Hi Folks!
Anbei ein Artikel aus dem vorletzten Zeitmagazin, den ich in Auszügen abgeschrieben habe, da er sich (noch) nicht verlinken lässt. Die ... bezeichnen Auslassungen von mir.
Viel Spaß dabei!
Chris - S
Dass nur Frauen Kleider tragen dürfen, ist eine Ungerechtigkeit der Geschichte – der Mann ist der große Verlierer der Mode.
Männer dürfen heute sehr viel - aber keine Kleider tragen. Nicht weil es gesetzlich verboten wäre. Es ist nur vollkommen unmöglich. Ein solcher Auftritt ist zumindest verstörend. Ein Mann im Kleid braucht immer einen Rahmen, der ihn akzeptabel macht. Eine Travestie-Bühne oder einen Junggesellenabschied. Ansonsten wird ein Kleid als Regelverletzung aufgefasst.
Es ist eine große Ungerechtigkeit. Doch anders als Frauen, die sich mitunter vehement dagegen wehren, dass ihnen die Gesellschaft Bekleidungsnormen aufnötigt, sehnen sich Männer nicht danach, Kleider tragen zu dürfen, warum eigentlich nicht? Kaum etwas wäre für männliche Bedürfnisse geeigneter: ein einziges Teil, das man sich überwirft - und mit dem man dann komplett angezogen ist. Männer haben das im westlichen Kulturkreis praktisch nicht. … Hätten Männer ein Äquivalent zum Kleid, sie würden es ausgiebig nutzen.
Aber das Kleid gehört ganz allein der Frau. Es ist assoziiert mit allem, was man an Frauen faszinierend finden kann. Kein Kleidungsstück harmonisiert unmittelbarer mit dem Körper, kein Kleidungsstück prädestiniert seine Trägerin besser indem es sie verhüllt. …
Der Kauf von Kleidern, das Anprobieren und Vergleichen ist wie ein Selbstgespräch. Deswegen ist es so aufwendig. Eine Frau muss sich dabei mit sich selbst auseinandersetzen und über sich nachdenken. Der Mann steht daneben und versteht es nicht. Das ist das Schicksal des modernen Mannes. Wenn es darum geht, sich selbst zu kleiden, spielen Frauen die Klaviatur vom tiefen A bis zum fünfgestrichenen c‘‘‘‘‘ während Männer schon ganz froh sein können, wenn sie auf der Tonleiter ‚Hänschen klein‘ hinkriegen. Frauen sind mehrheitlich geübt darin, in der Sprache der Kleidung zu kommunizieren.
Männer sind es nicht. Es ist eine Kulturtechnik, zu der sie kaum Zugang haben. Der einzige Grund, warum Männer nicht beleidigt dagegen anmotzen, ist der, dass sie gar nicht verstehen, dass sie benachteiligt sind. Sie sind einfach froh, dass sie weniger Klamotten kaufen müssen. Aber das ist in etwa so, als wenn jemand im Restaurant die Weinkarte nicht lesen kann und deswegen immer mit demselben Bier zufrieden ist. … (historische Betrachtung: Antike, Mittelalter, Renaissance) …
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts stellte sich das Bürgertum gegen den Adel – und dies hatte auch Konsequenzen für die Kleidung. Der Stil der Aristokratie wurde als ‚weibisch‘ verfemt, dagegen idealisierte sich das Bürgertum als männlich. Der Mann trug auf keinen Fall mehr einen Rock. Die Frau aber wurde aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Sie hatte sich fortan um den Haushalt und die Erziehung der Kinder zu kümmern. In der bürgerlichen Gesellschaft gab es keine kulturelle Ausdrucksmöglichkeit mehr für sie. Ihr blieb die Mode. Die Art sich aufzumachen, das Ausfeilen der Nuancen, wurde zur neuen Sprache derer, die ansonsten zur Sprachlosigkeit verdammt waren.
Heute, da sich die Möglichkeiten der Geschlechter annähern, sind Frauen dem männlichen Geschlecht weit voraus. Sie beherrschen die stillen Dialoge der Kleider und probieren sie in neuen gesellschaftlichen Rollen aus. Und der Mann versteht es einfach nicht.