So, da bin ich wieder.
Na ja, lieber Morle, solche religiösen Menschen, wie Du sie beschreibst, gibt es natürlich. Ihre Art der Religionstheologie, also der Theologie, die sich mit den Wahrheitsansprüchen anderer Religionen beschäftigt, nennt man "exklusivistisch". Das heißt, sie haben einen ausschließenden Wahrheitsanspruch und weisen andere Wahrheitsansprüche als unwahr zurück. Exklusivismus gibt es aber nicht nur unter religiösen Menschen, sondern auch unter nichtreligiösen, atheistischen, laizistischen Menschen. Eher nicht unter Agnostiker*innen.
Außer der exklusivistischen gibt es auch die inklusivisitscher Religionstheologie. Sie erkennt Wahrheiten anderer Religionen an, sofern sie dem Wahrheitsanspruch der eigenen nicht deutlich widersprechen. Der eigenen Religion schreibt sie aber einen Vorrang zu.
Dann gibt es eine komparative Theologie, die die Vorstellungen der eigenen Religion mit den Vorstellungen anderer Religionen vergleicht, ohne von vorn herein ein Urteil zu fällen. Sie geht dann ganz minutiös vor und fragt z.B. welchen Stellenwert und Funktion usw. eine bestimmte Vorstellung in einer Religion hat und ob man Entsprechendes auch in der eigenen Religion findet. Komparative Theolog*innen wollen vor allem von anderen Religionen lernen, ohne dabei die eigene Religion in ihrem Anspruch zu minimieren.
Und es gibt die pluralistische Religionstheologie, deren Vertreter*innen gurndsätzlich alle Religionen für gleich wahr halten, wobei sie die Widersprüche mit verschiedenen Perspektiven und Sprachspielen begründen. Ihr Lieblingsbild ist das eines Berges, auf dessen Gipfel verschiedene Wege führen, wobei der Berg von jeder Seite anders aussieht, aber trotzdem derselbe Berg ist.
Ich selbst bin auch am ehesten pluralitisch, beschäftige mich aber derzeit auch mit dem komparativen Ansatz. Wobei mein hauptamtliches Fach, die Religionswissenschaft religiöse Wahrheitsansprüche für sich selbst ausklammert und sie lediglich außenperspektivisch erforscht und beschreibt. Aber trotzdem bin ich als Mensch religiös/gläubig/spirituell/philosophisch und stelle mir schon die Wahrheitsfrage. Und da bin ich wie gesagt pluralistisch und komparativ unterwegs.
Dass die Exklusivist*innen oft den Eindruck vermitteln, sie alleine seien korrekt religiös oder gläubig und die liberaleren religiösen Menschen seien nicht richtig religiös, ärgert mich nicht selten. Die Exkusivist*innen sind oft sehr laut und fordernd missionarisch oder ziehen sich in ihre Gemeinden zurück und verweigern den Austausch mit Andersgläubigen und -denkenden.
Ich hatte am letzten Freitag die Gelegenheit, Margot Käsmann zu fragen, wie sie die theologische Position von interreligiösen Akteueren einschätzt, ob als eindeutig liberal und modern und ob wir - ja ich sage "wir" weil ich sie und mich als an einem Strang ziehend wahrnahm -, die Religionen modernisieren wollen. Das bejahte sie. Sie meinte, interreligiös aktiv zu sein, sei selbst schon ein Statement. Die meisten Widerstäde kämen nicht von Mitgliedern anderer Religionen, sondern von innerhalb einer jeden Religionsgemeinschaft (wobei es im Kontext des Gesamtgespräches auch um die Stellung der Frauen in den Religionen ging).
Und heute konnte ich Volker Berresheim, der für das Auswärtige Amt die Verbindung zu den Religionen pflegt, fragen, wie der die interreligiösen Organisationen einschätze, und zwar in Bezug auf den religiösen Umgang mit der derzeitigen Pandemie. Er meinte, sie seien differenzierter denkend als manche nur intrareligiös aktiven Gläubigen. Auch der Religionssoziologe Oliver Hidalgo betonte, dass interreligiöse Akteure meist offener gegenüber wissenschaftlichen Fragen und staatlichen Anfragen seien als nur intrareligös Aktive.
Fazit: Es gibt eine riesige Vielfalt nicht nur unterschiedlicher Religionen, sondern auch unterschiedlicher Sichtweisen in den Religionen, die man keinesfalls über einen Kamm scheren kann, von rechthaberischen Fundamentalist*innen bis zu liberalen offenen Gläubigen, die auch respektieren, wenn jemand anders glaubt und denkt. UInd das ist bei Nichtreligiösen genau so. Jule z.B. ist ein gutes Beispiel für nichtreligiösen Fundamentalismus. Hajo ist ein Beispiel für einen im Grunde toleranten Evangelikalen, der aber seinen Glauben verteidigt, wenn er ihn angegriffen fühlt. Und kann er auch schon mal sehr deutlich tacheles reden.
Das nur mal so auf die Schnelle.
Liebe Grüße,
Micha