Es war, also ab ich das erste Mal verliebt wäre und den Entschluss gefasst hätte, meine Liebe zu gestehen: Die Knie zitterten, das Herz raste, die Gedanken fuhren Achterbahn. Alle möglichen Szenarien wurden analysiert und alle möglichen Auswege (sogar Fluchtwege!) und Ausreden und Erklärungen zurechtgelegt.
Enthusiasmus und Schmetterlingen im Bauch. Zweifel und Angst.
Doch meine Entscheidung war unumstößlich: Ich würde im Rock auf die Straße gehen.
Alles hatte ich genau geplant: Nachdem die letzten Kollegen das Büro verlassen hatten und es draußen schon dämmerte, wollte ich mich umziehen und eine Runde um den Block machen. Da mein Büro in einem reinen „Businessviertel“ liegt, war die Gefahr, südländischen Teenagergruppen oder gar Bekannten zu begegnen, fast ausgeschlossen. Der Berufsverkehr war schon vorbei und nur noch einige Spätarbeiter waren auf dem hastigen Weg nach Hause (und hatten dabei hoffentlich wohl eher das Abendessen, als Fashionexperimente im Kopf).
Es war soweit: Krawatte aus, Anzug aus. Das weiße Hemd passte zeitlos zum dunkelgrünen wadenlangen Rock, die schwarze blickdichte Strumpfhose mit den schwarzen Stiefeln rundeten das Bild im meinen Augen ab.
Noch ein kurzer prüfender Blick aus dem Fenster, ob nicht gerade zufällig ein Klassenausflug vor dem Büro unterwegs war und es (vielmehr ich) ging los.
Im Treppenhaus war es bereits dunkel, also alle Kollegen waren schon weg. Trotzdem achtete ich wie ein Luchs auf jedes kleine Geräusch, um jederzeit den Fluchtreflex auslösen zu können und der Entdeckung - durch wen auch immer - zu entgehen. Wenn man so überlegt, eigentlich albern, oder? Ich war ja auf dem Weg auf die Straße, um draußen im Rock rumzulaufen und nicht, um das Laufgefühl meiner Stiefel auf Asphalt zu testen. Klartext: Ich wollte gesehen werden, hatte aber Angst, dass mich jemand sieht!
Von der Eingangstür ging ich die drei Stufen hinab, zehn Meter durch den Vorgarten, durchs Tor und…stand auf dem Burgersteig.
Nachdem ich meine Atmung wieder bewusst kontrollierte, senkte sich der Puls auf erträgliche 140 bpm und schlenderte los. Naja, von schlendern kann eigentlich nicht die Rede gewesen sein, mein Gang erinnerte vermutlich an einen Gauner, der versucht, sich möglichst unauffällig zu verdrücken, dem man aber auf 100 Meter Entfernung ansieht, dass er etwas ausgefressen hat.
Dann der Schreck: Ein Mann in Anzug und Aktentasche kam mir entgegen – und er hatte es nicht eilig. Im Gegenteil: Seelenruhig ging er mir entgegen und es kam mir vor, als ob er jedes Detail seines Weges interessiert wahrnahm. Das nächste Detail was er wahrnehmen musste, war ich – und mein Rock. Einen Mann im Rock!
Wie einen Countdown zählte ich die Schritte runter, bis wir uns begegneten. Dann standen wir uns gegenüber. Er schaute mich kurz an – von oben bis unten – und…ging einfach weiter.
?????
An seinen Schritten hörte ich genau, dass er sich noch nicht einmal umgedreht hatte. Ich hätte platzen können! Feuertaufe bestanden!
Wie auf Wolken schwebte ich den Rest des Weges zurück zum Büro und war für den Rest des Abends der glücklichste Mensch (im Rock) auf der Welt!
Das Eis war gebrochen, die Angst besiegt, die Erkenntnis gereift.
Nun konnte mich nichts und niemand mehr aufhalten, meinen Weg – wohin er mich auch führen mochte – gelegentlich im Rock zu gehen.
Mein Fazit:
Selbstbewusstein heißt das Zauberwort! Ich habe mich entschieden, einen Rock zu tragen und muss diese Entscheidung niemandem gegenüber rechtfertigen. Und eigentlich interessiert es auch fast niemanden. Eben.