Ich gehöre selbst zu einer Minderheit. Dennoch ist es wenig demokratisch wenn eine Minderheit der Mehrheit irgendwelche Dinge vorschreiben will.
Das ist es gewiss nicht, lieber Gotti.
Ich halte es aber für sehr demokratisch, wenn die Mehrheit auf Minderheiten Rücksicht nimmt. Und nicht nur demokratisch, sondern höchst solidarisch. Von Herzen empfundene Solidarität ist die gegenseitige Rücksichtnahme. Das ist das Zeug, das VERBINDET. Sich immer nur auf "die Mehrheit" zu berufen, treibt Keile in die Gesellschaft, SPALTET die Gesellschaft.
Und letztlich ist jeder davon betroffen. Wir alle mehr oder weniger "normalen" Menschen gehören in irgendwelchen Hinsichten immer irgendeiner wie auch immer zu definierenden MINDERHEIT an. Wollen wir unser Recht auf Individualität von irgendeiner definierten MEHRHEIT nehmen lassen?
Und so zählt Rücksicht auf Minderheiten zu einer kulturellen Leistung. Es ist keine Sache von Grad der Bildung oder Höhe des Einkommens, ein kulturell wertvoller Mensch zu sein. Jeder kann kulturelle Leistungen erbringen. Jeder kann entdecken, dass Rücksichtnahme sogar Freude bereiten kann. Freude bei dem , dem die Rücksicht zuteil wird. Und Freude bei dem, der die Rücksicht walten lässt.
Das Ausgrenzen von irgendwelchen "Anderen" verarmt geistig, macht innerlich krank. Wollen wir nicht alle lieber gesund durch unser Leben kommen?
Und es sind nicht immer "die Anderen", die alles kaputt machen. Es sind nicht z.B. die Migranten und Behinderten, die über Gebühr alles "nachgeschoben" bekommen. Es ist Rücksichtnahme; und manchmal ist eine scheinbare (oder tatsächliche) Mehrbeachtung eventuell auch der Ausgleich dafür, dass jene Gruppen es ohnehin schon schwer genug haben.
Natürlich überschießt die Rücksichtnahme manchmal auch weit das sinnvolle Maß - oder es wird schamlos ausgenutzt. Davor sollten wir nicht die Augen verschließen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Versuche, es allen einigermaßen gerecht zu gestalten, immer auch Versuche sind, aus denen eventuell noch im Laufe der Zeit durch Sammeln von Erfahrungen hinzugelernt wird und entsprechend nachjustiert werden sollte oder wird. - Und wir dürfen nicht vergessen, dass all diese Dinge immer ein hochkomplexes Zusammenspiel ganz vieler Dinge ist - mit einfachen Antworten wird man niemandem gerecht.
Freilich ist es nicht jedem - eigentlich niemandem - gegeben, die hochkomplexen Zusammenhänge allesamt zu verstehen. Manche können aufgrund ihrer Neigungen manches ohnehin nicht verstehen. Manche wollen nicht alles verstehen, weil es eben zu komplex ist. Manche wollen vieles nicht verstehen, weil ihnen einfache Antworten lieber sind - oder weil die einfachen Antworten ihren eigenen Interessen besser dienen.
Ja, die Menschen sind vielfältig. Auch das muss man verstehen. Die Welt wäre sicher einfacher, wenn alle Menschen so wären wie ich - für mich. Da das aber nicht so ist, ist die Welt am einfachsten, wenn ich verstehe, dass andere Menschen anders sind als ich. Und um aus diesem Verstehen einen Gewinn zu erzielen, ist es sinnvoll, Rücksicht zu nehmen und eine Solidarität zu entwickeln mit Menschen, die anders sind als ich.
Das betrifft auch das Thema, das hier der Thread behandeln wollte.
Ihr könnt nachgucken mit entsprechenden Suchanfragen, oder anhand der Überschriften - ich habe hier quer übers Forums und bestimmt auch hier im Thread schon vieles zum Gendern geschrieben - auch wohlwollendes. Ich habe mich an Überlegungen beteiligt, welche Elemente man für eine gendergerechtere Sprache zu unserer bestehenden Grammatik hinzufügen könnte, und all dies.
In Teilen jedoch stimme ich den Kritikern des "Gender-Neusprechs" zu, dass diese Umgestaltung der Sprache (auch wenn Sprache ständig im Fluss ist) keine wirklich sinnvolle Ergänzung der Sprache ist. Da stimme ich in Teilen inhaltlich auch Doppelrock zu, auch wenn er eine sehr ausgrenzende, spalterische Ausdrucksweise dafür bekanntermaßen wählt.
"Denken fängt mit der Sprache an", sagte 1988 eine gute, gleichaltrige Bekannte, die sich mit diesen Worten sehr auf das Feministische bezog (und da auch schon auf das Doppelnennen der geschlechtsspezifischen Begriffe bezog wie "Bürgerinnen und Bürger" usw.).
Und da ist was Wahres dran. Wittgenstein prägte Jahrhunderte zuvor eine ähnliche Aussage. Insofern bin ich auch recht nahe dran, was Hajo (high4all) hier im Thread gerade geäussert hat.
Durch den "Gender-Neusprech" und den versuchten "Sprachverhunzungen" sind die wohl nicht ganz zufriedengestellten Bedürfnisse verschiedener Gruppen (kleiner Minderheiten bis hin zu größeren Teilen der Gesellschaft wie die Gruppe der "Frauen") ins Bewusstsein gerückt. Ja, Denken fängt mit der Sprache an.
Bei allem Für und Wider halte ich für die gesellschaftlich praktikabelste Lösung, auf die massive politische Einflussnahme auf die Gestaltung der Sprache weitgehend zu verzichten, sondern das Verhältnis zu Sprache und das damit verbundene Denken neu zu überarbeiten.
Ich halte also jetzt ein Plädoyer für das "generische Maskulinum" in unserer gewachsenen deutschen Sprache, die mit diesem generischen Maskulinum durchaus auch manche patriarchale Strukturen abbildet, weil eben aus gesellschaftlichen, historischen Gründen z.B. beruflich arbeitende Bäcker eher Männer waren und keine Frauen. Ärzte ebenso. Bauarbeiter auch.
Wir alle wissen, dass das heute längst nicht mehr so ist. Reicht es nicht, mit diesem Wissen, mit diesem daran Denken mit dem Reden über "die Bäcker" die Gesamtzahl aller beruflich arbeitenden Backenden mit einzuschließen? Also auch die Bäckerinnen. Und jene Backpersonen, die sich sonstwo zwischen "Bäcker" und "Bäckerin" verorten?
Es macht die Sprache so ungleich viel komplizierter, wenn auch nur in jeder kleinen Nachrichtenmeldung in jedem der drei Sätze von "Bauern und Bäuerinnen" die Rede ist.
Wie es sich anfühlt, wenn sich die Bäuerinnen beim genereischen Maskulinum nicht mitgemeint fühlen, haben inzwischen sicherlich die meisten Männer schon erlebt, wenn nämlich die politisch korrektgemeinte Sprechpause bei "Bürger*innen" zu kurz oder schlichtweg gar nicht gesprochen wird. Dieser Stich ins Herz, den erleben Frauen und sonstige Minderheiten, wenn sie sich durch das generische Maskulinum nicht mitgemeint fühlen.
Und mit diesem Verständnis kann man den sich zu kurz gekommen empfindenden Gruppen ja entgegenkommen, und immer mal z.B. von "Bürgerinnen und Bürgern" reden. Andererseits kann man diesen Gruppen auch versichern, dass man sie nicht vergisst und übergeht, wenn man der Einfachheit halber wirklich nur von "Bürgern" im generischen Maskulinum spricht. Was tut den Sprechenden wie den Zuhörenden so weh daran, dass dieses Mitmeinende auch vom Herzen aus so gemeint ist?
Die gewachsene Sprache kann alles viel besser und exakter ausdrücken
Nein, in diesem Punkt gibt es Unklarheiten.
Denn manchmal redet man tatsächlich nur über die Patienten, Bäcker, Bürger, die männlich sind. Beim generischen Maskulinum entsteht eben automatisch diese Unklarheit.
Was aber macht es so schwer zu verstehen (und auch anzuwenden), wenn mit "Patienten", "Bäcker", "Bürger" wirklich nur die männlichen Anteile gemeint sind, dies dann eben auch so auszudrücken:
"die männlichen Patienten"
"die männlichen Bäcker"
"die männlichen Bürger"
Und dort, wo diese Klarheit nicht explizit ausgedrückt wird, sind IMMER ALLE gemeint, also auch die Bäuerinnen und diejenigen, die weder männlicher Bauer noch weibliche Bäuerin sind, aber trotzdem professionell der Landwirtschaft nachgehen. So spart man sich diese umständlichen Ausdrücke wie "Landwirtinnen und Landwirte".
Denn: so zerstückelt wie der sprachliche Informationsfluß in der Rede oder in der niedergeschriebenen Sprache, so zerstückelt das auch das Denken. Muss ich jedesmal mit ausdrücken, dass ich auch die diversen Landwirtschaftbetreibenden mitmeine, dass ich auch die farbigen Bäuerinnen und Bauern mitmeine, dass ich auch Bäuerinnen und Bauern ohne Seepferchen-Ausbildung mitmeine; so trägt das in jede Informationsäusserung die Zerstückelung der Gesellschaft hinein. In jeden Satz. In jeden Gedanken.
Sollten wir nicht versuchen, mit jedem Satz und jedem Gedanken integrativ zu wirken? Müssen wir alles zersplittern? Sollten wir nicht alles solidarisch mit einem Wir-Gefühl behandeln?
Gewachsene Sprache versucht, ökonomisch - sprachökonomisch umzugehen. (Beispiel "grad" statt "gerade"). Ein künstliches Aufbauschen der Sprache wirkt dem entgegen. Lasst uns den Menschen, die Argumente dafür haben, dass sie sich durch Sprache ausgegrenzt fühlen, das Gefühl geben, dass sie definitiv mitgemeint sind. Und wenn das mal nicht der Fall ist, dann weisen wir explizit darauf hin. - Und wenn uns mal danach ist, dann sprechen oder schreiben wir auch durchaus mal die Vorschläge, die irgendwoher kommen, dann schreiben wir halt auch mal Landwirt:innen.
Lasst uns doch einfach wieder ALLE integrativ denken, statt uns auf platte Symbole zu stützen!