Folkiger Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2017-01
(17.03.2017)
Hi Folks,
ich habe eigentlich noch viele Rezensionen nachzuholen, und jetzt sind auch noch die auf MIGRApolis veröffentlichten vom Netz genommen, da ein böser Bursche die Seite mit einem Virus infiziert hat. Mal sehen, was da wiederherzustellen ist und wie der Rest noch zu schaffen ist, so neben allem anderen.
Ich habe jetzt aber das Bedürfnis, mal ein paar Gedanken unters Folk zu streuen:
Seit einiger Zeit kommt mir der Begriff der Heimat wieder öfter in den Sinn und verbunden damit der der Heimatmusik. So nannten meine Altersgenossen in meiner Jugend um 1980 etwas abfällig die volkstümliche Musik, die ich etwas untypisch für mein Alter und meine Generation gerne hörte. Aber tatsächlich fand ich in dieser Musik, sei es bei den Egerländern, den Oberkrainern oder bei Heino mehr von meiner Lebenswelt wieder, als in der Pop- und Rockmusik, die die anderen sich reinzogen. Eine meiner Lieblingsfreizeitbeschäftigun
gen war es nämlich, stundenlang alleine durch Wald, Feld und Flur zu ziehen, Landschaften zu erwandern oder mit dem Rad zu erfahren, Tiere zu beobachten oder auch einem Schäfer und seinen 400 Schafen Gesellschaft zu leisten. So suchte und fand ich meine blaue Blume, und die so genannte Heimatmusik bildete den Soundtrack dazu. Andere Musikstile, die ich gerne hörte, waren vor allem die so genannte Alte Musik und Country & Western Music. Und als ich 1980 im Urlaub im Auto meines Bruders sitzen blieb, der eine Cassette mit einer urigen, mir unbekannten Musik laufen hatte, um diese zu Ende zu hören, derweil er mit unseren Eltern im Restaurant verschwand, kam noch Irish Folk Music dazu, denn auf der Cassette das waren die Dubliners. In deren Musik schien mit alles zusammenzufließen: Volks-, Mittelalter- und Countrymusik gleichermaßen. Die irische Musik bildet seit dem meinen Hauptschwerpunkt.
Seit 2004 rezensiere ich für den Folker CDs von Irish & Scottish Folk Music von außerhalb Irlands und Schottlands. Ein besonderes Qualitätsmerkmal bei der Bewertung der Musik war dabei immer, ob sie a) irisch oder schottisch genug klang, um auch von dort stammen zu können und b) ob es ihre Spieltechnik mit den guten oder sehr guten Musikern von den Inseln oder deren Ablegern in Nordamerika aufnehmen konnte. Wenn man also nicht heraushörte, dass es sich um Deutsche, Niederländer, Dänen, Italiener oder andere Festlandseuropäer handelte, galt mir das als Pluspunkt. Zumindest anfangs war das so, aber es wurde dann doch anders. Ich habe immer Tom Kannmacher im Ohr, der sagte, Irish Folk sei heute so wie Jazz eine internationale Musik mit ethnischen Wurzeln geworden. Ich mag Jazz, kenne mich aber nicht so gut darin aus, um sagen zu können, ob die ethnische, nationale oder regionale Herkunft von Jazzmusikern eine Rolle spielt, ob also herauszuhören ist, wo sie herkommen.
Ich fing jedenfalls irgendwann an, mich dafür zu interessieren, wo die Musiker herkommen, deren CDs ich rezensiere, und ob man das wohl der Musik anmerkt. Vielleicht war es die Band Whisky Trail aus Florenz, deren CD Chaosmos mir gerade deswegen so gut gefiel, weil dort einiges an mediterranen Einflüssen die eigentlich irisch-schottische Musik bereicherte. Dann tauchten immer wieder mal CDs auf, die außer irischen und schottischen Stücken auch bretonische beinhalteten oder balkanische. Letzteres ist seit Andy Irvines Reise durch die Länder Südosteuropas, von der er mal in Rudolstadt erzählte, auch in Irland immer häufiger zu hören. Die Musik von Flook zum Beispiel ist ohne Balkaneinfluss gar nicht vorstellbar. Ab und zu kam dann auch mal eine CD in den Spieler, die das eine oder andere deutschsprachige Lied enthielt, was mir zunehmend gut gefiel: Irische Melodien mit deutschen Texten. Warum nicht?
Über die Klingende Post von Old Songs New Songs hatte sich mein musikalischer Horizont schon gewaltig erweitert. „Weltmusik“ nennt man das ja, wenn Musik verschiedener Kulturen zusammenkommt und aus vielfältigen Wurzeln neue Triebe wachsen lässt. In diesem Zuge kamen dann auch zunächst einzelne Stücke und dann nach der Bestellung auch zwei CDs zu mir nach Hause, die meine Hörrichtung wiederum in eine neue Bahn lenkte: Dorothea von Laïs und Königskinder von Deitsch, erstere belgisch mit flämischem Schwerpunkt, letztere deutsch, beides Beispiele, dass man auch auf dem Festland Folkmusik geben kann, die ihre Wurzeln im Heimatland der Musiker hat, aber so unsagbar gut klingt, wie die der besten Irish-Folk-Musiker.
(Bis hierhin geschrieben im Zug von Hamm nach Köln am 12.7.2016. Jetzt geht es weiter am 11.3.2017 auf dem Weg von Köln nach Bielefeld.)
Hups, acht Monate blieb der Text unvollendet. Wie soll ich jetzt weitermachen? Ah ja:
Auch 2004 lernte ich auf der Waldeck den Walter Liederschmitt kennen, der in der Ruine der Burg Waldeck für Freunde sein Lied „Meine Heimat“ sang, und mit dem ich mich in der Folge anfreundete. Er lenkte mein Augenmerk auf die moselfränkische Mundart, zu deren Gebiet ja auch meine Heimatstadt Lahnstein gehört. Sein Trierer oder gar Konzer Dälches Platt ist zwar etwas anders als das Lohnstener, aber die „uff Platt“ gesungenen Lieder berührten mich ganz besonders, obwohl ich gar nicht im Dialekt aufgewachsen bin. Ich stand seit Kindertagen mit unserm Platt eher auf Kriegsfuß, verband damit eine mangelnde Bildung, Rückständigkeit und Engstirnigkeit. Die Diskurse, die ich im allgemeinen so führte, wurden auf Hochdeutsch gehalten. Walter nun zeigte mir, dass man damit auch diffizilere Dinge als die des Allzutäglichen oder Karnevalistisches ausdrücken konnte. Sicher gab es auch vor dieser Begegnung Mundartgruppen, die ich liebte, wie die Bläck Fööss oder Wibbelstetz. Aber Walter war der erste moselfränkische Musiker, den ich persönlich kennenlernte. So viele gibt es ja davon auch gar nicht, und als Walter 2013 plötzlich verstarb, war die Welt für mich spürbar leerer geworden, nicht nur wegen seiner Musik, auch wegen seiner Persönlichkeit. 2014 lernte ich Manfred Pohlmann kennen, einen sehr liebenswerten Menschen und Mundartmusiker aus Bendorf-Seyn, dessen Sääner Platt meinem Lohnstener oder dem Kowwelenzer (isch sin jo ne Kowwlenzer Schängel, wenn uch ne rechtsrheinische, nämlich gebore in Hoschem) noch näher ist. Über Manfred schrieb ich dann für den Folker einen Artikel, womit ich so richtig einen neuen Schwerpunkt erhielt, nämlich deutschsprachige Mundartmusik, ohne das der des Irish Folk weggefallen wäre. Außerdem war zwischendurch noch Musik aus Südosteuropa und Südwestasien dazu gekommen, wahrscheinlich weil man mir als Religionswissenschaftler eine Affinität zum Orient zutraute, was so verkehrt ja auch nicht ist. Und es passt ja auch voll in mein Konzept, über iranische Sängerinnen zu schreiben, die in ihrem Land nicht öffentlich auftreten dürfen (Mahsa und Maryan Vahdat), über Musiker zwischen türkischer, armenischer und kurdischer Kultur (Kavpersaz) oder über welche von der türkisch-griechisch geteilten Insel Zypern (Monsieur Doumani). Es geht doch immer wieder um die Spannung zwischen Eigenen und Fremdem, zwischen Multikulti und Clash of Civilisations, zwischen „mir san mir“ uns „horch, was kommt von draußen rein“.
Seitdem nun immer wieder Mundart-CDs den Weg zu mir finden, großenteils von Musikern, von denen ich vorher nie was gehört habe, die weder im Formatradio noch im „Stadl“ spielen (wobei sie mich auf diesen Wegen auch kaum hätten erreichen können), erweitert sich mein Horizont von Mal zu Mal immer weiter. Außer den regelmäßigen CD-Rezensionen schrieb ich Artikel über Schmelztiegel aus Schleswig-Holstein, Hüsch! aus Thüringen und jetzt ganz aktuell über Wendrsonn aus Schwaben. Und ich muss sagen, so gerne ich über Geraldine McGowan, Cara Dillon, Cara oder die More Maids geschrieben habe, berührt mich das Mundartthema irgendwie intensiver. Vielleicht liegt es daran, dass Irish Folk & Trad Music der Hauptexportschlager Irlands ist, überall auf der Welt Menschen begeistert und unabhängig von der ethnischen oder geographischen Herkunft gespielt und gesungen wird, während die Mundartmusik eine kleine Nische besetzt und mit den Ressentiments zu kämpfen hat, denen auch ich früher mal auf den Leim gegangen bin. Es ist also nicht nur, dass ich meinen von mir kaum aktiv beherrschten Heimatdialekt hören will, sondern auch andere Mundarten faszinieren mich, egal ob aus Deutschland oder benachbarten deutschsprachigen Regionen. Dabei geht es mir nicht um Deutschtümelei, also auf keinen Fall um einen Rückzug ins Deutsche unter Abgrenzung von anderen Sprachen und (Musik)kulturen, sondern um die Vielfalt. Ich liebe Gerd Westhuisens Buch über die Musikkulturen der Einwanderer. Aber gerade auch die Vielfalt der Dialekte begeistert mich, die Mannigfaltigkeit der Wörter wie „Geheichnis“ (Walter Liederschmitts Lieblingswort), „Madengala“ (das spricht jetzt sicher jeder Nichtschwabe falsch aus) oder „Flöns“ und der unterschiedlichen Grammatiken. Das nun nicht nur rein literarisch, sondern mit Melodie und Rhythmus vorgetragen, geht mir mitten herein.
Abgesehen davon, dass man sich ja in jeder Musik beheimaten kann, die man kennt, die einem gewohnt ist, mit der man sich wohlfühlt, meine ich hier also einen regional-sprachlichen Heimatbezug, wenn er auch bei mir fremden Dialekten der Bezug zu anderen Heimatregionen ist. Da ist es dann einerseits ähnlich wie wenn ich Heimatmusiken aus anderen Teilen Europas und der Welt höre, aber sicher ist auch ein mir fremder deutscher Dialekt mir zumindest etwas verständlicher als eine andere Sprache.
Es gilt jetzt allerdings noch zwei Themen anzusprechen, die es etwas komplizierter machen. Zum einen ist es der Bezug, den einer wie ich, der nicht in der Mundart aufgewachsen ist, zu eben dieser oder anderen Mundarten haben kann, zum anderen ist es die Frage nach den konkreten Musikstilen.
Manche Mundartmusiker sagen mir, im Gegensatz zu englischen Texten, in denen mancher von ihnen gesungen hat, bevor er die Mundart entdeckte, würden die Texte vom Publikum besser verstanden. Aber ist das so? Vor zwei Jahren las ich in einer Zeitung, dass der letzte Mundartredner im Kölschen Karneval vom echten Kölsch auf rheinischen Regiolekt gewechselt sei, weil das Publikum im Saal kein Kölsch mehr verstehe. Und das, wo doch Köln als Mundarthochburg gilt! Das in der Stadt, in deren Musikszene gerade eine Kölschmania um sich greift, die Musiker aus dem Umland anzieht, wie Kasalla und Cat Ballou, die erstmal Kölsch lernen müssen, um es singen zu können. Ich frage mich, warum die nicht einfach auf ihren lokalen Spielarten des Ripuarischen singen, auf Nordeifeler oder Bergischem Platt. Nun, die Antwort, die ich nicht recherchiert habe, wird sein: Weil sie es nicht können. Ich höre junge, mir bis dato unbekannte Bands auf der Bühne, die vor einem Kölschen Lied selbiges standarddeutsch anmoderieren, obwohl sie nicht auswärts, sondern im Rheinland auftreten. Ja, was ist das denn?! Ich erinnere mich an ein plattdütsches, also nord- oder niederdeutsches Lied, in dessen Refrain es heißt: „Min Gott, he snakt keen plattdeutsch mi, und he versteit uns nich“. Manfred Pohlmann erzählte mir, seine Kinder machten sich über seine Aussprache lustig. Und Marcel Adam führt einen anscheinend aussichtslosen Kampf für den Erhalt seiner Muddersproch. Nun ja, letzterer ist Lothringen, und die Lorrainer parlieren lieber Französisch und wenn Deutsch, dann Standarddeutsch, womit man sich in ganz Deutschland verständigen kann, und kein Rheinfränkisch. Ich recherchierte auch einmal nach westfälischer Mundartmusik und fand nur ein Duo in Münster, leider ohne CD, aber Manfred Kehr schickte mir ein Liederbuch (Das Münsterland und seine Lieder). Kurzum: Die Dialekte in deutschsprachigen und ehemals deutschsprachigen Regionen sind auf dem Rückgang oder gar am Aussterben, ähnlich vielen Minderheitensprachen weltweit. So ist der Trend. Aber gegen den kann man ja was tun, und da sind die Mundartmusiker ganz vorne mit dabei. Manfred Pohlmann sagte mir, er höre ab und zu von Hörern seiner Musik, dass diese erstmals die Schönheit ihres so lange verachteten Dialekts spürten. Markus Stricker von Wendrsonn erzählte, dass Bühnenarbeiter nach dem Konzert anfingen, mit ihm Schwäbisch ze schwätze. Und mir geht es auch so: Wenn ich viel Mundartmusik höre, beginne ich in Mundart zu denken und – ja nach Gesprächspartner – zu reden, wobei meine Mundart immer eine Mischung aus Ripuarisch, Mosel- und Rheinfränkisch ist, ich also durcheinander schwaad, schwätz und babbel. Das wäre zumindest mein Desiderat, über die Musik die Vielfalt der Dialekte zunächst als Bühnensprachen zu pflegen, dann aber auch im Alltag wieder zu verwurzeln. Die Bundesländer mit den meisten Alltagsmundartsprechern sind meines Wissens übrigens das Saarland, Bayern und Baden-Württemberg. „Mir kennat fei auch Hochdeutsch, doch mir, mir wellat net“, singen Wendrsonn, und das wünsche ich mir als Motto: Hoch- oder (nicht normativ) Standarddeutsch können, aber mindestens eine Regionalsprache ebenso und beide praktizieren, wo sie hingehören, so wie wir ja auch Englisch oder sonst eine Sprache sprechen, wo sie hingehört. Da gibt es keine Wertrangfolge, nur ist Vielfalt wertvoller als Einfalt.
Die Frage nach den Musikstilen ist eine andere. Wenn man an Irish Folk denkt, dann weiß man, was einen musikalisch erwartet. Zwar ist die Spannbreite zwischen Dubliners, Chieftains und De Danann, Lúnasa, Kíla und Gráda, Clannad, Cara Dillon und den Mahones groß, zwischen Anhängern von Folk und Trad gibt es mitunter ideologische Abgrenzungskämpfe, es gibt Rebelsongs, Pubsongs, Jigs & Reels, Punkfolk und Folkrock, viele singen englisch, manche gälisch, aber doch gibt es eine gemeinsame musikalische Grundlage, auf die man sich bezieht. Dass Chris de Burgh oder die Simple Minds, obwohl Iren, nicht dazu gehören, ist jedem sofort klar, während die eben erwähnten Mahones, eine Irisch-Punk-Band aus Kalifornien, genauso dazu gehören wie ihre rheinischen Namensvettern.
(Jetzt sitze ich wieder im Zug auf dem Rückweg von Bielefeld Richtung Köln.)
Bei der deutschsprachigen Mundartmusik ist es ganz anders, denn sie definiert sich nicht über den Stil, sondern allein über die Sprache. Bands wie die Bläck Fööss, Wibbelstetz oder Wendrsonn haben musikstilistisch ein Repertoire nahezu quer durch die Popularmusik der letzten Jahrzehnte vom Schottisch und Rheinländer über Chanson und Schlager bis zu Blues und Rock, Ska und Hiphop. Die meisten Mundartmusiker sind indes Liedermacher. Die volkstümliche Szene ist dabei recht unterrepräsentiert, wenn man von Bayern und Österreich absieht. Der Freistaat und die Alpenrepublik sowie die Eidgenossen sind aber eh mundartmusikalisch besser aufgestellt als der Rest des deutschsprachigen Raumes. Der Bayerische Rundfunk hat ein Internetprogramm namens „BR Heimat“ und auf diesem freitags- und samstagsnachmittags die Sendung „TradiMix“ mit moderner Volksmusik, ohne Anmoderation, aber mit mitlesbarer Playlist. Da geht es richtig ab, wobei die meisten Stücke und Lieder schon auch musikstilistisch in traditioneller Bayerischer Musik verwurzelt ist, darüber aber viele andere Blüten treibt. So richtig traditionelle Musik kann man auf BR Heimat nachts hören, mehrere Stunden lang eine Hüttnmusi nach der anderen, meistens instrumental und daher auch nicht mundartlich. Walter Steffen hat 2015 einen Film namens „Bavaria Vista Club“ gedreht, der sieben Solisten, Duos und Bands vorstellt, die alle auf Bayerisch singen, wobei aber in dem Film nicht zwischen den bayerischen Regionen und ihren speziellen Mundarten unterschieden. Stilistisch ist da auch wieder vieles dabei vom traditionellen Gstanzl und Jodeln über Liedermacherei und Celtic Folk bis Blues, Hiphop und Ska oder auch afrikanische und karibische Klänge, und alles auf Bayerisch – na fast alles, denn Wally Warning singt Englisch, sein Duopartner Wolfgang Ramadan aber wiederum Bayerisch. Das Label Intraton in Bayreuth brachte zwei Dreier-CD-Boxen mit dem „Who is Who der fränkischen Musikszene“ heraus, in denen neben Fränkisch und Standarddeutsch auch Englisch und anderes gesungen wird und es stilistisch wieder querbeet geht. Viele der Songs könnten sonst woher stammen, aber die Musiker wohnen nun mal in Franken. So ähnlich ging ja auch ProFolk mit seinen Samplern vor, die „Music made in Germany“ vorstellen, aber wirklich multikulti sind. Etwas anders ist die ebenfalls von ProFolk herausgegebene CD „Aufs Maul geschaut“ ausschließlich mit Liedern in diversen Mundarten, inklusive Pennsylvania Dutch und zusätzlich mit einem friesischen und einem jiddischen Lied. Folker-Kollege Christian Rath bringt dienstagsnachmittags im Radio Dreyland die Sendung „Keine Heimat“ und freitags „Zweite Heimat“ mit Folkmusik verschiedener Provenienzen, darunter auch deutsche. „Keine Heimat“ kann man sich auch je eine Woche lang herunterladen. Nochmal zu Bayern möchte ich nur ein paar Namen von Musikern und Bands nennen, deren CDs ich zur Rezension bekam und die mir sehr gut gefallen haben: Ringlstetter, IRXN, Letzte Bestellung, Fredmann Lill, Landmussig, Ohrange, Williams Wetsox, Zweckinger und Helmut Achtner. Aus anderen Bundesländern wären es weitaus weniger: Talking Earthtrust aus dem Saarland, Wibbelstetz aus Nordhein-Westfalen und Wendrsonn, sowie zusammen auf einer CD Badische Bråtwurschtmusig, DanzMäG, Danzvogel, Auf und Ab und die Familienmusik Ehrlich-Knöll aus Baden-Württemberg, sowie Vesselsky & Kühn aus Niederösterreich. Ich möchte nicht aufzählen, was ich sonst noch so habe, außer dass ich aus Hessen noch Saure Gummern und die Hayner erwähnen möchte und eine CD mit Mundartliedern aus Rheinland-Pfalz, die 1996 der SWF aufgenommen hat. Von keinem der auf dieser CD vorhandenen Musiker habe ich je wieder was gehört, außer von Peter Friesenhahn und Mouldahaaf. Mit Ex-Mouldahaaf-Mitglied Manfred Kupp bin ich in gutem Kontakt. Erwähnen möchte ich aber auch Why didn’t they ask Evans aus dem Hunsrück mit unserm Folker-Endredakteur Stefan Backes als Frontmann, eigentlich eine Irish Folk Band, aber nun auch mit eigenen Liedern im Hochwälder Platt. Bei aller Vielfalt ist das wichtigste Kriterium für eine Veröffentlichung natürlich die Qualität der Musik, und da gibt es nichts zu meckern.
So mancher empfindet aber Heimatgefühle nicht nur über die Mundart, sondern will auch typische Musik hören, so wie für Bayern eben Zwiefache, Hüttnmusi, Blasmusik, Jodeln und Gstanzl oder im Rheinland die Schunkellieder voller Rheinwein- oder Kölschseligkeit. Die kann dann je nachdem auch rein instrumental sind oder auf Standarddeutsch gesungen. Traditionelle Tanzmusik und Volkslieder wären nun eigentlich das deutsche Pendant zum Irish Folk in Irland. Wenn auch fast ohne Mundart und leider also solche nicht mehr aktiv, wären da Deitsch zu nennen, oder Hüsch! und manche andere, die beides, Lieder und Tanzstücke miteinander vereinen, so wie viele Iren es tun. Gerade diese Formationen sind denn auch durch die irische Schule gegangen, was zumindest für meinen Geschmack auch sehr zu begrüßen ist.
Im Großen und Ganzen haben wir in einigen Regionen derzeit eine quicklebendige, experimentierfreudige Szene von Mundartmusik, traditioneller Musik und anderen Einflüssen, die „Volksmusik“ nach und nach neu definieren. Wie sagt Christopher Schröck von Zwoastoa aus München: Wir sind das Volk, also machen wir Volksmusik. Oder schreibt er es mit x, also „Volxmusik“? Andere Regionen hinken noch hinterher, haben die regionale Musikkultur noch nicht entdeckt, setzen noch auf überregional oder international. Dabei muss das gar kein Widerspruch sein und sich gar nicht gegenseitig ausschließen. Irish Folk ist ja auch alles gleichzeitig: regional z.B. aus Kerry, überregional irisch und international.
Was ich mir wünsche ist, dass die regionalen Musikszenen mehr Publikum finden und durch mehr Publikum auch noch mehr gespielt, gesungen und getanzt werden und noch mehr Musiker hervorbringen. Manchmal denke ich ketzerisch: Wenn all die exzellenten Irish Folk Bands, die es hierzulande gibt, ihr Können mal in die Musik ihrer Heimatregionen investieren würden …
So etwas muss aber von innen kommen, aus einem Bedürfnis der Musiker heraus. Und da mache ich mir nichts vor, mein Geschreibsel hier weckt das Bedürfnis nicht, aber lest mal im Folker die professionell geschriebenen und redigierten Texte, beileibe nicht nur von mir, sondern zum Beispiel die beiden Artikel über die bairische und die fränkische Volxmusikszene von Ulrike Zöller, und hört Euch die Musik an, im Radio, auf CD und auf Konzerten. Oder fragt mal den Michael Heuser, der ja in Bonn beim Irish Folk eifrig dabei ist, aber ebenso mit Hätze, also mit Herz, bei der Siegburger Mundartband Schäng Bum. Bildet Euch Eure eigene Meinung. Meine kennt Ihr ja jetzt.
Michael A. Schmiedel
PS: Der Text ist einfach so us de la Meng geschrieben. Vielleicht ergänze ich irgendwann Belegstellen und CD-Titel. Wer es nicht abwarten kann, bis ich Zeit dazu finde, aber was wissen will, frage einfach.
PPS: Und teilt mir und den andern Leser*innen des Folkigen Rundbriefes gerne Eure Meinungen zum Thema wieder.
PPPS: Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit habe ich mal auf den Gendergap verzichtet, meine mit der grammatikalisch männlichen Form aber immer alle Menschen, gleich welchen Geschlechts.
PPPPS: So, jetzt am 12.3.2016 ist der Text fertig, sofern etwas je fertig ist. Und noch etwas habe ich am 17.3.2017 ergänzt und ihn ins Netz gestellt unter
http://folktreff-bonn-rhein-sieg.blogspot.de/2017/03/, also am St. Patrick’s Day.