Geschmack wird vermutlich schon seit Ewigkeiten erforscht, bislang ohne endgültige Resultate. Die Farbenlehre kenne ich nicht gut genug, um darauf bezug zu nehmen, stattdessen versuche ich es mit Musik:
Es gibt eine Reihe von Tönen, die entstehen, wenn man die Frequenz eines Tons immer wieder verdoppelt, die sogenannten Obertöne. Aus diesen Tönen wurden wohl die meisten, vielleicht sogar alle bestehenden Tonleitern konstruiert, die in der Musik benutzt werden. Außerdem hat sich herausgestellt, daß Töne mit relativ einfachen Frequenzverhältnissen, also z.B. 1:2, 1:3 oder 1:4 für das Menschliche Ohr konsonant sind, d.h., sie passen zueinander. Kompliziertere Frequenzverhältnisse dagegen werden als dissonant empfunden. Die Dissonanz ist allerdings in der Musik kein Fehler, es ist ein Gestaltungsmittel, eine Dissonanz wird nämlich aufgelöst, indem ein Ton durch einen anderen ersetzt wird, der harmonisch (konsonant) ist. So entstehen Spannungen, und da in der Musik mehr als zwei Töne gleichzeitig erklingen können, kann der Musiker ein komplexes Netz aus Spannung und Entspannung weben, welches vom Publikum vor allem emotional aufgenommen wird. Ich könnte mir vorstellen, daß Ähnliches mit Farben möglich ist, eine Farbe ist ja nur das Resultat der Lichtfrequenz, so wie Tonhöhe das Resultat der Schallfrequenz ist - aber das nur am Rande, von so einer Theorie habe ich noch nicht gehört.
Da sind jetzt zwei Effekte auf einmal: Zunächst die Konsonanz/Dissonanz, die mehr oder weniger eine Momentaufnahme ist, und dann der Verlauf aus Spannung und Entspannung, der nur als zeitliche Abfolge möglich ist. Ein Outfit ist im Gegensatz zur Musik statisch, also eine Momentaufnahme. Selbst, wenn der Träger sich bewegt, ändert sich das Outfit nicht wesentlich, auch wenn Röcke schwingen, Schals wehen etc. , jedenfalls gibt es keinen dramaturgischen Ablauf, der dem in der Musik entspricht, das Outfit ändert sich nicht, man sieht es nur unter verschiedenen Bedingungen. Bei der Mode bleibt also tatsächlich nur Konsonanz/Dissonanz, bzw. es paßt alles zusammen oder auch nicht.
Zurück zur Musik: Vor mehreren Hundert Jahren galten nur Oktaven, Quinten und Quarten als konsonant, alle anderen Intervalle (Tonabstände) galten als dissonant, man empfand sie als Spannung, die aufgelöst werden mußte. Später kamen die Terzen dazu, und mehr passierte ziemlich lange nicht. Zuerst Im Blues (glaube ich...) hat man gelegentlich darauf verzichtet, bestimmte Dissonanzen aufzulösen, Stücke enden plötzlich "schräge", ohne, daß es uns wirklich stört. Viel weiter geht die atonale Musik, wo auf eine Definition von Dissonanz, Konsonanz und Auflösung verzichtet wird. Wer Gehör und Geist nicht ensprechend geschult hat, empfindet solche Musik nur als Kakophonie, aber es gibt durchaus auch Menschen, die sie als schön empfinden. Tatsächlich steht aber fest, daß Musik, in der Dissonanzen aufgelöst werden, beruhigender ist. Im Rhythmus findet man übrigens auch Spannung und Entspannung, man muß nur mal daran denken, wie viel der Sprachrhythmus über das Befinden des Sprechers aussagen kann.
Ich bin sicher, daß man in der Mode vergleichbare Gesetzmäßigkeiten finden kann. Mit Geschmack hat das natürlich nichts zu tun, sondern mit der Wirkung. Heutzutage weiß fast jeder, daß Socken und Sandalen nicht zusammengehören, man empfindet das als peinlich. Allerdings fällt es mit diesem Wissen auch schwer, wirklich zu beurteilen, ob es wirklich schlecht aussieht. Das macht es für uns natürlich auch in bezug auf Röcke nicht leicht, denn fast jeder lernt ja erstmal, daß Männer keine Röcke tragen. Und das gilt praktisch für alle möglichen und unmöglichen Modekombinationen, passende Regeln lassen sich immer finden. Wer also kreativ sein möchte, der kann mit bewährten Regeln schnell ein stimmiges Outfit entwerfen. Wer aber innovativ sein will, kann anhand der Regeln vielleicht schneller herausfinden, warum ein Outfit nicht stimmig ist, muß aber gleichzeitig einen Teil dieser Regeln brechen, der Entwurf sollte also besser aus dem Bauch heraus kommen, als aus dem Kopf. Da wir als männliche Rockträger nun mal eine der Grundregeln brechen, befinden wir uns in einem ziemlich ungeregeltem Bereich, es sei denn, wir wollten einfach die Damenmode kopieren.
Vermutlich habe ich keine der drei Fragen damit beantwortet, aber das ist alles, was mir zum Thema einfiel.