Autor Thema: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock  (Gelesen 4886 mal)

Offline Hyperion

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Es war, also ab ich das erste Mal verliebt wäre und den Entschluss gefasst hätte, meine Liebe zu gestehen: Die Knie zitterten, das Herz raste, die Gedanken fuhren Achterbahn. Alle möglichen Szenarien wurden analysiert und alle möglichen Auswege (sogar Fluchtwege!) und Ausreden und Erklärungen zurechtgelegt.
Enthusiasmus und Schmetterlingen im Bauch. Zweifel und Angst.
Doch meine Entscheidung war unumstößlich: Ich würde im Rock auf die Straße gehen.

Alles hatte ich genau geplant: Nachdem die letzten Kollegen das Büro verlassen hatten und es draußen schon dämmerte, wollte ich mich umziehen und eine Runde um den Block machen. Da mein Büro in einem reinen „Businessviertel“ liegt, war die Gefahr, südländischen Teenagergruppen oder gar Bekannten zu begegnen, fast ausgeschlossen. Der Berufsverkehr war schon vorbei und nur noch einige Spätarbeiter waren auf dem hastigen Weg nach Hause (und hatten dabei hoffentlich wohl eher das Abendessen, als Fashionexperimente im Kopf).

Es war soweit: Krawatte aus, Anzug aus. Das weiße Hemd passte zeitlos zum dunkelgrünen wadenlangen Rock, die schwarze blickdichte Strumpfhose mit den schwarzen Stiefeln rundeten das Bild im meinen Augen ab.
Noch ein kurzer prüfender Blick aus dem Fenster, ob nicht gerade zufällig ein Klassenausflug vor dem Büro unterwegs war und es (vielmehr ich) ging los.

Im Treppenhaus war es bereits dunkel, also alle Kollegen waren schon weg. Trotzdem achtete ich wie ein Luchs auf jedes kleine Geräusch, um jederzeit den Fluchtreflex auslösen zu können und der Entdeckung - durch wen auch immer - zu entgehen. Wenn man so überlegt, eigentlich albern, oder? Ich war ja auf dem Weg auf die Straße, um draußen im Rock rumzulaufen und nicht, um das Laufgefühl meiner Stiefel auf Asphalt zu testen. Klartext: Ich wollte gesehen werden, hatte aber Angst, dass mich jemand sieht!

Von der Eingangstür ging ich die drei Stufen hinab, zehn Meter durch den Vorgarten, durchs Tor und…stand auf dem Burgersteig.
Nachdem ich meine Atmung wieder bewusst kontrollierte, senkte sich der Puls auf erträgliche 140 bpm und schlenderte los. Naja, von schlendern kann eigentlich nicht die Rede gewesen sein, mein Gang erinnerte vermutlich an einen Gauner, der versucht, sich möglichst unauffällig zu verdrücken, dem man aber auf 100 Meter Entfernung ansieht, dass er etwas ausgefressen hat.
Dann der Schreck: Ein Mann in Anzug und Aktentasche kam mir entgegen – und er hatte es nicht eilig. Im Gegenteil: Seelenruhig ging er mir entgegen und es kam mir vor, als ob er jedes Detail seines Weges interessiert wahrnahm. Das nächste Detail was er wahrnehmen musste, war ich – und mein Rock. Einen Mann im Rock!
Wie einen Countdown zählte ich die Schritte runter, bis wir uns begegneten. Dann standen wir uns gegenüber. Er schaute mich kurz an – von oben bis unten – und…ging einfach weiter.
?????
An seinen Schritten hörte ich genau, dass er sich noch nicht einmal umgedreht hatte. Ich hätte platzen können! Feuertaufe bestanden!
Wie auf Wolken schwebte ich den Rest des Weges zurück zum Büro und war für den Rest des Abends der glücklichste Mensch (im Rock) auf der Welt!

Das Eis war gebrochen, die Angst besiegt, die Erkenntnis gereift.
Nun konnte mich nichts und niemand mehr aufhalten, meinen Weg – wohin er mich auch führen mochte – gelegentlich im Rock zu gehen.

Mein Fazit:
Selbstbewusstein heißt das Zauberwort! Ich habe mich entschieden, einen Rock zu tragen und muss diese Entscheidung niemandem gegenüber rechtfertigen. Und eigentlich interessiert es auch fast niemanden. Eben.

Jörg HH

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #1 am: 04.05.2011 17:58 »
Das kommt einen irgendwie so bekannt vor. Das erste Mal. Eigentlich ist es doch immer so. Aller Anfang ist schwer, aber mit jedem Mal wird es immer besser.

Also dann, weiterhin "gut Rock".

Gruß Jörg :)

Offline kalotto

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #2 am: 04.05.2011 18:05 »
Hi, Hyperion, ein wunderschöner Bericht, gratuliere gleich 2x, zum erfolgreichen Zerbrechen des Eises und Deinem Entschluss, weiterzumachen. Es erinnert mich an meinen Rockkauf in Chile und der Rückweg zum Arbeitsplatz, ein Schiff, und das alles durch total macho-angehauchtes Terrain, wie ich meinte. Die stärkste Reaktion kam vom Kaptain, sein Atem stockte. Das hat er nun von seinem Maschinisten echt nicht erwartet. Die Crew war voll auf meiner Seite und alle gewöhnten sich (wohl oder übel) an mein verändertes Outfit...
LG aus dem frühlingshaft warmen Wörthersee, kalotto
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Er kam sich underdressed vor und nähte sich Röcke

Offline Hyperion

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #3 am: 04.05.2011 19:00 »
Tja, lieber Jörg, wenn doch alle Männer wüssten, wie einfach es eigentlich ist und das rein gar nichts dabei ist, wenn ein Mann einen Rock trägt.
Nicht die böse, böse Gesellschaft steht dem berockten Mann im Wege, nein er ist es selbst!
Andererseits, manchmal bedaure ich fast, dass dieses Kribbeln, dieser kleine Reiz des Verbotenen fast verschwunden sind und die Normalität, die sich für mich beim Rocktragen eingestellt hat, fast langweilig geworden ist.

Kalotto: Hihi, als der Kapitän dann zuhause in der Hafenkneipe erzählt hat, dass sein Maschinist Röcke trägt, dachten wahrscheinlich alle: Oh ja, Seemannsgarn vom Feinsten!


Offline Stanley McLeod

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #4 am: 04.05.2011 20:15 »
Hi Hyperion,

war ja echt klasse bei dir.

Ich hatte bei meinem ersten und leider bislang noch letztes Mal leider die Begegnung mit einer Gruppe Halbstarker und musste mir "Transe" und "Schwuchtel" anhören, was mein auch nicht so sehr gesegnetes Selbstvertrauen auch ein wenig erschüttert. Aber die Zeit vorher in unserer nächstgrößeren Nachbarstadt (KA) war gar nicht so schlimm, wie ich vermutet hatte, daher wars quasi positiv und negativ zugleich, aber bislang hatte ich nicht mehr den Mut dazu, zumal meine Eltern, bei denen ich noch wohne meine leicht feminine Art nicht nachvollziehen können und mich öfter damit belehren wollen, dass ich doch männlich sein soll usw., aber egal auch.

Schenk mir etwas von deinem Selbstvertrauen, das würde mir wohl schon reichen ;)

LG Metalstanley
Mutige Menschen können etwas verändern....dann fange ich mal bei mir selbst an ;)

Kilt nicht nur daheim, das ist das Ziel, das ich vor Augen habe!

Offline Hyperion

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #5 am: 04.05.2011 21:56 »
@ Metalstanley:

Danke für deine netten Worte, die ich dir gerne mitsamt einer Portion Selbstvertrauen erwidere.

Wenn ich deinen Nickname richtig interpretiere und die Tatsache, dass du noch Zuhause wohnst, bist du ja noch gar nicht soooo alt  ;).
 Die Generation unserer Eltern ist glaube ich nicht die, die die modische Entwicklung der Zukunft nachhaltig prägen oder beeinflussen wird. Dennoch rate ich dir, den Frieden mir deinen Eltern trotzigen Modeexperimenten vorzuziehen, wenigstens den Bogen nicht zu überspannen. Aber keine Sorge, das Problem mit den Eltern wächst sich spätestens dann aus, wenn du ausziehst.

Den größten Teil meines Selbstvertrauens schöpfe ich aus einer gewissen Gleichgültigkeit. Was kratzt es eine Eiche, wenn sich eine Wildsau dran scheuert? Für die meisten blöden Kommentierer (sehr selten!) habe ich noch nichtmal einen Blick übrig. Wenn der Spruch zu blöd und einfältig ist erwidere ich auch mal, verbunden mit dem geringschätzigsten aller meiner Blicke ein kurzes "...sehr intelligent..." und gehe weiter.

Mit den Halbstarken habe ich weniger Probleme, da die sich dreimal überlegen, ob sie einer vermeintlichen 1,96 m - "Transe", die nicht gerade ein äthiopisches Hungermodell ist, blöde Sprüche hinterherrufen. Was das angeht, kann ich dir wohl leider nicht weiterhelfen, aber beherzige: Wenn du auf dumme Pubertätsmachosprüche antwortest, stichst du meist nur in ein Wespennest.

Die Tatsache aber, dass du hier im Forum bist, zeigt doch deutlich, dass dein Selbstbewusstsein was das Rocktragen betrifft, doch völlig o.k. ist. Weiter so!

Beste Grüße

Hyperion

Offline GregorM

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #6 am: 04.05.2011 23:08 »
Die Generation unserer Eltern ist glaube ich nicht die, die die modische Entwicklung der Zukunft nachhaltig prägen oder beeinflussen wird.

Da hast du sicher Recht. Ich zum Beispiel ziehe klassische Kilts vor.

Gruss
Gregor

PS. Ich habe einen Sohn, der älter ist, als du bist.
Gruß
Gregor

Ingo_ZS

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #7 am: 05.05.2011 05:50 »
Einen herzlichen Glückwunsch zum Outen.
Vielleicht ist es dein nächster Chef, der sich die Umgebung gerade mal
anschauen wollte. Natürlich in Koknito.  :o :o ;D ;D ;)

Was habt ihr eigentlich mit dem südl. Jugendlichen eure Probleme?

Ingo

McMorghey

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #8 am: 05.05.2011 09:55 »
hoi zäme!

ist doch nix dabei!
Kilt an, Türe auf, rausgehen, Türe zu und ... Freiheit geniessen!

Gruess us dr Schwiz
McMorghey

Offline MartinN

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #9 am: 05.05.2011 13:58 »

Es ist doch immer wieder faszinierend. Ich habe schon etliche dieser Berichte gelesen und doch fühle ich immer wieder an mein 'erstes Mal' erinnert. In der Retrospektive staunt man, was man sich für einen Kopf gemacht hat (höhö - genau: Fluchtwege zurechtlegen :)) und dann passiert gar nichts Schlimmes.

Um dir ein 'Willkommen in der Welt der Rocker' zuzrufen ist es wohl etwas spät (denn mittlerweile bist du ja wohl Profi) aber dennoch: Weiterhin viel Spaß am rocken!

Bye, Martin

Sweety

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Re: Kopfkino und Herzrasen – Mein erstes Mal im Rock
« Antwort #10 am: 05.05.2011 14:05 »
hoi zäme!

ist doch nix dabei!
Kilt an, Türe auf, rausgehen, Türe zu und ... Freiheit geniessen!

Gruess us dr Schwiz
McMorghey

;D  ;D  ;D
 ;D  ;D  ;D
Abrr obacht,
ss´isch cool man!


 

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