Da ich gerade an einem Artikel zu dem Thema schreibe, erlaube ich mir mal zwei Absätze hier hinein zu kopieren.
Man möge mir verzeihen, wenn sie für so ein Forum etwas zu lang oder zu wenig pointiert sind:
Kein anderes Kriterium ist gesellschaftlich mit einer solchen Notwendigkeit der Unterscheidung versehen, als der Unterschied zwischen „männlich“ oder „weiblich“. „Mann“ zu sein oder „Frau“ zu sein erscheint als ein Merkmal, das so wesentlich ist wie die Zugehörigkeit zur Spezies des homo sapiens sapiens. Und genau wie die Zugehörigkeit zu einer Spezies scheint die Unterscheidung etwas zu sein, was tief in der „Natur“ des Menschen, in seiner Biologie verwurzelt ist.
Gleichzeitig ist in dieser Gesellschaft Geschlechtszugehörigkeit mehr als bloß ein Eintrag in der Abstammungsurkunde. Geschlechtliche Zuschreibungen bestimmen die Wahrnehmung menschlicher Handlungen - und letztlich auch die Handlungen der Menschen selbst.
Um zwischen der als natürlich verstandenen biologischen Geschlechtszugehörigkeiten einerseits und den gesellschaftlich geprägten Geschlechts(selbst-)zuschreibungen zu unterscheiden wurde in den letzten Jahren (Jahrzehnten) in der kritischen Diskussion zwischen dem uns von Natur zugeschriebenen biologischen Geschlecht und einem sich in gesellschaftlicher Interaktion herausbildendem sozialen Geschlecht unterschieden.
Es liegt auf der Hand, dass sich nun zwischen Biogeschlecht und Sozialgeschlecht die alte falsche Anlage / Umwelt Debatte reproduziert, denn die Frage was denn nun Biologie sei an unserem Geschlecht (das Einparken, die Mutterliebe oder „nur“ sexuelle Vorlieben) läßt sich - trotz aller Forschungsgelder - empirisch nicht festmachen.
Konsequenterweise bestimmten daraufhin in Nachfolge von Judith Butler einige Wissenschaftler das biologische Geschlecht selbst als konstruiertes. Es gäbe also kein falsches Bewußtsein über das Geschlecht, das Geschlecht selbst sei schon falsches Bewußtsein. Mit diesem Programm haben sie im akademischen Bereich einigen Wirbel gemacht und eine energische Diskussion hervorgerufen, die scheinbar nichts wichtiger findet, als das biologische Geschlecht zu retten. Dabei gerät außer Blick, daß die Erkenntnis, es gibt „eigentlich“ kein Geschlecht dem Einzelnen nur wenig hilft, wenn er sich in der Gesellschaft mit Anforderungen, Zuschreibungen und Beschränkungen herumschlagen muß, die diese Erkenntnis ganz uneigentlich schlicht zu ignorieren scheinen. Aber auch zur theoretischen Durchdringung der inhaltlichen Bestimmung dessen, was uns als bestimmtes geschellschaftliches Geschlechterverhältnis erscheint, reicht dies natürlich nicht aus. Wir können nicht so tun, als gäbe es keine Unterschiede, wir würden sonst die realen Probleme der Menschen in den Geschlechterverhältnissen ignorieren und wir müssen die uns mit der Frage beschäftigen, was die Tatsache, dass die Rollenzuschreibungen so sind, wie sie sind, mit der Organisationsform der bestehenden Gesellschaft zusammenhängen.
Biologie?
Dass es zwei biologische Geschlechter gibt, darauf ist notwendig spekulativ zu schließen wenn man sich den Gattungsprozess ansieht: Die Reproduktion der Art homo sapiens ist eine geschlechtliche, es müssen also biologisch für die Art genügend „tragende Weibchen“ und „befruchtende Männchen“ geben - also muss es notwendig Einzelexemplare der Art geben, die in diesem Prozess weiblich oder männlich sind. Aber aus dem Schluß auf den Gattungsprozess folgt nicht, dass jedes Einzelne Wesen dieser Art eindeutig diesen biologischen Geschlechtern zugeordnet werden kann. Niemand ist jemals das ganze Leben lang in obigem Sinne "Mann" oder "Frau"; und einige niemals in ihrem Leben wenn sie - freiwillig oder nicht - an diesem Gattungsprozess nicht teilnehmen. Genausowenig verstoßen „Zwischengeschlechter“ (ob bei Mensch oder bei Tier ) gegen die Natur, der Reproduktionsprozeß der Gattung schließt als natürlicher Prozeß Variationen der Geschlechtsmerkmale der Individuen notwendig ein.
Gehen wir weg von den spekulativen Bestimmungen eines Gattungsganzen und interessieren wir uns für die existierenden Menschen, dann stellen wir fest, dass ein solches biologisches Geschlecht beim Menschen überhaupt nur gesellschaftlich in Erscheinung treten kann, es existiert nur in seiner sozial vermittelten Form . Auch das Kinderkriegen ist beim Menschen nicht bloß Biologie, sondern von der Zeugung bis zum medizinischen (!) Akt der Geburt ein äußerst sozial bestimmter Vorgang. Es lässt sich kein biologischer Gehalt, kein Inhalt des Biogeschlechts mehr bestimmen. Eine Trennung in biologische Fakten mit denen dann rational umgegangen werden könnte und gesellschaftlicher Überformung ist so nicht möglich. Denn ein rational-bewusster Umgang mit dem biologischen Geschlecht kann nicht funktionieren, wenn nicht klar gesagt werden kann, was den beim Menschen Gegenstand der Biologie ist.
Selbst unsere eigene Körperlichkeit ist gesellschaftlich durchformt, was eine klare Trennung in benennbare biologisch oder sozial begründete Eigenschaft unmöglich macht Insofern sind auch sexuelle Vorlieben etwas gesellschaftliches. Denn das, worauf sie sich richten ist ein gesellschaftlich Konstruiertes (z. B. auf "weibliche" oder "männliche" Körper, ungeachtet möglicher natürlicher Referenten).
Richtig ist, daran festzuhalten, dass es biologisches Geschlecht gibt, es ist allerdings problematisch, beim Menschen irgendwie bestimmen zu wollen, welche körperliche oder charakterliche Merkmale Teil einer solchen biologischen Ausstattung sein sollen.
Dabei kann für den Einzelnen selbst seine biologische Ausstattung durchaus von Interesse sein, z. B bei der Wahl der Mittel, ungewollte Nachkommenschaften zu vermeiden. Die Frage, warum das Kinderkriegen für Menschen einer bestimmten biologischen Ausstattung in den meisten Fällen einen größeren biographischen Einschnitt darstellt als für andere, ist jedoch ohne Reflexion auf die Gesellschaft nicht mehr zu haben.