Lieber Hans,
also zunächst bitte ich um Ent-Schuldigung dafür, dass ich Dir Dinge unterstellt habe, die nicht zutreffen!
Zu meiner Verteidigung muss ich gestehen, dass es mir schwerfällt, mit mehreren Evangelikalen gleichzeitig zu diskutieren und dann die Positionen auseinandner zu halten. Die Androhung mit der Hölle kam von jemand anders, nicht hier im Forum.
Ein Unterschied in der Argumentationsweise zwischen Hajo und Dir ist, dass er von seinem Glauben redet ohne negativ über andere Glaubensweisen zu reden, auch nicht über den Islam. Okay, über die Evolutionsgläubigen redet er in scharfer Abgrenzung, aber auch ohne Diffamierung, wie mir scheint. Hat zum Beispiel nie so etwas gesagt wie "Bibel und Darwins Buch sind wie Wasser und Feuer", obwohl er letzteres für sich ablehnt.
Deine Interpretation der Stellen im Exodus als menschlich und grausam und nicht unfehlbar teile ich. Trotzdem sind diese Stellen Bestandteil der Heiligen Schrift für Juden und Christen. Man kann sie also für zentral wichtig nehmen oder im Lichte wichtigerer Teile der Bibel relativieren. Das ist theologische Exegese und damit Interpretation.
Dass nicht alls jüdischen und christlichen Exegeten die Schrift gleich interpretieren, ist auch klar. Sonst gäbe es a) nicht Judentum und Christentum als zwei Religionen und b) nicht verschiedene jüdische und christliche Konfessionen.
Das ist bei Muslimen in Bezug auf den Koran nicht anders. Und bei anderen Religionen in Bezug auf ihre heiligen Überlieferungen auch nicht.
Wenn ich nun Muslime sehe, die diese Terroristen vom IS, die aus dem Koran das Recht oder gar wie der selbsternannte Khalif Abu Bakr Al-Baghdadi neulich gesagt hat, die Pflicht ableiten, "Ungläubige" zu bekämpfen und zu töten, dann ist das eine mögliche Interpretation, der leider viel zu viele Muslime Glauben schenken. Zum Glück aber immer noch eine Minderheit, sonst stünde schon kein Stein mehr auf dem anderen auf diesem Planeten.
Wenn ich Muslime sehe, die dieser Interpretation widersprechen, und Christen ein frohes Oster- oder Pfingsfest wünschen, so wie mein Freund, dessen Pfingstgruß ich hier neulich zitiert habe, die evangelische Theologie studieren, um das Christentum von innen kennenzulernen, wie in den letzten zwei Jahren drei meiner Studentinnen, die in einem jüdisch-christlich-muslimischen Chor mitsingen, worauf ich letztens verlinkt habe, oder die bei Herrn Barenboim im Orchester mitspielen, um die Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern beenden zu helfen (vgl.
http://www.daniel-barenboim-stiftung.org/d/projekte-in-israel-und-palaestina/) oder die wie Saloua Mohammed islamisch motiviert Menschenrechgsarbeit machen, dann sehe ich da eine Möglichkeit, wie gläubige Muslime den Koran im Sinne einer Friedensverplichtung lesen.
Nun kann ich neutral sagen: Es gibt beides.
Ich kann sagen: Die Fanatiker (IS, Al-Qaida, Boku Haram usw.) interpetieren die Koran richtig. Ich habe den Eindruck, dass Du das tust.
Ich kann sagen: Die friedlichen Muslime interpretieren den Koran richtig.
Ich persönlich sage: Den Begriff der Wahrheit unterscheidend zwischen Wahrheit als Richtigkeit (wie eine Mathematische Lösung oder irgendwas, was man empirisch wissenschaftlich feststellen kann) und Wahrheit als Wirklichkeit (im dem Sinne, was eine heilende Wirkung auf uns Menschen hat), sehe ich, dass die Heiligen Schriften in Bezug auf Richtigkeit nicht immer korrekt sind, und dass sie auch in Bezug auf heilende Wirklichkeit ambivalent sind. Sie sind menschliche Produkte, wenn auch auf der Grundlage von Offenbarungs- oder Erwachenserlebnissen. Sie sind nicht vollkommen. Darin widerspreche ich also Schriftfundamentalisten aller Religionen.
Gläubige Menschen können aber das Potential herausschälen, das in den Schriften liegt. Das sehe ich ja an all den friedlichen Menschen in allen Religionen, die ihre Gesinnung aus ihren Schriften oder anderen Überlieferungen ableiten.
Mir als Nichtmuslim stellen sich nun zwei Möglichkeiten oder drei:
Ich kann den Koran gänzlich verteufeln. Damit brüskiere ich alle Muslime, was dem Fanatikern entegegen kommt, da sie ja Feindbilder brauchen.
Ich kann die gewaltfordernden Interpretationen für korrekt halten, was auch den Fanatikern entegegen kommt.
Ich kann die friedensfordernden Interpretationen für wahr im Sinne der heilsamen Wirklichkeit halten, was den friedliebenden Muslimen entegegen kommt und den Fanatikern nicht gefällt.
Wen will ich also unterstützen, die Fanatiker oder die Friedlichen? Wen willst Du unterstüzten?
Dass alle Wahrnehmung Interpretation ist, habe ich oben schon erklärt. Wenn meine Frau mir sagt "Ich liebe Dich" was meint sie dann? Dass sie mir grenzenloses Wohlwollen entgegenbringt, ganz ohne egoistische Hintergedanken? Dass sie Sex will? Dass sie froh ist, mich zu haben, weil ich ihr was gebe, das ihr gut tut? Drei von mehreren möglichen Interpretationen.
Wenn Du meinst, dass es tatsächlich Schriftstellen gibt, die man nicht interpretieren kann oder soll oder darf oder muss, weil sie ganz eindeutig sind, dann wiederspricht das dem, was ich aus der Erkenntnis- oder Wahrnehmungstheorie gelernt habe. Ich selber vertrete eine konstruktivistische Erkenntnis- oder Wahrnehmungstheorie.
Wenn Du mich besser vestehen willst in Bezug auf diesen Punkt, kannst Du das hier nachlesen:
https://books.google.de/books?id=wjtWcUGEfwUC&pg=PA523&dq=Schmiedel+Dialog+der+Konstrukteure&hl=de&sa=X&ved=0CC8Q6AEwAWoVChMIv4iB6KyHxgIVo5hyCh1EkgD4#v=onepage&q=Schmiedel%20Dialog%20der%20Konstrukteure&f=falseWenn der Link nicht funktioniert, dann google nach Schmiedel Dialog der Konstrukteure.
Ein Problem zwischen Dir (und Ce) einerseits und mir andererseits ist wohl auch, dass wir unterschiedliche Plausibilitätsstrukturen haben. Wir nehmen die Welt unterschiedlich wahr und selektieren demzufolge verschiedenes als wahrzunehmen und als wichtig und als so oder so zu bewerten. Das müssten wir hier mal aufarbeiten.
Ce. habe ich mehrmals eingeladen oder aufgefordert, von seinem Weg zu seinen Ansichten zu erzählen, so woe Du, hajo, Rock aktiv, Harry und ich es getan haben. Er kam dieser Einladung bisher nicht nach. Statt dessen doziert er immer über den bösen Islam und das gute Christentum und wertet jede Relativierung als Glorifizierung des Islam und Schlechtmachen des Christentum. Vielleicht kann er nicht anders. Wir sind alle nicht vollkommen.
Für mich ist es aber sehr schwer, so einen Dialog zu führen. Soll ich das als Herausforderung annehmen? Willst Du und will Ce. es als Herausforderung annehmen? Oder wollen wir uns weiter Schlagabtausche liefern? Oder sollen wir aufhören, weil es eh keinen Sinn zu machen scheint? Ich weiß es nicht.
Den fanatischen Muslimen Vorschläge für eine richtige, also friedliche, Koraninterpretation zu machen, halte ich für sinnlos, da sie nicht auf mich hören würden. Ich unterstütze lieber die Muslime, die nicht fanatisch sind, denn die könnten bei einigen Gehör finden. Ich zeige allen Muslimen, dass ich den Islam respektiere, wenn ich ihm auch nicht folge. Würde ich das nicht tun, wäre das, wie schon oft geschrieben, Wasser auf die Mühlen der Fanatiker. Dieser Verantwortung bin ich mir bewusst. Dich zu fragen, ob Du Dir ihrer auch bewusst bist, verkneife ich mir jetzt, da Du das als Anmaßung ansiehst also interpretierst. Ich will aber nicht anmaßend sein.
Von Ce. allerdings erwarte ich nach wie vor eine Bitte um Entschuldigung, so wie ich Dich um Entschuldigung bitte. Wir sind alle fehlbar, und meistens ist es gut, gemachte Fehler zu korrigieren.
LG,
Michael