Das mit dem Fingerspitzengefühl ist richtig, Heiner - willkommen übrigens!
Ich phantasierte auch mal in den 80ern, der große Durchbruch für die Männer käme zu Beginn der 2000er, namentlich dachte ich an 2004. Wenn man aber inzwischen altermäßig in den 50ern ist, dann möchte man nicht noch erneut 20 Jahre warten bis sich was eventuell tun könnte. Ja, wagemutige bemühen dann ein klein wenig die Brechstange, sonst hat man seine Träume nie gelebt.
Dass die Südländer in Europa so konservativ sind, scheinen ja solche Erscheinungen wie der Designer "Paloma Spain" zu widerlegen, oder die Tatsache, dass im Stadtleben von Neapel Transvestiten einen festen sozial anerkannten Platz haben.
Gut, die meisten von uns identifizieren sich vielleicht nicht mit den angesprochenen Gruppen, dem traditionell gedachten namentlichen "dritten Geschlecht", wie es vielfach früher genannt wurde, also Männer, die auf Männer stehen und sich als Frauen aufmachen. Insofern richtet sich die gefühlte Toleranz der Südländer immer noch auf "die, die dazwischen stehen" und räumt sie nicht für Frauen oder noch weniger für Männer ein.
Jedoch muss ich sagen, dass ich im tiefsten Italien in der tiefsten Provinz nie irgendwelche Abneigungen erfahren habe. Weder, als ich alleine unterwegs war, auch nicht, als ich mit einem guten Freund drei Wochen unterwegs war. Auch in den Dorfschänken oder Stadtbars in den abgelegensten Nestern, in denen tagsüber nur Männer rumhingen, war niemals meine Kleidung Gesprächsthema, da lag das Interesse eher an Deutschland und die Anerkennung, dass es Deutsche gibt, die sich für so abseits liegende Gegenden interessieren.
In
Ceglie Messapica war ich zur Mittagszeit in einer ruhigen kleinen Straße unterwegs, als ein Grundschüler mit seiner etwas älteren Schwester auf der anderen Straßenseite gerade heimkamen. Seine Mutter war grade auf dem Balkon und er rief zu ihr (in etwa, den genauen Wortlaut weiss ich nicht mehr) : "Schau, da läuft ein Mann freiwillig im Rock herum. Und ich bin froh, wenn ich endlich mein Kleid ausziehen kann!" - das war vor genau 20 Jahren. Weiß nicht, ob es heute noch üblich ist, aber damals trugen in vielen Gegenden noch Grundschüler, auch Jungs, Kleider bzw. Kittel, zumindest in der ersten Klasse. Ich kenne das auch noch von den 80ern in Frankreich.
Ja, als Fremder dort im Rock herumzulaufen ist sicherlich einfacher, als es ein dort verwurzelter Mann tun könnte. Insofern ist alles gut, was diese traditionelle Hosenzuschreibung aufbrechen kann, da unten in Südeuropa - aber auch bei uns.