Das ist, lieber Wolfgang, wieder so ein langer, ausholender Text von Dir, der aber letztlich den Nagel auf den Kopf trifft, und den ich - evtl. mit kleinen Abstrichen, die aber zu vernachläsigen sind - unterschreiben würde.
Ich will nur noch mal darauf hinweisen, dass "gendern" ja das Sichtbarmachen unterschiedlicher Geschlechter bedeutet. In einem generischen Maskulinum, Femininum oder Neutrum werden die Unterschiede nicht sichtbar gemacht, aber zugleich grammatisch einem der drei Geschlechter eingeordnet. Alternativ dazu gibt es - im Deutschen nicht, aber m.W. im Dänischen - das Utrum, dass keines der drei Geschlechter abbildet, sondern alle gemeinsam - auch die diversen Genderidentitäten - meint.
So ein Utrum wäre für mich die beste Form, es allen recht zu machen - außer den Konservativen, die Veränderungen eh ablehnen.
Ich benutze mangels eines Utrum derzeit am liebsten das Partizip oder den Doppelpunkt. Der hat gegenüber dem Sternchen einen Vorteil: Lässt man sich ein Wort mit Sternchen vom Computer laut vorlesen, liest er z.B.: "Rockträgersterninnen". Beim Doppelpunkt dagegen liest er: "Rockträger innen".
Mündlich wechsele ich dagegen zwischen der expliziten Nennung der männlichen, weiblichen und diversen Menschen oder eben lasse die kleine Lücke im Wort. Nur wenn ich zu faul bin, benutze ich nur ein Geschlecht, meist das männliche, manchmal das weibliche, und das mitunter auch schriftlich in E-Mails oder so.
Vorschreiben tue ich es niemandem, auch nicht meinen Studierenden. Lediglich schreibe ich ihnen vor, es in einem Text einheitlich zu machen. In offiziellen Texten der Uni wird meist binär gegendert: "Professorinnen und Professoren" oder "die Bewerberin/der Bewerber" oder so.
Aber nochmal: "Gendern" bedeutet "zwischen den Geschlechtern unterscheiden". Das Utrum wäre demzufolge ein Entgendern. Und die Sternchen und Doppelpunkte oder auch Unterstriche stellen eigentlich auch ein Entgendern da, weil man da nicht erkennt, welche Genderidenitäten - also soziale Geschlechtsselbstzuschreibung
en - die Menschen jeweils haben. Das betone ich jetzt, weil Doppelrock irgendwo behauptet, es gebe eigentliche Bedeutungen von Wörtern. Das ist nach meinem Versändnis hier zwar auch nicht der Fall, aber es ist die ursprüngliche Bedeutung des Wortes. Umgangssprachlich hat sich der Gebrauch dann aber anders entwickelt.
Im Grunde steckt in dem Widerstand gegen neue Sprachgepflogenheiten aber, wie auch im Widerstand gegen Klimaschutz, gegen Menschenfreundlichkeit gegenüber Flüchtlingen, Migratn:innen, Menschen mit Behinderung, Menschen mit nichtbinären Genderidentitäten und anderem aber etwas anderes. Ich würde mal sagen, dass es am besten mit einem Titel eines Buches aus den 1990ern wiedergegeben ist: "Das Unbehagen an der Moderne" (vgl.
https://www.suhrkamp.de/buch/charles-taylor-das-unbehagen-an-der-moderne-t-9783518287781) (Das Buch sollte ich mal lesen.)
Jetzt könnten wir noch viel darüber diskutieren was die Moderne ist und ihre Licht- und Schattenseiten herausarbeiten.
LG, Micha