Lieber Zwurg,
es ist durchaus spannend, darüber nachzudenken, wie sich die - unsere - Geschichte entwickelt hätte, wenn ein Ereignis (und sei es noch so groß oder noch so klein) anders verlaufen wäre. Dennoch bleiben die Gedanken darüber lediglich Mutmaßungen, reine Spekulation, ja gar reine Phantasie.
(Es gibt Menschen, die sich in ihren Gedanken, was gewesen wäre, wenn etwas in ihrem Leben anders abgelaufen wäre, verlieren und dabei den Bezug zu ihrem Hier und Jetzt verlieren und den Bezug zu den Dingen, wie sie nun einmal unverrückbar sind, verlieren, ja sogar den Bezug verlieren, ihr aktuelles und damit auch ihr nahes und ihr künftiges Leben zu gestalten.)Dein Beispiel, warum Diktatoren einem kurzem, aber Schlimmeres vermeidendem Eingreifen immer wieder entkommen, ruft gerne Gedanken hervor, dass Zeitreisende da mit eingegriffen hätten, die nähere Kenntnis gehabt hätten. Daraus nun einen Beweis ableiten zu wollen, es gäbe wirklich Zeitreisen, halte ich mindestens ebenso für Spekulation, ja reine Phantasie.
Es gibt nun einmal Dinge, die sich per Zufall (dem Zusammenkommen vieler kleiner, nicht mehr überschaubarer Faktoren) ergeben oder die (um bei Deinem Beispiel zu bleiben) sich eben tatsächlich ergeben, weil ein aufmerksam
(wie auch immer) arbeitender Staatsschutz seine Aufgaben ausreichend erledigt hat.
Das Denken ist ja nicht frei von diesen Einflüssen und ändert sich demzufolge dann auch. Und wenn das so ist, gibt es keine Freiheit des Denkens, sondern vorherbestimmtes Denken.
Ja, Micha, vielleicht schweifen wir gerade vom Thema etwas ab, aber es ist doch durchaus erträglich, wenn man zum dem Schluss kommt, es gäbe keine Freiheit des Denkens, sondern nur ein notwendiges, weil vorherbestimmtes Denken.
Vielleicht ist es die Sucht (oder Suche) des Menschen, seine Autonomie in immanenter Selbstüberhöhung sich zu wünschen. Wenn aber Denken (und Handeln) vorbestimmt ist, dann ist es mit mir als denkender, handelnder Einheit eben genau jener Agent, in dem meine komplette Vorgeschichte kulminiert und mit jedem Moment des weiteren Geschichtsverlauf weitere Folgen auslöst. Muss ich mir meinen eigenen Entscheidungsspielraum
* mir zusammenphantasieren? Oder reicht es nicht zu definieren, dass eben ich der handelnde Agent bin, zwar vorbestimmt, aber dennoch so einzigartig individuell, dass keine andere Instanz das Vorherbestimmte völlig vorherahnen kann, sondern einzig ich, meine persönliche Einheit, im jeweiligen Hier und Jetzt und in aller bisheriger Geschichte die unverrückbar einzige Instanz ist, die aufgrund der Vorherbestimmung genau so den Grundstein legt für alles, was danach in Folge daraus entsteht? Ist diese Sichtweise nicht genauso wertvoll wie ein vielleicht in Selbstüberhöhung gedachtes
freidenkendes, freihandelndes Ich?
Mein Selbstzitat von gerade eben: "...genau so den Grundstein legt für alles, was danach in Folge daraus entsteht". Man kann im Nachhinein natürlich denken, was alles anders in der Folge daraus entstanden wäre, dann landen wir wohl genau wieder bei den Mutmaßungen, Spekulationen und Phantasien. Manchmal zwar durchaus spannend, manchmal vielleicht spekulativ lehrreich. Vor allem in der Kunst aber unterhaltend.
Ich habe den Film leider nicht gesehen, ich kann dazu eigentlich nichts beitragen. Nur zu den Gedanken von Euch da drumherum. Mal gespannt, ob meine bisherige und naheliegende Geschichte mich dazubringt, den Film noch anzusehen.
* 'Entscheidungsspielraum' - in anderen Zusammenhängen werde ich diesen Begriff, ieses Bild hier im Forum bestimmt auch immer mal wieder benutzen, als ob es ihn gäbe. In anderen Betrachtungszusammenhängen mag dann aber solch ein Begriff (Bild, Gedankenkonstrukt) durchaus hilfreich sein, Funktionseinheiten so zu benennen.