Noch ein Gedanke dazu:
Micha, ich finde toll, wie Du mit einem großen Herz offen mit den Menschen umgehst. Schade, dass da absolut keinerlei Gegenliebe signalisiert wurde.
Ich ringe manchmal auch mit mir, ob ich nun einen Rocker ansprechen soll oder nicht.
Ich stelle mir Eure kurze Begegnung nun gerade mal aus der Sicht der nahe umherstehenden Personen vor; vor allem aus der Sicht derjenigen, die eine Chance hatten, von Deinen Worten auch ansatzweise was mitzubekommen.
Bahnsteig. Beobachter. Zunächst fällt dem Beobachter auf: "Was hat dann der an?" und lenkt einen zweiten Blick auf den Kilt.
Entweder er tut es ab als 'Schotte' oder als 'Möchtegern-Schotte' und interessiert sich nicht weiter. Vielleicht interessiert's ihn doch und guckt noch ein drittes Mal hin - oder immer mal wieder. Vielleicht denkt er sich dabei noch irgendwas, vielleicht aber auch nichts mehr - das im Einzelnen jetzt auszumalen, ist jetzt in diesem Stadium nicht so richtig wesentlich, was er sich noch gedacht haben könnte.
Ausser vielleicht, dass er das anstößig finden könnte und deswegen entweder noch öfters hinguckt oder gerade deswegen gar nicht mehr hinguckt.
Immer noch Bahnsteig. Warten. "Oops, da ist ja noch ein Mann, der einen Rock trägt!" - Vielleicht denkt er: "Na, das ist doch unglaublich, vielleicht wird das gerade modern?' - Auch die verschiedenen Gedankengänge, die da noch verbunden sein könnten sind zu diesem Zeitpunkt nicht so richtig wesentlich.
Dann bleibt der zweite Mann mit Rock beim ersten Mann mit - Verzeihung! - Rock stehen. Gedanke Beobachter: "Ach, jetzt ist es klar, das ist irgendein Grüppchen, Verein, Junggesellenabschied, Event - jedenfalls wird es doch nicht modern, die abweichende Kleidung ist irgendwie deren gemeinsame Vereinbarung."
Dann fallen Deine Worte, Micha: "Das ist aber schön, noch einen andern Rockträger zu sehen." Der Beobachter hört das. Gedanke: "Ach, die kennen sich wohl doch nicht. Doch keine Verabredung. Aber da haben sich zwei gefunden...!" Vielleicht dämmert dem Beobachter, jetzt auch Zuhörer, wieder, dass es vielleicht doch modern werden könnte.
Dann die stoische Nichtreaktion des Anderen. Dann Dein resignierendes, vielleicht enttäuscht klingendes "Guten Appetit!". Du gehst fort vom Kiltmann.
Der Beobachter stutzt: "Na, die scheinen sich aber doch nicht so ganz grün zu sein!" und "Naja, beide irgendwie komische, seltsame, vielleicht auch einsame Menschen! Naja, wer sich auch selbst ausgrenzt..." und so weiter uns so fort... vielleicht. Vermutlich aber ist 'der Käs gesse', aber durch die Beobachtung befällt dem Beobachter das nächste mal bei einem 'Möchtegern-Schotten' oder bei einem rocktragenden Mann wieder so ein klammes Gefühl von 'Arme Deubel'...
Durch dieses Gedankenspiel möchte ich nur aufzeigen, welche Wirkung auf die Passanten, die beobachtenden Menschen haben kann, wenn sich zwei begegnenden 'Rocker' unterhalten - und speziell hier der eine den anderen irgendwie abblitzen läst.
Hätte sich der zweite Mann im Rock innerlich gefreut, dass er nicht der einzige hosenlose Mann auf dem Bahnsteig ist, wäre an eine andere Stelle auf dem Bahnsteig gegangen, dann hätte sich neben der Verwunderung der Beobachter und einem potentiellen Gedanken zu 'Mann muss keine Hosen mehr zwingend tragen' oder 'wird modern' hingegeben.
Deswegen stehe ich immer im Zwiespalt, ob ich einen Rocker ansprechen soll. Wenn solch ein 'Rocker', wie wir hier öfters auch als Rockersichtung beschreiben, ziemlich eindeutig sich in einer anderen Kategorie bewegt als ich, dann stehe ich da überhaupt nicht im Zwiespalt, dann lasse ich das Ansprechen nämlich sein - aus reinen Gründen der Abgrenzung, muss ich zugeben. Ein einziges Mal tat ich's - da kam ich aber fast nicht drumherum.
Ansonsten halte ich es für förderlicher, keinen Kontakt aufzunehmen. Dann können sich die Passanten ihr eigenes Bild machen und auch am ehesten auf den Gedanken kommen, dass es selten, aber vielleicht doch längst nicht mehr so ungewöhnlich ist. Das Nichtansprechen ist in der Lage, die 'Normalität' zu befördern.
Mir ist manchmal dran gelegen, wenn es klappt, möglichst vielen Menschen die Erfahrung zugänglich zu machen, dass da gerade zwei von einander völlig unabhängige Männer was anderes als Hosen tragen. Nur mal zum Beispiel, indem ich versuche, etwa eine Minute später den gleichen Weg zu nehmen wie der begegnete Rocker - oder den gedachten umgedrehten Weg und an den Straßencafés vorbei, an denen der Rocker vermutlich auch vorbeigelaufen ist.
So sehr ich unsere Rock-Treffen auch mag - das gemeinsame Auftreten fällt zwar mehr auf - aber würde jeder scheinbar völlig unabhängig von einander durch die selben Straßenzüge, die selben Geschäfte flanieren, wäre die Breitenwirkung in puncto 'Normalität' am größten.
Aber Micha, ich habe nichts gegen Dein großes Herz...!