Es ist genau eine Mischung aus beidem, was Hajo und Doppelrock beschreiben.
Übrigens sehr gut beobachtet und beschrieben, Doppelrock, angereichert mit speziellen, sehr persönlichen Empfindungen des aktuellen Zeitgeistes.
Nicht umsonst sind Säugetiere, gerade wir Menschen, noch so von der Muttermilch und von der Beherbergung in einem Familienwesen weit nach unserer Geburt abhängig, um eben sehr flexibel uns auf die Bedingungen der Umwelt, in die wir hineingeboren werden, einstellen zu können. Bei uns Menschen ist das ein jahrelanger Prozess, der fast ein Viertel unseres Lebens ausmacht.
Und gerade der Schritt der Abnabelung von der - idealerweise - Behütung durch das Elternhaus und das sich auf die eigenen Beine stellen, genau der geschieht in einer von uns gelernten und wahrgenommenen Umgebung, die wir im Nachhinein als die heile Welt empfinden.
Je nachdem, was unsere Eltern vermochten, uns auf den Weg zu geben, verorten wir diese 'heile Welt' eher kurz bevor wir uns auf uns uns selbst angewiesen sind, oder - am idealsten - kurz nachdem wir auf uns selbst angewiesen sind und feststellen, dass wir ohne die bisherige Behütung wunderbar klarkommen.
Das Gefühl, 'die Welt gehöre uns', lässt im Laufe der weiteren Lebensjahre irgendwann mal nach, vor allem, wenn sich ein bestimmter Trott im Leben einstellt, wo die Herausforderungen an uns sich nicht mehr nennenswert verändern. Dann beginnt allmählich das 'früher war alles besser' zu dämmern.
Zuvor hat man diese Redewendung auch benutzt, aber praktisch nur um unsere Großeltern oder Eltern zu persiflieren. Irgendwann beschleicht uns dieses Gefühl jedoch auch - eine relativ automatische Wandlung, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger.
Und doch: Man kann auch etwas dagegen machen, indem man sich selbst neue Herausforderungen sucht, damit der Trott nicht langweilig wird. Oder auch versucht, sehr offen zu bleiben, was die Welt an Erkenntnissen tagtäglich zutage fördert, wohin die kulturellen Errungenschaften inclusive Technik und Meinungs- und Weltbilderströmungen sich entwickeln.
Technik ist ein gutes Stichwort. Denn da trennt sich irgendwann die 'Spreu vom Weizen', will heißen, die aufgeschlossenen und die, die mit den Neuerungen nicht mehr mithalten können oder wollen. Auch was Mode und Lebenseinstellungen betrifft. Irgendwann steigt jeder bei einigen dieser Dinge aus dem Verarbeitungsprozess des Wandels aus und beginnt unweigerlich, die Welt zu vermissen, als sie für einen noch überschaubar und verständlich war.
Und spätestens dann schlägt eben noch Hajos beschriebener Effekt deutlich zu, dass das Erinnerungsabbild vergangener Zeiten deutlich positiver gestaltet wird, als es zur damals durchlebten Phase es sich gestaltete. Besonders das Gute in Erinnerung zu behalten, und die schlechten Erinnerungen abzumildern, gar auszublenden, bis hin zu völlig auszublenden, das ist eine angeborene Überlebensstrategie, die uns innere Kraft und Selbstvertrauen spendet. Nicht erst im höheren Alter, wo es besonders zutage tritt (und manchmal vor lauter Verklärung sogar - von außen betrachtet - ins Gegenteil umschlägt), sondern diese Strategie durchzieht unterschwellig unser gesamtes Leben.
Auch ganz klar, dass im Laufe eines Lebens sich die Koordinaten des allgemeinen Wertesystems sich verschieben. Wenn dieses gefühlt 'nicht mehr im Lot ist', dann wachsen die Verunsicherungen, dann vermisst man die alten Wertekoordinaten.
Und doch, wer wach im Geiste bleibt, der kann sich auch an den neuen Dingen erfreuen, auch wenn der Geist manchmal sich weigert, noch alles an Neuem zu erfassen.
Ich persönlich bin irgendwann ausgestiegen, das, was an Technik hinter dem Internet steckt, genau verstehen zu wollen. Neue Programmiersprachen und Protokolle haben mich einfach nicht mehr interessiert - lass die doch machen, was sie wollen, ich muss nicht alles wissen. Oder damit verbundene Angebote im Bereich Social Media z.B. haben mich irgendwann nicht mehr interessiert, um immer vom Neuesten zu wissen oder dies auszuprobieren. Erst nach und nach erreichen mich ausgewählte Produkte dieses Marktes, mit viel Verzögerung, ja, ich bin also nicht mehr up-to-date, ich gehöre allmählich zu der Generation, die sich fragt 'Wozu?' und sagt 'Das brauchte ich früher doch auch nicht' - dann ist das Urteil 'früher war alles besser' nicht mehr so weit entfernt...
Und doch - ein drittes Mal in meiner Ausführung - gibt es ganz klar Wandlungen, die ich als gut empfinde, die ausreichen zu sagen: "Früher war eben doch längst nicht alles besser!" - Speziell gemünzt auf unser Forenthema muss ich sagen, dass der Zeitgeist von heute deutlich besser geeignet ist, unsere Ziele zu erreichen als noch vor 40 Jahren z.B.
Nur ein letztes Beispiel - auch wenn manche das Thema inzwischen nerven möge. Meine Freundin erzählte mir gestern von einer Studie (oder Umfrage o.ä.), wonach der jüngeren Generation (heute 20, 30 Jahre alt) das Gendern das wichtigste Thema ist, das sie umtreibt.
Insofern, Männers, gedeihen wir hierzulande auf einem günstigen Boden, wo unsere Bedürfnisse deutlich besser verstanden werden als noch vor 20 oder 40 Jahren. Vielleicht rührt auch daher, dass ich in neuester Zeit von auffallend viel jungen Leuten sehr positive Rückmeldungen bekomme.
Früher war eben doch längst nicht alles besser!