Gewohnheiten sind unser stärkstes Verhaltensmotiv. Es wirkt so durchdringend, weil es auf das archaische Erbe als genetisch fixierte Erfahrung baut und auf unsere eigenen, praktischen Erfahrungen. Gerade eine erlebte Erfahrung macht uns zu authentischen Zeugen, weswegen wir selbstverständlich einen Eid schwören würden auf die Richtigkeit unserer Interpretation eines selbst erlebten Ereignisses. Die Wiederholung ähnlicher Erfahrungen verstärkt unsere Überzeugung.
Fakten aus Büchern und Vorträgen, auch wenn sie bewiesen sind, vertrauen wir weniger, weil der Kick des Selbsterlebten fehlt, den unser emotionales Zentrum braucht, um zu glauben.
Das limbische System als Ort der Emotionen hat Priorität im Hirn, weil es evolutionsbiologisch zuerst entstanden ist und mit einem hormonellen Belohnungssystem arbeitet, dass unseren eigenen Erfahrungen starke Gefühle gibt. Die Ratio mit dem Neocortex ist eine spätere Entwicklung, die dem emotionalen Zentrum hierarchisch nachgeordnet ist. Das ist ein weiterer Grund, warum unser Hirn eigenen Erfahrungen mehr Beachtung schenkt als rationalen aber eben nur theoretischen Fakten.
Je häufiger ihr euch im Rock in der Öffentlichkeit zeigt, desto schneller werdet ihr akzeptiert, denn positive Erfahrungen korrelieren mit der häufigen und somit prägenden Wahrnehmung eurer friedfertigen Gegenwart. Eine Rationale braucht es dafür nicht.
Es gibt hier einen alten Priester im Ruhestand, der gelegentlich dem Campuspfarrer hilft. Als ich ihn fragte, wie er es findet, dass Nonnen heute auch Hosen tragen, fand er das völlig in Ordnung. Von dem langen Widerstand der Kirche gegen Frauenhosen wollte er nichts mehr wissen. Das sei doch Schnee von gestern. Ich war völlig überrascht. Dazu wurde doch mal sehr verbissen eine Debatte geführt. Na, wie ernst muss man dann kirchliche Konventionen und Verhaltensrichtlinien, die von der Bibel abgeleitet und theologisch begründet wurden, noch nehmen, wenn sie sich nach einiger Zeit ändern? Auch der Widerstand gegen Frauenhosen brach nicht durch Einsicht, sondern dadurch, dass immer mehr Frauen einfach Hosen anzogen, so dass die kollektive Erfahrung von Frauen in Hosen prägend wurde.