Auch wenn Du nur ein einziges Fragezeichen verwendest, so wirfst Du doch eine ganz Reihe komplexer Fragen auf.
Natürlich haben unsere Mütter uns überwiegend so erzogen, wie sie und ihr damaliges Umfeld beim Blick auf die Gesellschaft das interpretiert haben, was "die Gesellschaft so tut", was so üblich ist. Vielleicht waren sie geprägt von Vorstellungen, wie man zukünftig manches besser als bisher machen könnte. In unseren Generationen dürfte sich dies sich vor allem in der Erziehung von Mädchen niedergeschlagen haben, weil die Wahrnehmung verbreitet war, dass die Situation von Frauen und somit auch künftiger Frauengenerationen verbessert werden sollte. Darum war mit Sicherheit es den Müttern wichtiger, wenn sich Mädchen von dem, was in der Gesellschaft so üblich ist, mehr unterscheiden und somit dadurch "aus der Rolle fallen". Ohne Emanzipationsbewegung wäre 'unseren Müttern' es gleichermaßen unangenehm gewesen, wenn die Kinder, egal ob Junge oder Mädchen, aus der Rolle fallen würden. Aus der Rolle fällt jedes Kind, weil von Mensch zu Mensch bestimmte Unterschiede auftreten, aber dieses individuelle Abweichen vom Durchschnitt bewegt sich in einem anderen Rahmen, als das, was "die Gesellschaft" für Rahmen vorgibt.
Typisches Beispiel, wo meine These wegen dem Einfluss des (Frauen-)Emanzipationsgedankens abzulesen ist, sind Gemeinschaften, in denen solcherlei Gleichstellungen nicht praktiziert werden, wo also der Emanzipationswille nicht vorhanden ist: z.B. bestimmte religiöse Gemeinschaften wie die Amish. Da ist ein Aus-der-Rolle-Fallen weder für Mädchen noch Jungen nennenswert möglich. Weder im Rollenverständnis noch in der Erscheinungsform (Kleidung). Da sind Farben und Muster der Frauenkleider genauso starr festgelegt wie die Karos der Männerhemden.
Im Vergleich zu unseren weiblichen Altersgenossinnen sind wir also aufgrund der Emanzipationsbewegung durchschnittlich mehr gehemmt. Doch was unsere Mütter an uns weitergegeben haben, waren letztlich die Bilder, die aus dem Üblichen in der Gesellschaft bezogen wurden - bestenfalls etwas animiert/verstärkt durch eigene Überzeugungen (siehe Emanzipation).
Eine Unterscheidung zwischen Erziehung durch unsere Mütter, und was wir selbst aus der Gesellschaft bezogen haben, ist kaum auseinander zu halten, denn da wirken die selben Bilder. Allenfalls mag den Unterschied ausmachen, da das zeitliche Kontinuum mit langsam sich wandelndem Zeitgeist eine Rolle spielt, wenn wir mit zunehmendem Bewusstsein mit eigenen Augen uns von der Gesellschaft prägen lassen. Zum einen gibt es den unmittelbaren Kontakt mit der Gesellschaft, der stark von unserem "Milieu" abhängt, was da wie uns prägt. Zum anderen sind es die medialen Kanäle, die uns ein Bild der Gesellschaft abgeben, wovon abhängt, aus welchen medialen Plattformen wir uns da beeinflussen lassen; hier hängt es auch stark von den eigenen Interessen ab. Nutzt man mit Vorliebe eher Spiele - Games muss man da heute eher sagen - ergibt sich eine andere Prägung als aus dem Konsum von billigen Vorabendserien (die inzwischen jederzeit gestreamt werden), oder aus dem Lesen literarischer Klassiker, oder aus der Vorliebe, Kinofilme im Kino oder Fernsehen zu konsumieren, oder man sich eher auf der Suche nach Informationen durch die Medien bewegt.
Auch der direkte Kontakt mit der Gesellschaft, jenseits von Ausbildung oder Job, ist teilweise von den eigenen Interessen geleitet. Ein Briefmarkenverein wird andere Gesellschaftsbilder vermitteln als ein Sportverein oder eine Musikschule. Auch die Menschen, mit denen man sich umgibt, sind vom eigenen Interesse abhängig. Ein anderer großer Teil des direkten Kontakts mit der Gesellschaft (immer noch jenseits von Ausbildung und Job) ist eben von weniger frei wählbaren Faktoren wie soziales Umfeld des Elternhauses oder das Umfeld des Lebensmittelpunktes und sozialer Schichtung bestimmt.
Das alles - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - beeinflusst, welche Interpretation wir selbst uns bilden, was in der Gesellschaft so üblich ist. Die elterliche Erziehung ist nur ein komprimierter, gefilterter Startimpuls und ein gewisses Korrektiv, was aber nicht sonderlich vom gesamtgesellschaftlichen Bild abweicht.
Vielleicht liegt doch es auch ein wenig an unserer 'männlichen Natur', wenn wir selbst eher weniger "aus der Rollen fallen" wollen, als Mädchen / Frauen es tun. Vielfache Studien haben ergeben, dass Jungs im Vergleich zu Mädchen typischerweise "homosozial" agieren. Das fängt so etwa im Alter von 6 Jahren an, je nach Kulturen differiert das so plus minus zwei, drei Jahre. Noch wesentlich verstärkter tritt diese "Homosozialität" bei Jungs um die 10 bis 12 auf. Auf dieses Bindungsverhalten bauen spätere Peer Groups und z.B. berufliche Seilschaften auf.
"Homosozial" (hat nichts mit Homosexualität zu tun) bedeutet, dass man lieber Freundschaften / Begegnungsbeziehungen unter Mitgliedern des eigenen Geschlechts sucht. Das heisst, die soziale Interaktion sucht man eher beim eigenen Geschlecht. "Homosozial" ist auch unter Mädchen und Frauen stark vertreten, aber scheinbar neigen Männer im Erwachsenenalter deutlich mehr dazu. So jedenfalls ist die feministische Darstellung, die damit eben die männlichen Seilschaften erklären will, die eine vollständige Frauenemanzipation z.B. in Beruf und Politik beträchtlich zu erschweren scheint.
Irgendwo zwischen 6 und 10 Jahren Alter finden dann "homosoziale Gruppen" alles vom gesellschaftlichen Erwartungsdruck Abweichende "irgendwie doof". Bei den Jungs wird dann das "Weichei" deklariert, um abweichendes Verhalten auszugrenzen - oder als Korrektiv abzuschaffen.
So entsteht ein automatischer Prozess, dass die Teilnehmer solcher Peer Groups (und sei diese auch nur bestehend aus den Lieblingsschulkameraden) auf Spur eingenordet werden. Da man individuell (aufgrund von Interessen, Aussehen, Befähigungen) ohnehin schon abweicht, ist es wichtig, mit den formbaren Faktoren dazuzugehören.
Von da kommt auch der Drang der Männer, dazugehören zu wollen. Der Drang, nicht abzuweichen. Der Drang, sich wie die Peers in schwarz-weisse Synthetik-Klamotten zu kleiden, die Schuhe des selben Labels zu tragen, oder später zumindest im Karohemd und Jeans, oder dann im Anzug sich möglichst anzugleichen. Und nicht aus der Rolle zu fallen.
Gerade die beruflichen Seilschaften sind es ja, die einen angleichenden Drang verlangen. Denn auf dem Karriereweg will man seinem Vorgesetzten möglichst gefallen, um als mögliche Nachfolge aufgebaut zu werden. Da werden dann die begrenzten Vorstellungen von oben nach unten, quasi von älter nach jünger, weitergereicht. Ein allzu großes Aus-der-Rolle-Fallen behindert die Teilnahme an den vertikalen Seilschaften. (Auch in horizontalen Berufsbeziehungen, z.B. bei Kundenbeziehungen, werden solche Rollenbilder weitergereicht.)
Solange an den entscheidenden Stellen überwiegend Männer sitzen, wird sich an diesem Mechanismus kaum etwas ändern. Vorteil für Frauen in dieser vertikalen Hierarchiestruktur ist, dass sie gerne als Abwechslung und als schmückendes Element gesehen werden und sich durchaus auch auf der Karriereleiter nach oben "hochschlafen" können, aber auf der Karriereleiter fast nie so hoch wie ihr männlicher Gönner. Frauen haben hier nur eine Chance, wenn eine übergeordnete Personalabteilung eine Stelle von aussen besetzen muss, weil es keine "homosoziale" Seilschaft gibt. Oder aufgrund familiärer Änderungen (z.B. Tochter ist einziges Kind des Unternehmers, oder Bruder weggestorben oder verkracht).
Demgegenüber bauen auch Frauen in entscheidenden Positionen gerne "homosoziale" Seilschaften auf. D.h. dass ein Mann aus den eigenen Reihen auf eine vakante Stelle aufsteigt, die zuvor eine Frau besetzt hat, ist genauso relativ unwahrscheinlich wie umgekehrt.
Es heisst, Männer würden ihre Aktivitäten / Freundschaften, ihre "Homosozialität" eher parallel ausüben, d.h. sie schauen überwiegend währenddessen in dieselbe Richtung. Frauen hingegen schauen sich gegenseitig an (Kaffeekränzchen z.B.). Männer agieren gemeinsam eher mit Dingen. Frauen agieren gemeinsam eher mit sich selbst, also untereinander. Auch ein Punkt, der etwas genetisch bedingt sein kann. Männer konkurrieren dabei eher, mit einer dadurch einhergehenden Machtstruktur. Frauen kooperieren dabei eher, mit einer dadurch einhergehenden Ebenbürdigkeit - so die Wahrnehmung.
Wieviel gerade die bei Männern wohl stärker ausgeprägte Homosozialität in der Genetik begründet ist, oder die Vorlieben für Konkurrenz vs. Kooperation, ist unklar. Ein bisschen Genetik mag da mit drin stecken.
Ich glaube aber eher, dass da ein recht altes kollektives kulturelles Erbe über das ganze Generationenkontinuum hinweg sehr wirkmächtig ist, gespickt mit alten Erfahrungen / Vorstellungen z.B. aus dem Rittertum, den Religionskriegen, dem Preußentum, den Weltkriegsschlachten, dem Wirtschaftswunder etc.
Ich denke, es ist ein Riesenhaufen kultureller Ballast, den wir mit uns tragen und an dem wir zu knabbern haben, den unsere "Spezies" Mann da nicht so ohne weiteres abschütteln kann.
Lasst uns Mut haben, was zu ändern! Zeitgeist ist träge, lässt sich aber ändern.
Lasst ihn uns verändern, wie wir ihn für richtig halten!
Nur Mut! Vielleicht führt es ja sogar dazu, für irgendwen ein kleines Vorbild zu werden.