Autor Thema: Vorurteile und Realität  (Gelesen 4817 mal)

Offline GregorM

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Vorurteile und Realität
« am: 04.04.2010 22:11 »
Donnerstag den 18. März 2010.

Inspiriert, glaube ich, von Christians Bericht über seine Busfahrt – die Welt in der wir leben – will ich mein Territorium so zu sagen erweitern, und ich bin vorbereitet, dass es heute Zurufe und andere negativen Reaktionen geben kann. 

Der erste richtige Frühlingstag mit 13 Grad und Sonne. Dunkelgraue Kiltstrümpfe in dicken, schwarzen Schuhen. Oben ein ebenfalls dunkelgrauer Rollkragensweater. Ich lege meinen blaukarierten Kilt in Ramsay Tartan um mich und schnalle ihn mit den drei kurzen Riemen am Leib fest. Dann folgen der breite Gürtel mit der blanken, breiten Schnalle und der Sporran, beide in schwarzem Leder.

Die Farben stimmen mit einander gut überein, stelle ich fest. Dann ziehe endlich eine sandfarbenen Windjacke an und öffne die Haustür.

Ich gehe, wie ich hier und anderswo mehrmals geschrieben habe, sehr viel im Kilt und überall. Und doch nicht überall.
Um 10 Uhr 30 setze ich mich ins Auto und fahre zum nächsten Bahnhof.

Mit dem Zug geht es in die Stadtmitte und von dort aus zu Fuß durch ein Viertel, das vor dreißig-vierzig Jahren mit Arbeitern bevölkert war - und damals ganz friedlich - nun aber hauptsächlich mit Einwandern bewohnt. Also ausgeprägt ein Typ Stadtteil, wo ein Kilt vielleicht nicht so richtig ankomme. Sollte doch aber mal ausprobiert werden.

Eine große und sehr lange Straße geht quer durch dieses Bezirk. Überall kleine Läden mit Frucht und arabischen Kleidungen. Sehr viele Geschäfte, die am Sterben sind oder längst aufgegeben haben, und wo in absehbarer Zeit nicht mit Neueröffnungen zu rechnen ist. Hier herrscht Bandenkriminalität, und in den Seitenstraßen, die wahre Ghettos bilden, gibt es vor kurzem ziemlich viele Beispiele nächtlicher Schießereien.

Auf dem Gehsteig viele Personen, die alleine oder zu zweit oder zu dritt stehen oder sitzen und absolut nichts anderes zu tun haben, als das Leben, das ihnen vorbeigeht, zu beobachten. Viele davon sind Jugendliche.

Ich gehe diese, über zwei Kilometer lange Straße hindurch, und was erlebe ich? Keine Kommentare, keine verachtungsvollen Blicke, keine unterbrochenen Reden. Ich muss ihnen einfach ein Mensch sein wie jeder anderer, ein Tourist vielleicht - ich habe meine Fototasche auf dem Schulter hängen - oder ich bin ihnen bloß uninteressant oder gleichgültig.

Dann in andere und reichere Bezirksteile zu Fuß hinein.

Um zwei Uhr habe ich eine Verabredung mit einem Mann in seinem Wohnsitz. Ich habe eine Anzeige für eine alte Kamera, eine Nikon F, gesehen, und die will ich vermutlich kaufen.

Es ist jetzt zu spät erst das eigene Auto zu holen. Von dem EKZ, wo ich eine Zeit verbracht habe, nehme ich die Metro und dann die S-Bahn. Der Schottenrock weckt keine Aufsicht. 

Im Zug steht mir plötzlich klar, dass ich kein Bargeld für die Kamera habe; also steige ich frühzeitig ab und befinde mich wieder im Viertel des Vormittags. Ich suche lange nach einem Geldautomaten, bevor ich einen finde. Banken gibt es angeblich auch seltener hier als in anderen Stadteile. Zwei Männer fremder Herkunft stehen hinter mir, zu nahe, viel zu nahe, fühle ich. Ich versichere mich, dass meine Kreditkarte und das Bargeld in die richtige (= meine) Tasche gehen, bevor ich mich umdrehe. Sie lachen freundlich und gestikulieren: „Schotte, Schotte?“ („Richtige“ Dänen stellen mir solche Frage nicht).

Ja, antworte ich und eile zur nächsten Bushaltestelle. Hier warten Kinder, die von der Schule auf dem Weg nach Hause sind. Viele der Mädchen schon mit bedecktem Haar. Einige Blicke, aber sonst nichts. Eine kurze Strecke mit dem Bus, dann umsteigen und zehn Minuten auf den nächsten warten und wieder unter Jugendlichen. Ich verstehe nicht, was die meisten von ihnen sagen, aber über mich handelt es bestimmt nicht.     

Fast eine Stunde später als verabredet stehe ich endlich vor der Tür eines roten Reihenhauses. Ich klingele. Ein Mann Mitte oder Ende dreißig, glaube ich, öffnet die Tür, heißt mich willkommen, reicht mir die Hand und stellt sich vor. Wir gehen in die Wohnstube, wo er die Kamera hat.

Die Nikon sieht sehr gut aus, funktioniert einwandfrei und ich bezahle ihm.

„Ich sehe, du hast eine neue und viel bessere Kamera, sagt er und deutet an meine Nikon D700. Warum willst du eigentlich diese alte haben?“.
(In Dänemark sagt man seit 40 Jahren immer „du“. Auch Schüler sagen du zu ihren Lehrern und Vornamen. Anredeformen wie Herr, Frau und Fräulein sind auch total aus dem Gebrauch gekommen. Titel in Anrede auch).

Ich erzähle ihm, dass sie für meine kleine Sammlung sei, und dass ich mit ihr keine Bilder nehmen werde. Wir unterhalten uns ein bisschen darüber, und dann stehe ich wieder auf der Straße.

Keine Kommentare zum Kilt. Keine, überhaupt keine verwunderten Blicke, als er die Tür öffnete, nicht das geringste Zeichen, dass er den Kilt außergewöhnlich fand.

Dann zu Fuß zur nächsten S-Bahn-Station und zweimal Zug wechseln. Die Waggons sind voll. Die Stoßzeit hat angefangen. Damit ich so schnell von einem Bahnsteig zum nächsten kommen kann, gehe ich während der Fahrt durch sechs Wagen, damit ich ganz vorne bei der Rolltreppe aussteigen kann. Ein paar müde Blicke sind alles. 

Endlich fahre ich mit dem Auto zu einem Baumarkt um einige Einkäufe zu machen. Erst um halb sechs bin ich zu Hause. Sieben Stunden im Kilt unterwegs und (nochmals) die Konklusion: Mit Vorurteilen soll man aufpassen. 

Grüße
Gregor   
Gruß
Gregor

Offline Asterix

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Re: Vorurteile und Realität
« Antwort #1 am: 05.04.2010 02:02 »
Sehr interessanter Bericht! Danke!

Gruß, Asterix
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Offline Highlander

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Re: Vorurteile und Realität
« Antwort #2 am: 05.04.2010 08:44 »
Hallo Gregor,
soweit kann ich deinen Bericht nur bestätigen,
es passiert nichts ausergewöhliches wenn Mann im Kilt unterwegs ist.
Auch das Mann angesprochen wird, steht meiner Erfahrung nach 1:100.
Ja, einmal bei McDonald wurde ich von der Bedienung auf meinen Kilt angesprochen.
Ich kann heute nicht mehr sagen warum mich der "Teufel geritten hat" aber ich machte ihr klar,
das es ein McDonald Tartan sei... und schon hatte ich mein Menue gratis ;)
Was mich aber viel mehr interessieren würde, um was für eine Nikon F hat es sich gehandelt?
Bis vor ca. 1 Jahr hatte ich noch eine Nikon F3 mit MD4 und AF-Sucher DX1 und eine Nikon F4s  im Einsatz.
Grüße
Highlander

Hans

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Re: Vorurteile und Realität
« Antwort #3 am: 05.04.2010 09:52 »
Hallo Gregor,

es passiert auch beimir äußerst selten dass mal eine negative Bemerkung kommt.
Blcke ziehen wir dann schon leichter auf uns.
Positive Ansprachen kommen allerdings immer nochmehr im Kilt.
Ich habe bis auf einige Arbeitshosen in meinen Schränken nur noch Röcke und Kilts und bin dementsprechend außerhalb meines Grundstückes ausschließlich in Rock oder Kilt unterwegs.
Ich weiß nicht, was die Menschen insgeheim denken aber es kommt nicht negatives herüber.

Seitdem mein Vollbat ab ist, ist es alllerdings auch einfacher im Rock nicht gleich aufzufallen.

Gruß
Hans


Offline GregorM

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Re: Vorurteile und Realität
« Antwort #4 am: 05.04.2010 10:29 »

Was mich aber viel mehr interessieren würde, um was für eine Nikon F hat es sich gehandelt?
Bis vor ca. 1 Jahr hatte ich noch eine Nikon F3 mit MD4 und AF-Sucher DX1 und eine Nikon F4s  im Einsatz.


Hallo Highlander,

meine ”neue” Nikon ist noch älter. Sie ist eine F1 = die erste Nikon Spiegelreflexkamera. Sie kam 1959 auf den Markt, wurde 1972 von Nikon F2 abgelöst und bis Anfang 1973 noch in der Produktion.

Die meine stammt, laut der Produktionsnummer, von August-September 1970 und ist mit dem letzten F1 Photomic-Sucher ausgerüstet.

Ich kaufte sie, weil sie Historie geschrieben hat, damit sie die erste SLR war, die von professionellen Fotografen richtig benutzt wurde (und in kurzer Zeit Leica und Rolleiflex vom Thron stieß).

Ich habe noch meine F3HP mit MD4, Schachtsucher und diversen manuellen Nikkor-Objektiven und habe vor kurzem auch die Nikkormats FTn und FT2 wieder angeschafft. Ich verkaufte sie, als ich in 1982 mir die F3 kaufte.

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Gruß
Gregor
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Offline GregorM

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Re: Vorurteile und Realität
« Antwort #5 am: 05.04.2010 10:35 »
... und bin dementsprechend außerhalb meines Grundstückes ausschließlich in Rock oder Kilt unterwegs.
Ich weiß nicht, was die Menschen insgeheim denken aber es kommt nicht negatives herüber.

Wunderbar



Seitdem mein Vollbat ab ist, ist es alllerdings auch einfacher im Rock nicht gleich aufzufallen.


Neue Bilder, damit du uns wieder auch ohne dem Vollbart erkennbar bist??


Gruß
Gregor
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Gregor

Offline Highlander

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Re: Vorurteile und Realität
« Antwort #6 am: 05.04.2010 10:51 »
Hallo Hans,
bestätigung, das viel positives rüberkommt wenn  man im Kilt unterwegs ist.
Hallo Gregor,
da hast du dir aber ein sehr schönes Teil zugelegt.
Zu meiner "wilden Zeit" war ich meist mit zwei F3 und einer F4 unterwegs, da ich zu dieser Zeit ein Fan der
Festbrennweite war.
Habe da noch so einiges vom 24mm bis zum 300mm, und ein ca 35Jahre altes Novofelx Schnellschuss mit 300mm und 600mm Objetivkopf. (Funktioniert noch wie am ersten Tag)
Zur Zeit  nutze ich  eine Fuji FinePix s1Pro (wegen dem Nikonanschluss).
Momentan verhandel ich mit einem befreundeten Fotorgafen hätte da Spass an einer D1 oder D2
Grüße
Highlander

Offline GregorM

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Re: Vorurteile und Realität
« Antwort #7 am: 05.04.2010 10:55 »
Auch das Mann angesprochen wird, steht meiner Erfahrung nach 1:100.

Ja, aber ich werde definitiv häufiger von Fremden angesprochen wenn im Kilt als wenn in der Hose.

Selten wird doch über den Kilt gesprochen, aber sie fragen um Weg - was ja ein Bewis dafür ist, dass sie mich nicht von einem Schotten halten - oder sie kommentieren das Wetter, die Natur usw.
Wenn sie vom Kilt sprechen, ist es immer positiv.

Gruß
Gregor
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Re: Vorurteile und Realität
« Antwort #8 am: 05.04.2010 13:04 »

hätte da Spass an einer D1 oder D2


Eine D1 habe ich auch. Nur 2.75 MP, dafür gute. Ist meine D70 noch ebenbürtig, aber hinkt den späteren Modellen deutlich nach.
Ein Batteriefresser ohne Gleichen.

Gruss
Gregor
Gruß
Gregor


 

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