Morgen abend schreiben wir 2019. In welchem Jahr lebst wohl du, Joe?
Ich habe sowas nicht von meiner Mutter gehört. Meine Kinder haben sowas nicht von meiner Frau gehört. Meine Enkelkinder haben sowas nicht von ihren Müttern gehört. Ich habe, als ich ganz klein war, mit Puppen gespielt. Ich kann mir es sogar noch erinnern. Das war für meine Eltern kein Problem. "Keine Röcke anziehen" war kein Thema, weil ich nie fragte, ob ich Röcke tragen dürfte. Mein Sohn hat es nicht interessiert.
Dass der Mann eine Familie ernähren soll? Mein Vater ernährte meine Mutter und mich. Mein Schwiegervater ernährte meine Schwiegermutter und seine Kinder, aber das liegt 50 Jahre zurück. Ich habe nie meine Famile ernährt. Meine Frau und ich haben es gemeinsam getan. Mein Sohn hat nie seine Familie alleine ernährt. Meine Tochter hat sich nie von ihrem Mann ernähren lassen. Das wäre für sie total demütigend.
2019. Prosit Neujahr.
Gregor
Oh, da habe ich aber andere Erfahrungen gesammelt...!
Schon alleine ich habe Anfang der 70er in der Schule von unseren Lehrerinnen stundenlnag Geschlechtsidentität beigebracht bekommen, in dem wir Ringelrein-Tänze gemacht haben, wo wir aufgefordert wurden, etwas zu machen, z.B.: Alle Jungen gehen in die Knie, alle Nicht-Mädchen hüpfen zweimal, alle Mädchen gehen einen Schritt vor, die anderen bleiben stehen...
Was war das Gelächter groß, wenn jemand etwas falsch gemacht hat, ja, es wurde sogar mit Peinlichkeit agiert, die Geschlechtsidentität anzutrainieren.
Und dann gab es da auch noch das Ringelrein-Singspiel "Ringel Rangel Rosen" (
https://www.volksliederarchiv.de/alte-kinderspiele/ringle-ringle-rosen/), was wohl eine Verballhornung eines anderen Liedtextes war, wie ich gerade im Internet feststelle. Aber das in dieser verlinkten Version haben wir hochoffiziell in der Schule gelernt, nicht nur bei den zitierten Leibesübungen. Es stand auch irgendwo in einem Lesebuch. Aber ich kannte es ohnehin schon, vermutlich weil es meine Mutter auch bereits von Kindestagen an kannte - obwohl damals noch nicht unüblich war, kleine Jungs in Röckchen/Kleidchen zu kleiden.
Und meine Generation hat dieses einfach Liedle so inhaliert, dass es das ihrem eigene Nachwuchs immer und immer wieder mantramässig weitergegeben hat. - Dies nur mal als Beispiel.
All das, was Joe anführte, das haben wir so gelernt. In meiner Generation ist das alte Rollenbild, auch das mit dem Alleinernährer, noch so verwurzelt, da es uns so tradiert wurde, dass aber die Lebenswirklichkeit mit der parallel wirksamen Emanzipation dem Rollenbild vorweg geeilt ist. Das stürzte viele Jungs/Männer in existenzielle Krisen, als sie nämlich merkten, dass sie gar nicht mehr der Alleinernährer sein können, obwohl ihre Eltern und Großeltern das von ihnen verlangten.
Dieses Rollenmuster steckt noch so tief in unserer Generation drin, dass dies auch noch an weitere ein, zwei Genrationen wirksam mitgegeben wird. Im Übrigen huldigen da moderne mediale Darstellungen diesem alten Rollenbild noch immer - oder mediale Darstellungen passen sich dem Zeitgeist an, dass durchgegenderte Muster überhöht dargestellt werden, wo aber traditionell sozialisierte Rollenausfüller gesitig abschalten, weil sie das nicht mit ihrem eingehauchten Weltbild schmerzfrei in Verbindung bringen können.
Das, was Joe kurz schrieb, das ist auf alle Fälle so. Noch immer. Hier in Deutschland jedenfalls. Und welcher Junge von heute über 7 kennt nicht den Ausdruck "Indianer weinen nicht" mit dem dazugehörigen Sinn, der damit vermittelt wird. Ich denke: es wird kaum einen geben, dem diese Botschaft noch nicht untergekommen ist. Auch heute noch.