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Röcke und mehr... => Erfahrungsberichte => Thema gestartet von: Skirtedman am 29.12.2021 22:22

Titel: Eckkneipe
Beitrag von: Skirtedman am 29.12.2021 22:22
Liebe Foren-Mitglieder, auf mehrfachem Bitten stelle ich diesen Text nun nach etwas zeitlichem Abstand auch hier in diese Rubrik "Erfahrungsberichte". Das Original vom 02.11.2021 habe ich im Thread "Was habt ihr gestern getragen" im Mitgliederbereich schon einmal Euch zum Lesen gegeben. Gäste und frische Forumsmitglieder, die auf noch keine 25 Eigenbeiträge kamen, haben darauf ja keinen Zugriff. Drum mit dieser Geschichte für die Forumsinteressierten einen kleinen Einblick, was Ihr im Mitgliederbereich noch so alles entdecken könntet. Mitgliedsbereichs-Mitglieder müssen den Text hier nicht erneut lesen... Hier der Text, der auf ein Bild folgte, das ein von mir nicht allzu geglücktes Outfit zeigte:

Manchmal überwiegen bei mir auch praktische Abwägungen vor schlüssiger Stimmigkeit, wenn es darum geht, ein Outfit zu wählen. Bei Outdoor-Unternehmungen z.B. nehme ich es dann mit dem Style nicht immer so wichtig.

Gestern hingegen hüllte ich mich in meinen Augen in mehr Stimmigkeit:

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(Bild: https://up.picr.de/42366440ex.jpg (https://up.picr.de/42366440ex.jpg))

Eigentlich wollte ich erst was anderes anziehen. Und zwar ein Outfit, das mich aus unerfindlichen Gründen an eine uralte Freundin erinnerte. 'Uralt' in diesem Zusammenhang bedeutet, dass wir uns schon seit ewigen Zeiten kennen. Sie selbst ist aber nicht uralt, sondern noch sehr knackig.

Und ja, dieses Outfit, das mich unerklärlicherweise sehr an sie erinnert, das wollte ich ihr zeigen. Und wir wollten in eine Vorstadteckkneipe, in der sie noch nie war, aber ganz in der Nähe wohnt, und sie da rein will, aber nicht ohne mich da rein will.

Unser erstes Mal in dieser Kneipe - meine Elterngeneration nannte sowas 'Bumskneipe' - mussten wir spontan verschieben. Und so brannte es doch in mir, zu schauen, wie es an diesem Abend in dieser Kneipe ausgesehen hätte. Ausserdem war meine Vorrecherche ausgefallen, die ich manchmal ganz gerne vor Ort mache - vor allem, was auch das Essen angeht, das es da gibt.

Ich selbst kenne diese Kneipe, war da aber ganz selten mal, vielleicht 5, 6 Mal oder ein paar Mal mehr. Das letzte Mal mit meiner persönlichen Freundin als dort ein Fußballspiel lief. Das ist aber auch schon gut zwei Jahre her.

Um das projektierte Outfit, das mich an die zuerst erwähnte 'Kneipen'-Freundin erinnert (merke: hier war inzwischen mal kurz eine zweite Frau erwähnt), um also dieses Outfit zu schonen, schlüpfte ich in ein anderes, vergleichbares. Nicht zuletzt wollte ich die Raumtemperatur begutachten, drum wählte ich gestern ein vergleichbares Kleid mit vergleichbarem Wärmehaushalt.

Und ging so dann alleine in die besagte Eckkneipe. Raucherkneipe. Sehr überschaubare Anzahl von Tischen, Musicbox, Darts und einarmiger Bandit. Die Hälfte der Plätze sind an der Theke, dort im Eck noch ein Tischchen mit einem kuscheligen Zweierbänkchen.
Die einzige Frau in der Kneipe: die Wirtin. Zwei Tische belegt, davon ein langer, am andern zwei Leute dran. Rund um die Theke stehen zwei, drei Leute. Wechselt immer mal ein bisschen, weil die meisten tatsächlich zum Rauchen rausgehen, wahrscheinlich auch zum Lästern über die anderen.

Also die Gäste alles Männer. Der älteste, 'Doktor' genannt, so knapp über 60. Mich nicht mitgerechnet, der zweitälteste so knappe 50. Der überwiegende Rest so grob um die 30. Vom ersten, ja auch vom letzten Eindruck her, alles 'Rotzer', wenn ich mal die Ausdrucksweise von 'culture skirt' (unserer Jule) übernehme.

Ich denke, es hätte keine 20 Sekunden gedauert, und Jule hätte unter Fleischbergen begraben auf dem Boden gelegen - wenn ich Jules wiederholten Schilderungen, Ängsten und Befürchtungen hier im Forum Glauben schenken darf.

Ich hingegen wählte das kuschelige Bänkchen im Eck von der Theke, mit bestem Blick in die Kneipe. Das rote Polster ist nahezu in Pohöhe und somit war von jeder Ecke der Kneipe auch mein Laufwerk unter dem Tischchen gut einsehbar.

Die meisten Rotzer - entschuldigt! - Gäste waren um den langen Tisch diametral auf der anderen Seite des Kneipchens gruppiert. Rein optisch waren das die Vorzeige-Gäste - entschuldigt! - Vorzeige-Rotzer. Irgendwie nahmen die überhaupt keine Notiz von mir, kann ich Euch sagen.

Kurz die Karte studiert, und der Wein kommt an, will zum Glas greifen, steht mir gegenüber der knapp 50jährige Schrank vom langen Tisch und meint breit grinsend: 'Das gibt's doch nicht!"

Er ordert ein leeres Glas von der Wirtin und keine 20 Sekunden später sitze ich inmitten von Fleischbergen - Vorzeige-Gästen - am langen Tisch und darf mir meine Jäcky-Cola von den dort stehenden Flaschen selbst zusammen mixen. Das wäre schon die dritte Flasche Jack Daniels für heute Abend.

Der 50jährige Schrank ist der Adoptiv-Vater von einem gut body-gebuildeten 31-jährigen mit gefährlicher Frisur und noch mehr gefährlicheren Tätos, sowieso sieht man kaum untätowierte Hautpartien am ganzen Tisch. 'Das gibt´s doch nicht', meint erneut der Schrank, der auch gleichzeitig der leibliche Vater des Jüngsten am Tisch (22) ist, "...ich seh Dich schon seit bestimmt 15 Jahren, ach bestimmt noch viel mehr, und ich denke, der zieht sein Ding durch, und jetzt, ich kanns kaum fassen, sitzt Du mit uns hier in der Kneipe!". Und mit Adresse in die große illustre Runde an unserem großen Tisch: "Der hat mehr Eier als wir alle zusammen!".

Naja, auch an unserem großen Tisch gab es immer mal Fluktuationen, wegen was bestellen, wegen Jacky wegbringen, wegen Rauchen oder sonstwas. So kam ich dann auch mit dem ein oder anderen der illustren Runde ins tiefere Gespräch. Und die sagten auch alle immer wieder das Vergleichbare. Einer traute sich, den Stoff meiner hauchdünnen und deswegen auch transparenten Ärmel mit seinen Fingern zu fühlen (eigentlich nicht mein Stil, die Ärmel, aber hatte Lust drauf, und das besagte-Freundin-like-Kleid hätte auch die gleichen hauchdünnen langen Chiffon-Ärmel gehabt). Erstaunen, dass das warm halten soll (ja, erstaunt mich auch noch immer, tut es aber)! In seiner Wohnung (Adresse genannt), in der er mit seiner Freundin lebt, würden sie rausgucken können und so den unteren Teil der Treppe im Treppenhaus sehen. Ihr Nachbar über ihnen trägt auch Frauenkleider und jeden Morgen könnten sie sehen, wie er mit Stöckelschuhen zur Arbeit geht. Kenne ihn nicht, keine Ahnung, ob als Mann erkennbar sein will oder als Crossdresser - wollte das nicht näher vertiefen. "Jeder kann doch tragen, was er will". "Soll er doch!" "Solange er mir nicht an die Wäsche geht, ist mir das doch egal!" So und so ähnlich waren dann die Kommentare aus der Runde.

Mal sass ich auch alleine mit dem 22jährigen bei Jäcky. Seine Statur präsentierte er nicht so stolz wie all die anderen. Auch hat er noch Platz auf der Haut. Er hing ziemlich schlaff auf dem Stuhl und plapperte nur recht wortkarg. Er hätte schon viel erlebt. Zwei von seinen 22 Jahren war er weggeschlossen. Sein Credo, was mich anging, auch genauso. Und machen tut er auch, was er will. Mit Jogginghosen in den Club und so. Ausserdem könnte er nicht mit Gleichaltrigen abhängen, die wären alle doof. Kinder. Aber prima mit Älteren auskommen, so wie die Jungs an unserm großen Tisch, alle um die 30 oder älter, wie sein Schrank - äh Vater.

Unterdessen näherte sich mein ungetrunkender Müller-Thurgau auf dem Ecktischchen vor dem roten Kuschelbänkchen unaufhörlich der Kneipentemperatur an. Und ein zweites Glas Müller stand daneben. Eine Frau in roter Jacke, die sie grade auszog, kuschelte sich auf dem Bänkchen ein und kam meinem Müller immer näher. Bei dem Spelunkenlicht quer durch die Kneipe konnte ich nicht erkennen, ob sie so jung und hübsch ist, wie sie auf den ersten Blick erschien. Oder ob da doch noch mehr Erfahrung in ihrer Haut steckte. Ja, auch ich kann ganz gut mit jungen Damen älteren Menschen. Drum war ich jetzt nicht mächtig enttäuscht, als ich die glattgezogenen Runzeln ihrer Haut erkannte während ich den Zugang zu meinem Thurgau einforderte.

Ja, so saßen wir dann ein paar Müllers und Thurgaus beieinander, und unterhielten uns gut über dies und über das. Sie kam nicht dazu, ihr dickes, auf dem Tisch liegendes, sie fesselndes Buch zu lesen. Der 'Doktor', der die Musikbox bediente und um die Theke schlawenzelte, dann mal am großen Tisch mit den Schränken meinen dortigen Platz einnahm, nahm das Buch zum Anlass, um die Telefonnummer von meiner Banknachbarin zu erschleichen. Sie wisse gar nicht, was sie mit ihm soll - so ihr Kommentar, nachdem sie ihre Rufnummer gab. Kann sie machen, wie sie will. Sie hatte ihre Tochter hier in der Innenstadt besucht, dann streift sie immer noch so durch die Stadt und kehrt irgendwo mal ein. Ja, ins Eckkneipchen hier im Vorort, ja, da wollte sie schon immer mal hin. Sie hatte noch 120 km zu fahren zu sich nach Hause. Und als sie sich verabschiedet hatte, hatten wir kein einziges bißchen über meinen Kleidungsstil geredet.

Tür geht auf, der Cousin von einem der Rotzer vom langen Tisch kommt rein. Sieht mich, "Ach, das gibt es nicht", übernimmt den Platz der Dame, ich lehne das ausgegebene Bier ab, von ihm dann die gleiche Leier, kennt mich, weil ich immer durch die Dingsbums-Straße liefe. Wollte mich schon immer mal ansprechen, hat sich nie getraut, genauso ein Schrank, fast schon zu breit für diese Bank. Sein Cousin kommt vorbei und meint: "Haha, genau das hatten wir alles schon einmal heute Abend". Dann noch ein Türsteher von irgendeinem Club, von dem ich noch nie was gehört habe. Dann kommt Papa Schrank. Und keine zwei Meter neben mir liefern die urplötzlich sich einen Ringkampf. Ich war noch damit beschäftigt, immer mehr dazu zu lächeln, weil ja alles Spaß war. Mein Nachbar aber war blitzschnell mit seinem Arm dabei, um die beiden wieder auseinander zu bringen. Vorzeige-Gäste. War wohl doch kein Spaß.

Alles in allem aber war es ein vergnüglicher Abend. Und ich habe mich gut aufgehoben gefühlt. Und interessant war es in allen Facetten!
Rotzer können so lieb sein...!

P.S. für alle Mitgliedsbereichs-Aussenstehenden: 'Rotzer' ist ein beliebter Ausdruck eines Forumsmitglieds, das so all jene Personen bezeichnet, mit denen es ein missliebendes Verhältnis hat, zum Beispiel Lautlacher auf der Straße, oder 'Schwuchtel'-Rufer oder dergleichen. Ihr werdet dem Ausdruck immer mal wieder begegnen... im Mitgliederbereich...