Die Engländer und vielleicht noch mehr die Amerikaner verwenden das Wort weird, wenn etwas ihnen aus den Rahmen vorzukommen scheint. Was es auf Deutsch heißt, weiß ich nicht so richtig, aber merkwürdig, bizarr? Die deutsche Übersetzung sagt komisch, käme aber für mich, der auch das dänische Wort komisk kennt, vielleicht nicht ganz auf den Punkt.
Gestern in Hamburg erlebte ich zwei Situationen, die eine gewisse Ähnlichkeit hatten, wo aber in keiner Männer im Rock involviert waren. Nicht mal ich selbst. Ich trug Hosen.
Ein Mann braucht aber nicht in Frauenklamotten aufzutreten, um weird vorzukommen. Nur so anders, dass er einige Grenzen – seine eigenen - überquert.
Situation 1
Im Frühstücksraum des Hotels Crowne Plaza. Mindestens 50 Menschen sind da. Ein Mann Mitte seiner 30er kommt hinein. Er hat ein Bordeaux Markenpoloshirt an, kaum verwendete Sneakers, Bordeaux Socken und – graumelierte Trainingsshorts guter Qualität. Er strahlt Selbstsicherheit aus. Hätte er eben trainiert oder draußen bei einem Grad Celsius dem Außenalster entlang gelaufen? Nichts deutet daran. Vom Schwitzen keine Spur.
Er wird von einigen bemerkt, aber für ihn interessiert sich niemand mehr als für jeden anderen Gast. Meine Frau ist ihm eben vorbeigegangen. „Hast du gesehen, dass hier ein Mann in Shorts ist?“ frage ich sie. „Ne, wo?“
Der Mann setzt sich an einen Tisch nicht weit von dem unseren entfernt, und er läuft nachher sehr oft zum Büfett, um sich etwas zu holen. Er erregt absolut keine Aufsicht. Außergewöhnlich, aber deutlich innerhalb der Rahmen.
Situation 2
In der Mönckebergstraße zwei Stunden später. Ein Mann, ebenfalls in der Mitte seiner 30er, ist auf den Weg ins Karstadt. Er hat ein ärmelloses, schwarzes Trainingshemd an, einen Rucksack, Sneakers ohne Socken – und graumelierte Trainingsshorts.
Die Sachen sind nicht verschlissen, aber haben wohl bessere Tage erlebt.
Meine Frau bemerkt ihn früher als ich. Leute wenden sich und blicken ihm nach, lächeln, reden über ihn, zeigen auf ihn und schütteln sich den Kopf, als er in das Warenhaus verschwindet. Hier ist ein Mann, der der Meinung „allen“ nach, deuitlich weird ist.
War es des ärmellosen Hemds wegen? Oder weil er etwas schäbig aussieht? Oder die Kombination? Sein totales Erscheinungsbild?
Was wäre geschehen, wenn in der Mönckeberger Straße der erste Mann in seinem Outfit erblickt worden war? Ich kann es ja nicht wissen, aber ich stelle mir vor, einige hätten sich etwas gewundert, aber kaum mehr.
Und umgekehrt, der Mann mit dem Rucksack im Frühstücksraum vom Hotel Crowne Plaza? Alle hätten sich gewundert und über ihn geredet. Er wäre vermutlich dort noch weider vorgekommen als in der Mönckeberger Straße.
Meine Konklusion
Nur Kleinigkeiten machen den Unterschied. Einige können sich der eigenen Ausstrahlung wegen (ob angeboren oder erlernt) erheblich mehr leisten als andere. Ästhetik hilft zweifelslos auch.
Wozu nun das gebrauchen?
Wie reden oft darüber, dass der Rock das Problem sein könnte. Ja, aber nicht nur ein Rock. Wir lesen doch auch hier, dass einige Männer sich weit der etablierten Normen entfernen können – und doch nicht als besonders weird betrachtet zu werden.
Jeder kann seine „eigene“ Grenze erforschen und hoffen, dass das Resultat auf der „sicheren“ Seite der Grenze ihm selbst genügt. Und falls nicht, kann er ja versuchen, mit seinem Selbsterscheinung zu arbeiten, damit ihm doch mehr möglich ist, ohne gleich mit dem Prädikat weird behaftet zu werden.
Es ist nicht nur eine Frage darum, was wir uns anziehen, sondern auch wie. Ein bisschen weniger kann dabei viel mehr sein. Und keiner braucht sich ja zu schämen, wenn seine Grenze bei einem männlich aussehenden Rock liegt. Er ist genauso bequem zu tragen, wie eine durchaus feminine Sache.
Gruß
Gregor