Ich bin ganz nah bei den
Gedanken von Micha.
Ich lese da heraus, dass auch ohne als krank zu bezeichnende Konstellationen es Bedürfnisse geben kann, die einen Mann zum Rocktragen bringen. Und das will ich an dieser Stelle noch einmal unterstreichen, wenn auch keiner der letzten Vorredner das wirklich in Zweifel gezogen hat.
Ich finde interessant, wie das von Gregor in seinem erstaunlich perfekten Deutsch als verkürzt verwendete Wörtchen 'krank' - das in unseren Augen so ganz und gar 'unskandinavisch' klingt - wie dieses 'krank' in Folge nun verschiedene Emotionen in uns wachruft.
Die meisten von uns wollen vermutlich nicht als 'krank' gelten. Und im 3. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts klingt ein schlichtes 'krank' auch eher unmodern und ausgrenzend. Ich selbst hatte noch vor einigen Jahrzehnten bisweilen aus meinem familiären Umfeld das Label 'krank' angeheftet bekommen, nur weil ich mich in Hosen unwohl fühlte.
Es ist eben einfach, wenn - wie Micha ja schon angerissen hat - abweichendes Verhalten, also Verhalten, das nicht den gängigen Erwartungen entspricht, als eine Krankheit aufgefasst wird. Wenn kein sichtbares körperliches Leiden vorliegt, dann tut sich die Gesellschaft noch schwer, seelische Krankheiten als solche anzuerkennen, demgegenüber aber leicht, unerwartetes Verhalten als Krankheit zu deklarieren.
Jemandem, der wirklich krank ist, darf man das aber nicht vorwerfen, sondern sollte ihm helfen, sofern man das kann. Und eine solche Hilfe kann eben sein, dass man eine Aufarbeitung unterstützt.
Ganz bei Dir, Micha. Aber hier fällt mir zeitgleich der Buchtitel "Irre! - Wir behandeln die Falschen" von Manfred Lütz ein. Dieser geniale Buchtitel ziert ein Buch, das die Erwartungen, die der Titel weckt im Endeffekt leider doch nicht erfüllt - (ich habe es nicht gelesen, aber einige Rezensionen dazu gehört und das, was der Autor mehrfach selbst dazu gesagt hat). Dennoch liegt mir die Aussage des Titels immer wieder in meinen Gedanken, denn jenseits der wirklichen körperlichen Leiden ist es sehr schwer, zu definieren, was krank oder nicht krank ist.
Ist jedes Leiden eine Krankheit? Gehört ein gewisses Maß an Leiden nicht auch zu unserem Leben dazu? Sind die, die nicht leiden, wirklich nicht doch krank? Viele scheinbar seelisch Kerngesunde verursachen bei ihren Mitmenschen Leiden, oftmals nachhaltiges Leiden. Manche Mitmenschen sind seelisch kerngesund, weil sie die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen niedertrampeln. Wen also behandeln, wen also unterstützen? Wen ungehindert weitermachen lassen?
Eigentlich ist es ein ungeheures schwieriges Feld, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen; mal abgesehen davon, dass es wohl offensichtliche Modetrends gibt, Krankheiten zu definieren, deren früher die Anerkennung fehlte, aber auch deren Vorliegen bestimmten Branchen nützen bzw. gesetzlich zugesicherte Leistungen vielleicht auch manchmal zu vorschnell ausnutzen.
Am ehesten könnte ich für mein Weltbild mir zusammenschustern, dass Krankheiten vielleicht dann vorliegen, wenn der seelische Leidensdruck durch die eigenen Widerstandkräfte nicht mehr dauerhaft kompensiert werden kann. Aber selbst das muss nicht automatisch 'krankhaft' sein, 'hilfsbedürftig' ja, dann sind aber erstmal die Mitmenschen meiner Meinung nach in Verantwortung. Nicht zuletzt auch darin, bei der 'Aufarbeitung' mitzuwirken, soweit sie das auffangen können.
Und nicht jede seelische Krankheit ist mit 'Aufarbeitung' zu lindern oder zu heilen. Ich selbst kenne einige Menschen, die an seelischen Krankheiten leiden. Und je mehr ich mich damit auseinandersetze - und sehe, wie dort 'Aufarbeitungen' auch erfolgreich gelingen können -, desto mehr gelange ich auch zu der Überzeugung, dass vermutlich jeder - und zwar ausnahmslos alle - im Grunde mit Traumata aus seiner Vergangenheit - oftmals in der Kinderzeit - belastet ist. Viele haben Glück, dass diese Traumata sich nicht Bahn brechen bis hin zum intensiven seelischen Leiden - nicht selten sind aber diese Menschen wiederum jene, die unwissentlich das Leiden der anderen verstärken.
Insofern bringt mich mein Gedankenbogen wieder nahe an die Aussage des Buchtitels "Wir behandeln die Falschen".
Ich bin mittlerweile auf dem Standpunkt - gestützt von den paar wenigen Aussagen, die ich von anderen Rockträgern habe, dass ein Wunsch, sich weiblich kleiden zu wollen durchaus einen Hintergrund haben kann, der mindestens teilweise auf eine Kindheitsverletzung zurückzuführen ist.
Diese sollte aufgearbeitet werden.
Deine Aussage wiederum, Chris, hat mich aufhorchen lassen. Mir persönlich ist dies in dieser Form noch nicht zuteil geworden. Aber, wenn Du da nähere Einblicke geben kannst oder magst, wäre ich Dir dankbar.
Ich hoffe nur, dass die Aufarbeitung dieser Kindheitsverletzung nicht immer nur auf das Ergebnis abzielt, den Betroffenen wieder 'auf Spur' zu bringen, damit er sich in die Erwartungen der anderen widerstandlos einreiht.
Ich denke, das wäre bestimmt die Eröffnung eines eigenen Forum-Themas würdig. Im Moment vielleicht noch nicht, da es meiner Meinung nach zunächst noch Raffi und sein pinkes Tutu stark tangiert. Wobei ich weder Raffi noch sein 'pinkenes' Tutu kenne, ich aber vermute, dass es in die selbe Richtung hinausläuft wie der Film 'Ma vie en rose - Mein Leben in rosarot'.