Autor Thema: Vorbild vs. Mut  (Gelesen 1895 mal)

Offline cephalus

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Vorbild vs. Mut
« am: 19.12.2024 10:46 »
Am vergangenen Freitag kam mein großer Sohn mit roten Glitzerfingernägeln und einem sehr auffallendem aber kaum weiblich wirkendem Makeup von der Schule heim.
Dort hatten sie Weihnachtsfeier und die Mädels der Klasse haben ihn dekoriert. Ich fand es cool, eine Alte Frau in der S-Bahn scheinbar nicht.

Ich habe ihn gefragt wie er darauf reagiert hätte:
Er meinte er hätte demonstrativ auf sie herabgeschaut und "buh" gesagt - so hatte ich ihm das nicht beigebracht ::) Aber es wirkte offensichtlich, da er mit seinen 13 Jahren doch schon 185cm misst.



Gestern hat er zwei Klassenkameraden mit nachhause  gebracht, die mich direkt gefragt haben, ob er am Freitag für sein Outfit von mir oder meiner Frau keinen Ärger bekommen hätte.
Er hätte behauptet, dass ich es sogar coolgefunden hätte.
Zu ihrer Überraschung habe ich das genau so bestätigt - ungläubiges Staunen.

Relativ kleinlaut meinte einer beiden, er hätte auch gerne, aber er hätte sich nicht getraut, und auch nicht gewusst ob und wie seine Mutter reagieren würde (Vater irgendwie abwesend)
Ich habe ihn bestmöglich versucht zu bestärken es zu versuchen und wir haben noch ein wenig über das Thema gesprochen, bis ich von meinem Schreibtisch aufgestanden bin.

Er sieht mich fast geschockt an:
"Sie haben ja einen Rock an!"
"Ja?"

längere Denkpause...

Der andere Kumpel aus dem Hintergrund:
"Geil, das würde ich auch gerne mal probieren" an seinen Kumpel gewandt "Digger du nicht? Digger?"

Der bestätigt durch nicken.

Ich schlage ihnen vor, es vielleicht für den Anfang mit Nagellack oder Makeup zu testen, mein Sohn macht es ja vor.

Ja, aber der wäre groß stark mutig und selbstbewusst...

Damit hat er wohl Recht, und das alles in übertriebenem Maße was in der Schule und bei Lehrern nicht immer gut ankommt. Er ist Vorbild und Führungsperson in der Klasse, aber der Mut manches zu adaptieren reicht dann nicht.

Offline MAS

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Antw:Vorbild vs. Mut
« Antwort #1 am: 19.12.2024 11:51 »
Klasse Geschichte, lieber Cephalus!

Zunächst braucht man ja auch als Vorbild Mut, auch wenn man groß und stark ist. Insofern stimme ich dem "vs." in der Überschrift nicht zu.

Und dann braucht man Mut, einem Vorbild zu folgen, wenn dieses etwas Ungewöhnliches tut. Auch da stimmt das "vs." also nicht.

Aber Du meinst es wohl so, dass die Freunde Deines Sohnes ihn als Vorbild ansehen, aber nicht den Mut aufbringen, ihm zu folgen.

Ich kann mir aber vorstellen, dass sie als Gruppe den Mut aufbringen können, zumal, wenn ihr Vorbild sie darin bestärkt.

LG, Micha
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Offline Ludwig Wilhem

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Antw:Vorbild vs. Mut
« Antwort #2 am: 19.12.2024 16:03 »
Auch von mir ein Dankeschön an diese tolle Geschichte, die zeigt, wie verklemmt unsere Gesellschaft ist. Wieviele Jungs würden gerne Röcke/Kleider tragen, aber es stimmt, die Jungs brauchen Vorbilder und Mut, die ersten Schritte im Rock/Kleid waren für mich auch schwer, nach vielen Jahren im Rock/Kleid fühlt es sich natürlich an und bedarf keines Mutes mehr. LG Ludwig
Ich trage Röcke oder Kleider gerne, denn es sind Kleidungsstücke für uns alle.

Offline cephalus

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Antw:Vorbild vs. Mut
« Antwort #3 am: 19.12.2024 16:16 »
Ja, ich war tatsächlich sehr überrascht über das spontane Bekenntnis einen Rock testen zu wollen, gegenüber einem fremden Mann und das in Anwesenheit eines Mitschülers.

Dessen zustimmendes Nicken war für mich allerdings eher gezwungen, er wollte, nach meinem Gefühl, nur nicht widersprechen.


Offline Timper

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Antw:Vorbild vs. Mut
« Antwort #4 am: 20.12.2024 08:28 »
An den beiden siehst du das die Probleme im engstirnigen Elternhaus anfangen und sich fortsetzen.
So wird das nichts.
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Offline Skirtedman

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Antw:Vorbild vs. Mut
« Antwort #5 am: 20.12.2024 09:48 »
Mein berocktes Herz lässt mich träumen,
dass es doch gar nicht so schlecht wäre, wenn Jungens anfangen würden, aus Gruppenzwang einen Rock zu tragen.
Bisher bestand der Gruppenzwang darin, eine Hose zu tragen - und das vielfach sogar, ohne dass das den meisten bewusst wurde.

Offline Timper

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« Antwort #6 am: 20.12.2024 13:10 »
Ich würde es eher Gender Indoktrination nennen. Ein Junge mit Rock, Make-up u Nagellack ist demnach kein Junge sondern ein Mädchen.
Sieh dir doch die Fragezeichen in den Gesichter Fremder an.
Welche Frage wird da kommen? „ Will er ein Mädchen sein oder werden? Trans?“.
Das es ein Ausbruch aus bestehenden  optischen, sozialen Rollen sein könnte wird gar nicht in Erwägung gezogen.
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Offline MAS

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Antw:Vorbild vs. Mut
« Antwort #7 am: 20.12.2024 20:52 »
Nee, einen Zwang durch einen anderen zu ersetzen halte ich für nicht gut. Das gab es oft in der Geschichte, wenn eine politische oder religiöse Richtung über eine andere gesiegt hat. Im Endeffekt revoltieren die Menschen dann gegen alles und schütten sämtliche Kinder mit dem Bade aus. Zwischenzeitig gibt es Frustrationen, Depressionen, Größenwahn usw.

Lieber bin ich Vorbild bei der Freiheit der Kleidungswahl als das ich jemanden zwingen wollte, das zu tragen, was ich schön finde.

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Offline Yoshi

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« Antwort #8 am: 21.12.2024 00:53 »
Ich habe solch ähnliche Gespräche auch schon paar mal geführt. Es gibt einige Männer, die es gerne machen würden, wenn es "normal" wäre. Nicht selten gestand man mir schon, dass man es in den eigenen vier Wänden auslebe, sich aber in der Öffentlichkeit (noch) nicht dazu traue. Davon gibt es tatsächlich mehr, als man zunächst denken mag und von einigen hätte ich es so nicht erwartet. Mittlerweile überrascht mich das aber nicht mehr so sehr.

Ich höre auch öfter, dass man meinen Mut bewundere.

Offline MAS

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« Antwort #9 am: 21.12.2024 01:08 »
Ja, lieber Yoshi, das habe ich auch schon gehört, dass man keine Röcke trägt, weil es nicht normal ist, und dass mein Mut bewundert wird. Aber wir Alltagsrocker zeigen es doch jeden Tag, dass nichts Schlimmes passiert, wenn Mann Rock trägt.

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Offline Timper

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« Antwort #10 am: 21.12.2024 17:43 »
Ja MAS, sicher passiert nichts außer Blicke. . Dennoch fühlt man sich immer etwas komisch als Exot. Man hat immer das Gefühl 10000 Blicke und Stirnrunzeln abzubekommen.
Letzte Woche war ich zu einem Punk Trödelmarkt und war ein längerer Strecke dahin zu Fuß unterwegs. Sehr belebte Gegend, Verkehrskotenpunkt, Warschauer Straße, , S Bahn, U Bahn…
Man kommt sich wie ein bunter Hund vor.😂. Ich glaube das wird man nie los.😂
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Offline Albis

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« Antwort #11 am: 25.12.2024 12:00 »
@cephalus: Kompliment an Dich und Deinen Sohn! Ihr leistet hervorragende Arbeit.  :)

@Timper: Im Friedrichshain laufen nach meiner Erinnerung doch viele bunte Hunde rum. Zumindest hatte ich das Gefühl, wenn ich dort war, weniger als in anderen Gegenden wahrgenommen zu werden.

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Offline Timper

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« Antwort #12 am: 25.12.2024 12:48 »
Ja Albis, da hast du nicht ganz unrecht.
Bisschen komisch ist es trotzdem.
Kopfsache halt.
Wird man nicht los. 😅
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Offline Timper

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« Antwort #13 am: 25.12.2024 14:37 »
Noch was was irgendwie auch Erfahrung ist: zuletzt war ich in Clubs wo kein Dresscode bzw. etwas interessanteres Outfit gewünscht ist. Dh ein Großteil erscheint in ihren „Jeans-Aldi-ich räume die Speisekammer auf“ Klamotten.Ich dagegen finde das doof, bin’s auch durch andere Clubs anders gewöhnt und krame dann was schöneres raus. Folge ist man fühlt sich overstylt. Auch komisch. Dieses subtile Gefühl kann man natürlich versuchen zu ignorieren aber ganz klappt das nicht. Ganz auffällig ist das bei Männer. Die meisten schlagen so auf wie sie auch den Keller aufräumen. Furchtbar.
Ein Club in einem Kiez ( Moabit) ( Slauterhouse) ist da besonders so.
Mag zwar typisch dort sein, ich finde es jedenfalls blöd, unpassend.
Nicht mein Favorit. Da gibt’s anders mit besseren Publikum, schönen Outfits und besseren Ambiente. Das Auge isst mit!
Aber das ist wohl auch Zeitgeist, zumindest dort.
Und da  spielt es dann auch nur eine untergeordnete Rolle was für Musik dort läuft. Alles steht in einer Wechselwirkung. Auch hierbei. Stimmt das eine nicht , passt der Rest auch nur noch halb.
Und was sogenannte Dresscodes angeht hat bestimmt so mancher hier falsche Vorstellungen. Es geht nicht darum wie Uniform gleich auszusehen sondern einen gewissen grossen Rahmen kreativ zu interpretieren , da passt also viel rein. Letztlich führt das trotz der Unterschiede  bei der Interpretation zu einem "Wir" , zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl. Männer haben da in der Regel massive Schwierigkeiten, von Natur besitzen sie halt keine Kreativität, sind  massiv gehemmt aus der Rolle zu fallen. Klares soziales Defizit! Von Natur aus mehr auf dicke Oberarme programmiert. Wahrscheinlich Reste aus der Steinzeit. Dauert noch etwas. Das da manche Clubs mit einem Dresscode nachhelfen müssen ist halt zwingend. Mancher wird dann auch nach Hause geschickt mit der Aufforderung im Schrank nochmal zu suchen. Lehrgeld, gut so.
Oder er darf dann da hingehen wo Kohlenkellerklamotten also Workerklamotten (auch Jeans genannt) normal sind und niemand stören.
Da darf dann der Streetwearromantik weiter gefröhnt werden. Gleiche bleiben eben gerne unter sich.
Wie weit das reicht erlebte ich vor kurzem bei einem Treffen wo jemand was von Verkleiden erwähnte und ich ihm klar machte das man sich verkleidet um was darzustellen. Zb. mit einer Uniform einen Polizisten.  Ich , ein Bekannter und alle anderen kleiden sich! Niemand stellt was dar! Das ist nicht Absicht. Man hübsch sich auf. Das ist es! Ansonsten könnte man auch soweit gehen und sagen jeder der mit weissen Hemd und Schlips zum Chef geht verkleidet sich. Ob der Bekannte dem folgen kann weiß ich nicht. Ist mir auch völlig egal was er denkt. Und irgendwie nimmt diese Egal massiv zu. Und darüber freue ich mich für mich. 
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« Antwort #14 am: 25.12.2024 17:24 »
Lieber Timper,

ich kann das so für mich nicht bestätigen. Ich meine, ich werde von den meisten andern Menschen nicht anders wahrgenommen als in Hosen. Manchmal ein kurzer Blick, dann aber ein normales Gespräch.

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Offline Uckermärker

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Antw:Vorbild vs. Mut
« Antwort #15 am: 26.12.2024 00:53 »
... Männer haben da in der Regel massive Schwierigkeiten, von Natur besitzen sie halt keine Kreativität, sind  massiv gehemmt aus der Rolle zu fallen. Klares soziales Defizit! Von Natur aus mehr auf dicke Oberarme programmiert...

Ja, Timper so ist das! Männer lieben es heute uniform - nur nicht auffallen (ein besonderes Einstecktuch darf es jedoch schon sein  :o)
Und das ist gar nicht so schwer - neben ihren Partnerinen sind Männer eh unsichtbar - bestenfalls Assessor (Coco Chanel).

Letztens war eine Kundin zum ersten Mal bei uns im Geschäft - an 2 Tagen hintereinander. Am 2. Tag kamen wir auf mein Outfit zu sprechen und sie meinte, dass ihr mein Outfit Tags zuvor besser gefallen hat - Oberhemd und Rock waren farblich abgestuft - nicht wie gerade im Kontrast.

Ich war echt baff, dass sie nicht nur mein Outfit bemerkt, sondern auch die Farben in ihrem Gedächtnis gespeichert hatte.

Als Mann im Rock bzw. Kleid scheint es unmöglich zu sein nicht aufzufallen.
Mittlerweile aber genieße ich die 1000 Blicke gerade zu - macht mir richtig Spaß  ;D

Ist die Angst aufzufallen kulturell bedingt - von unseren Müttern (die uns beschützen wollten) auf uns übertragen oder von der Gesellschaft angezogen?

Während ich erlebe, dass Frauen begeistert sind wenn ich als Mann mich traue modisch die Komfortzone zu verlassen - so erlebe ich als "Abweichler" von anderen Männern eher Ablehnung bzw. Unverständnis.

Vor der französischen Revolution waren Männer doch recht farbenfroh gekleidet und auffallen war noch Pflicht!

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Offline Skirtedman

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Antw:Vorbild vs. Mut
« Antwort #16 am: 26.12.2024 04:28 »
Auch wenn Du nur ein einziges Fragezeichen verwendest, so wirfst Du doch eine ganz Reihe komplexer Fragen auf.

Natürlich haben unsere Mütter uns überwiegend so erzogen, wie sie und ihr damaliges Umfeld beim Blick auf die Gesellschaft das interpretiert haben, was "die Gesellschaft so tut", was so üblich ist. Vielleicht waren sie geprägt von Vorstellungen, wie man zukünftig manches besser als bisher machen könnte. In unseren Generationen dürfte sich dies sich vor allem in der Erziehung von Mädchen niedergeschlagen haben, weil die Wahrnehmung verbreitet war, dass die Situation von Frauen und somit auch künftiger Frauengenerationen verbessert werden sollte. Darum war mit Sicherheit es den Müttern wichtiger, wenn sich Mädchen von dem, was in der Gesellschaft so üblich ist, mehr unterscheiden und somit dadurch "aus der Rolle fallen". Ohne Emanzipationsbewegung wäre 'unseren Müttern' es gleichermaßen unangenehm gewesen, wenn die Kinder, egal ob Junge oder Mädchen, aus der Rolle fallen würden. Aus der Rolle fällt jedes Kind, weil von Mensch zu Mensch bestimmte Unterschiede auftreten, aber dieses individuelle Abweichen vom Durchschnitt bewegt sich in einem anderen Rahmen, als das, was "die Gesellschaft" für Rahmen vorgibt.

Typisches Beispiel, wo meine These wegen dem Einfluss des (Frauen-)Emanzipationsgedankens abzulesen ist, sind Gemeinschaften, in denen solcherlei Gleichstellungen nicht praktiziert werden, wo also der Emanzipationswille nicht vorhanden ist: z.B. bestimmte religiöse Gemeinschaften wie die Amish. Da ist ein Aus-der-Rolle-Fallen weder für Mädchen noch Jungen nennenswert möglich. Weder im Rollenverständnis noch in der Erscheinungsform (Kleidung). Da sind Farben und Muster der Frauenkleider genauso starr festgelegt wie die Karos der Männerhemden.

Im Vergleich zu unseren weiblichen Altersgenossinnen sind wir also aufgrund der Emanzipationsbewegung durchschnittlich mehr gehemmt. Doch was unsere Mütter an uns weitergegeben haben, waren letztlich die Bilder, die aus dem Üblichen in der Gesellschaft bezogen wurden - bestenfalls etwas animiert/verstärkt durch eigene Überzeugungen (siehe Emanzipation).

Eine Unterscheidung zwischen Erziehung durch unsere Mütter, und was wir selbst aus der Gesellschaft bezogen haben, ist kaum auseinander zu halten, denn da wirken die selben Bilder. Allenfalls mag den Unterschied ausmachen, da das zeitliche Kontinuum mit langsam sich wandelndem Zeitgeist eine Rolle spielt, wenn wir mit zunehmendem Bewusstsein mit eigenen Augen uns von der Gesellschaft prägen lassen. Zum einen gibt es den unmittelbaren Kontakt mit der Gesellschaft, der stark von unserem "Milieu" abhängt, was da wie uns prägt. Zum anderen sind es die medialen Kanäle, die uns ein Bild der Gesellschaft abgeben, wovon abhängt, aus welchen medialen Plattformen wir uns da beeinflussen lassen; hier hängt es auch stark von den eigenen Interessen ab. Nutzt man mit Vorliebe eher Spiele - Games muss man da heute eher sagen - ergibt sich eine andere Prägung als aus dem Konsum von billigen Vorabendserien (die inzwischen jederzeit gestreamt werden), oder aus dem Lesen literarischer Klassiker, oder aus der Vorliebe, Kinofilme im Kino oder Fernsehen zu konsumieren, oder man sich eher auf der Suche nach Informationen durch die Medien bewegt.

Auch der direkte Kontakt mit der Gesellschaft, jenseits von Ausbildung oder Job, ist teilweise von den eigenen Interessen geleitet. Ein Briefmarkenverein wird andere Gesellschaftsbilder vermitteln als ein Sportverein oder eine Musikschule. Auch die Menschen, mit denen man sich umgibt, sind vom eigenen Interesse abhängig. Ein anderer großer Teil des direkten Kontakts mit der Gesellschaft (immer noch jenseits von Ausbildung und Job) ist eben von weniger frei wählbaren Faktoren wie soziales Umfeld des Elternhauses oder das Umfeld des Lebensmittelpunktes und sozialer Schichtung bestimmt.

Das alles - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - beeinflusst, welche Interpretation wir selbst uns bilden, was in der Gesellschaft so üblich ist. Die elterliche Erziehung ist nur ein komprimierter, gefilterter Startimpuls und ein gewisses Korrektiv, was aber nicht sonderlich vom gesamtgesellschaftlichen Bild abweicht.

Vielleicht liegt doch es auch ein wenig an unserer 'männlichen Natur', wenn wir selbst eher weniger "aus der Rollen fallen" wollen, als Mädchen / Frauen es tun. Vielfache Studien haben ergeben, dass Jungs im Vergleich zu Mädchen typischerweise "homosozial" agieren. Das fängt so etwa im Alter von 6 Jahren an, je nach Kulturen differiert das so plus minus zwei, drei Jahre. Noch wesentlich verstärkter tritt diese "Homosozialität" bei Jungs um die 10 bis 12 auf. Auf dieses Bindungsverhalten bauen spätere Peer Groups und z.B. berufliche Seilschaften auf.

"Homosozial" (hat nichts mit Homosexualität zu tun) bedeutet, dass man lieber Freundschaften / Begegnungsbeziehungen unter Mitgliedern des eigenen Geschlechts sucht.  Das heisst, die soziale Interaktion sucht man eher beim eigenen Geschlecht. "Homosozial" ist auch unter Mädchen und Frauen stark vertreten, aber scheinbar neigen Männer im Erwachsenenalter deutlich mehr dazu. So jedenfalls ist die feministische Darstellung, die damit eben die männlichen Seilschaften erklären will, die eine vollständige Frauenemanzipation z.B. in Beruf und Politik beträchtlich zu erschweren scheint.

Irgendwo zwischen 6 und 10 Jahren Alter finden dann "homosoziale Gruppen" alles vom gesellschaftlichen Erwartungsdruck Abweichende "irgendwie doof". Bei den Jungs wird dann das "Weichei" deklariert, um abweichendes Verhalten auszugrenzen - oder als Korrektiv abzuschaffen.

So entsteht ein automatischer Prozess, dass die Teilnehmer solcher Peer Groups (und sei diese auch nur bestehend aus den Lieblingsschulkameraden) auf Spur eingenordet werden. Da man individuell (aufgrund von Interessen, Aussehen, Befähigungen) ohnehin schon abweicht, ist es wichtig, mit den formbaren Faktoren dazuzugehören.

Von da kommt auch der Drang der Männer, dazugehören zu wollen. Der Drang, nicht abzuweichen. Der Drang, sich wie die Peers in schwarz-weisse Synthetik-Klamotten zu kleiden, die Schuhe des selben Labels zu tragen, oder später zumindest im Karohemd und Jeans, oder dann im Anzug sich möglichst anzugleichen. Und nicht aus der Rolle zu fallen.

Gerade die beruflichen Seilschaften sind es ja, die einen angleichenden Drang verlangen. Denn auf dem Karriereweg will man seinem Vorgesetzten möglichst gefallen, um als mögliche Nachfolge aufgebaut zu werden. Da werden dann die begrenzten Vorstellungen von oben nach unten, quasi von älter nach jünger, weitergereicht. Ein allzu großes Aus-der-Rolle-Fallen behindert die Teilnahme an den vertikalen Seilschaften. (Auch in horizontalen Berufsbeziehungen, z.B. bei Kundenbeziehungen, werden solche Rollenbilder weitergereicht.)

Solange an den entscheidenden Stellen überwiegend Männer sitzen, wird sich an diesem Mechanismus kaum etwas ändern. Vorteil für Frauen in dieser vertikalen Hierarchiestruktur ist, dass sie gerne als Abwechslung und als schmückendes Element gesehen werden und sich durchaus auch auf der Karriereleiter nach oben "hochschlafen" können, aber auf der Karriereleiter fast nie so hoch wie ihr männlicher Gönner. Frauen haben hier nur eine Chance, wenn eine übergeordnete Personalabteilung eine Stelle von aussen besetzen muss, weil es keine "homosoziale" Seilschaft gibt. Oder aufgrund familiärer Änderungen (z.B. Tochter ist einziges Kind des Unternehmers, oder Bruder weggestorben oder verkracht).

Demgegenüber bauen auch Frauen in entscheidenden Positionen gerne "homosoziale" Seilschaften auf. D.h. dass ein Mann aus den eigenen Reihen auf eine vakante Stelle aufsteigt, die zuvor eine Frau besetzt hat, ist genauso relativ unwahrscheinlich wie umgekehrt.

Es heisst, Männer würden ihre Aktivitäten / Freundschaften, ihre "Homosozialität" eher parallel ausüben, d.h. sie schauen überwiegend währenddessen in dieselbe Richtung. Frauen hingegen schauen sich gegenseitig an (Kaffeekränzchen z.B.). Männer agieren gemeinsam eher mit Dingen. Frauen agieren gemeinsam eher mit sich selbst, also untereinander. Auch ein Punkt, der etwas genetisch bedingt sein kann. Männer konkurrieren dabei eher, mit einer dadurch einhergehenden Machtstruktur. Frauen kooperieren dabei eher, mit einer dadurch einhergehenden Ebenbürdigkeit - so die Wahrnehmung.

Wieviel gerade die bei Männern wohl stärker ausgeprägte Homosozialität in der Genetik begründet ist, oder die Vorlieben für Konkurrenz vs. Kooperation, ist unklar. Ein bisschen Genetik mag da mit drin stecken.

Ich glaube aber eher, dass da ein recht altes kollektives kulturelles Erbe über das ganze Generationenkontinuum hinweg sehr wirkmächtig ist, gespickt mit alten Erfahrungen / Vorstellungen z.B. aus dem Rittertum, den Religionskriegen, dem Preußentum, den Weltkriegsschlachten, dem Wirtschaftswunder etc.

Ich denke, es ist ein Riesenhaufen kultureller Ballast, den wir mit uns tragen und an dem wir zu knabbern haben, den unsere "Spezies" Mann da nicht so ohne weiteres abschütteln kann.

Lasst uns Mut haben, was zu ändern! Zeitgeist ist träge, lässt sich aber ändern.
Lasst ihn uns verändern, wie wir ihn für richtig halten!

Nur Mut! Vielleicht führt es ja sogar dazu, für irgendwen ein kleines Vorbild zu werden.

Offline Uckermärker

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« Antwort #17 am: 26.12.2024 11:01 »
Diese Peer Groups sind dann praktisch Identitätsstiftend - es geht nicht um mein Wohlbefinden (Tragekomfort/Wohlfühlfarben) - es geht ums Rudelverständnis.

Zugegeben - ich war noch nie der Peer Group Typ. Zu DDR Zeiten waren "alle" bei den 'Jungpionieren' ... bei der FDJ usw. weil man (meistens die Eltern) sich davon Vorteile bei der späteren Berufswahlmöglichkeiten versprochen hat.

Meine Eltern hielten davon zum Glück wenig.
Als Christ war man damals schon automatisch in der "Opposition". Gegen den Strom schwimmen kenne ich so von klein auf und hab Spaß daran - ich hinterfrage gerne.

Also es scheint, dass man gerne im kulturellen Rahmen bleibt, weil man sich davon Vorteile erhofft.

Doch ich Frage mich warum z.B. Brad Pitt nur einmal öffentlich Rock getragen hat. Hat nicht mal er Mumm aus der Reihe zu tanzen oder würde es seine Männlichkeit in Frage stellen?

Frauen dagegen lieben es ja einzigartig zu sein - wie ein besonderer Edelstein, den man unbedingt haben muss. Sich als Frau zu schmücken scheint in fast allen Kulturen ein Grundbedürfnis zu sein.
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« Antwort #18 am: 26.12.2024 13:20 »
Stichwort Frauen! Hat sich bei aller männlichen Selbstkritik und Eigenschuld Zuweisung eigentlich mal jemand ernsthaft Gedanken gemacht wie groß ihr Anteil an der Rollenbildmiesere ist?
Machen wir doch nichts vor , wenn auch von ihnen Impulse kämen, sie nicht immer die starke Schulter und ggf den finanziellen Ernährer suchen würden , wäre man auch schon ein ganzes Stück weiter. Es herrscht doch immer noch das Rollenbild des starken Partners vor. Liest man hier zb auch bei Probleme mit den Partnerinnen. Frauen wollen jemanden im Holzfällerhemd und nicht in der Spitzenbluse!  Überspitzt gesagt.
Bei aller Selbstkritik sollte man Frauen keines Falls aus der Verantwortung entlassen!!!
Ganz fest meine Meinung!!!

Zu Brad Pitt- das war doch nur Show. Schaulaufen für der roten Teppich.
Und das in einem Kilt. Was wäre gewesen wenn er im bedruckten Kleid erschienen wäre? Nein, da gibt es ganz andere Vorreiter! Ganz sicher. Jene ohne Promi Bonus. Die ganz, ganz wenigen und kaum sichtbaren.
Jeder hier bringt der Sache mehr als ein Schauspieler.
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Offline Forgotten Fashion

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« Antwort #19 am: 26.12.2024 19:21 »
Ich bin immer wieder erstaunt, wer sich in meinem Umfeld schon alles Roben von mir nähen ließ, um sie auf LARP oder Mittelalterveranstaltungen zu tragen. Und alle haben bestätigt, dass es im Sommer nichts angenehmeres gäbe.


 

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