Lieber Wolfgang, lieber Zwurg,
ich beobachte an mir, dass ich manchmal neue Worter oder alte Wörter mit neuen Bedeutungen lerne, darüber nachdenke, was sie bedeuten, auch etymologisch, und dann a) rational mich gegen die Verwendung dieses Wortes in dem Sinn, in dem ich es von andern verwendet wahrnehme, entscheide, weil es meinem Verständnis des Wortes widerspricht und b) dass mich, je öfter ich es in einem bestimmten, für das Wort neuen Kontext höre, ein Gefühl in mir aufsteigt, es auch so zu verwenden, um mich dem sich allgemein verändernden Sprachgebrauch anzupassen.
Ist es das unter b) beschriebene Verhalten, was Ihr unter "natürlicher Sprachentwicklung" versteht.
Beispiel: Das Wort "cool" verwende ich rational, wenn ich damit etwas meine wie "emotionslos", "beherrscht", "unaufgeregt" usw. Ich höre es aber oft im Sinne von "super", "toll", "megasuperaffengeil" usw. Und manchmal kommt in mir der Drang auf, es auch so zu verwenden, aber meine Ratio entscheidet sich dann (meistens) dagegen.
Ist es jetzt also natürlich, dem Drang zur sozialen Parellelisierung zu folgen und auf das rational-etymologische Verständnis des Wortes zu pfeifen?
Und ist es künstlich, ein Wort gemäßt dem rational-etymologischen Verständnis zu verwenden, auch wenn die meisten andern darauf pfeifen?
Ich verstehe emotional total, was Du meinst, Zwurg. Und auch Deinen Einwand, Wolfgang, verstehe ich, wenn auch eher rational, bei den Aglizismen, die man gerne "natürlich" übernimmt "sofern man sie nicht dazu aufstachelt, ablehnende Haltung dazu einnehmen zu wollen". Denn letzteres verhindert ja derzeit die Übernahme des Anglizismus "Gender".
Das keiner die "*innen" spricht, stimmt indes nicht. Ich höre es sehr oft. Selbst tue ich mich etwas schwar damit, sage es manchmal, mal aber auch binär z.B. "Autoren und Autorinnen" oder "Autoren und auch -innen" oder "Autoren, nebst -.innen", und einmal sagte ich "Autor*innen und *-außen", was einen Lacher der Zuhörenden mit sich brachte. Ich finde dies Form des Entgenderns unpraktikabel und unelegant. Aber ein Utrum einzuführen, ob mit a, u, y oder womit auch immer, setzt sich derzeit noch weniger durch, erscheint vielleicht noch "künstlicher".
Welche Möglichkeit gibt denn, die Wörter so zu schreiben und zu sprechen, dass wirklich alle zufrieden damit sind, dass niemand sich diskrimoniert fühlt oder gegen seinen Willen vereinnahmt? Eine solche Regelung zu finden ist wie die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau.
LG, Micha