern, Kinder und meines Teams.