Genau diese Gedanken schäumen auch durch meinen Kopf.
Wenn Du, Timper, Dein abweichendes Bekleidungsverhalten als einen Spleen abtun kannst, dann zeigt es welchen Stellenwert dies für Dein Alltagsleben hat. Dann kannst Du auch für nicht alltägliche Situationen durchaus leichter mal auf Deinen Spleen verzichten.
Für mich ist mein abweichendes Bekleidungsverhalten mein Alltag. Ich praktiziere das tagein, tagaus. Gleichberechtigung ist für mich die unterstützende Begründung, weshalb ich das tue. Die treibende Kraft für mein abweichendes Verhalten ist aber ein anderer Grund, den - wie wir beide schon festgestellt haben - Du so gar nicht nachvollziehen kannst. Somit wirst Du vielleicht auch nicht nachvollziehen können, weshalb es für nicht automatisch selbstverständlich ist, wegen solch einem sicherlich traurigen Anlass, Abstand von meinem alltäglichen Verhalten zu nehmen.
Die Begründung von Micha reicht eigentlich schon aus. Hinzu kommt, dass ich mich in der Tat verbiegen würde, wenn ich nicht in meiner allgemeinen Erscheinungsform erscheinen würde. Was sicherlich einige der Mittrauernden als Respekterweisung deuten würden, andere sicherlich auch nicht stören würde, aber sich trotzdem wundern würden.
Insofern bleibt es für mich sehr wohl eine gründliche Abwägung von Fall zu Fall, wie ich mich für diesen Anlass gestalten würde. Und für mich liegt es nicht auf der Hand, ganz selbstverständlich mein Wesen zu verstecken. Vor allem kann es auch sein, wenn ich das Gefühl habe, ich könnte durch mein Wesen eher stören, dass ich dann sogar abwäge, ob ich durch meine Anwesenheit mein Mitgefühl ausdrücke oder ob ich der Trauergemeinde lieber fernbleibe. Das kann dann also auch von Fall zu Fall die Abwägung sein, ob meine Anwesenheit wichtiger ist als mein potentiell störendes Erscheinungsbild. Ich habe genug unauffällige, trauergeeignete Kleidungsstücke, die von der Ausstrahlung her mit einer Beerdigung konform sein können.
Fällt mir eine Hochzeit ein, zu der ich recht spontan eingeladen wurde, vor allem, weil ich ganz frisch in das Leben meiner Freundin eingetreten bin. Meine Freundin war Trauzeugin. Und sehr knapp vorher hatte ich die zufällige Gelegenheit, die Brautleute auf einem Sprung kennenzulernen. Stunden später (am Abend vor der Hochzeit oder zwei) erhielt ich eine Einladung. Aber mit der Bedingung, dass ich in Hosen kommen sollte.
Ich habe abgelehnt. Das fand meine Freundin auch als die einzig richtige Entscheidung, die ich treffen konnte. Also blieb ich der Hochzeit fern. Wobei wir diese Bedingung beide nicht verstanden hatten, zumal sich da zwei Frauen gegenseitig geheiratet haben.
Also: meine Entscheidung treffe ich nicht automatisch, Hosen zu einer Beerdigung zu tragen. Ich wäge ab, Hosen oder meine alltägliche Bekleidungsform (mein Nicht-Hosentragen gehört zu mir wie der Sonnenaufgang zum Tag) oder nicht zu erscheinen.
Mit Blick auf die Gleichberechtigung: Ich habe schon Beerdigungen erlebt, wo in der Tat es zumindest zu Bemerkung zwischen den Leuten (auch von Frauen zu Frauen) geführt hat, wenn Frauen in Hosen dort erschienen sind. Allerdings tragen immer häufiger mittlerweile Frauen auch fast selbstverständlich zu Beerdigungen Hosen. So wird es nicht ausbleiben, wenn wir im Rock oder Kleid auf Beerdigungen erscheinen, dass dies auch irgendwo Bemerkungen unter den Leuten auslösen wird. Aber das ist nun mal auch Gleichberechtigung. Und die Frage bleibt, inwieweit das eine wirkliche Trauer tatsächlich beeinflussen kann.