Liebe Leute,
ich bekam heute Nacht einen Anruf vom Spiegel. Die hatten wohl die Zeitverschiebung vergessen. Die Chefredaktion möchte mehr zum Gender und Männerrock Thema für die Online-Ausgabe am Dienstag. Diesmal steht mir mehr Platz zur Verfügung. Da wird der Redakteur noch mal den Sexismus-Aspekt historisch am folgenden Auszug aus meinem Buch behandeln:
"...In Frankreich entlud sich die Not der Bevölkerung in einer blutigen Revolution, die die Monarchie beendete. In der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wurden Frauen nicht erwähnt. Mit den darin erwähnten Menschen waren ausdrücklich Männer und nicht Frauen gemeint. Nur Männer erhielten ein Wahlrecht oder konnten in den Nationalkonvent gewählt werden. Es entstand die Französische Republik mit einer männlichen, bürgerlichen Herrschaft, so wie es sie bereits in den Niederlanden, der Schweiz und England gab.
Die Sans-culottes, die Hose der arbeitenden Bevölkerung und Jakobiner, wurde zum Symbol der neuen Herrschaft. Sie stand für Nützlichkeit im Gegensatz zum repräsentativen höfischen Rock, der zum Symbol hegemonialer, aristokratischer Dekadenz wurde. Ein Rock war von nun an eines bürgerlichen Mannes nicht mehr würdig. Fortan war die Hose das einzig legitime Beinkleid für den erwachsenen Mann. In seiner schlichten Ausführung unterstrich es den Anspruch auf exklusiv männliche Rationalität und Kompetenz. Der Psychologe John Carl Fluegel erklärte dazu 1930 in seiner „Psychologie der Bekleidung“, dass der freiwillige Verzicht auf äußerlich hervorgehobene Schönheit auf höher zu bewertende innere Qualitäten verweisen sollte. Frauen wurden vom Hosentragen ausgeschlos-sen, denn sie hätten kein Sein. Ihr authentisches Wesen, so erklärte das der Philosoph und theoretische Vordenker der modernen Demokratie Jean-Jaques Rousseau, sei das Nichts des Scheins, das Theater. Frauen sollten im Hause die sanfte Herrschaft des Herzens ausüben, während die Männer die res publica, die Sache aller vertraten. Ohne den Mann, durch den die Frau bestimmt werde, sei die Frau nichts. So wurde die Hose zum na-türlichen Zeichen eines patriarchalen Führungsanspruchs.
Alle herrschaftlichen Männlichkeitssymbole wurden bürgerlich umkonnotiert. Alle männlichen Modeprivilegien sind deswegen heute weiblich. Die weitreichenden Veränderungen kamen einem Paradigmenwechsel gleich, denn schon im Tierreich und dann durch die gesamte Kulturgeschichte waren es fast immer die Männchen und Männer, die sich als Löwenpascha und Pfau oder prunkvolle Pharaonen und Cäsaren optisch aufwerteten, um Machtpositionen einzunehmen. Mit dem Beginn der bürgerlichen Herrschaft hat sich die äußerliche männliche Erscheinung nicht nur grundlegend geändert, sondern umgekehrt. Männer schmückten sich nicht mehr selbst, sondern sie schmückten sich nun mit ihren Frauen, deren Garderobe und Schmuck sie schließlich finanzieren. So wurde die Mode weiblich. Schönheit und Mode waren gerade im 19. Jahrhundert die einzigen Möglichkeiten für Frauen, sich gesellschaftlich zu präsentieren. Sie spiegelten damit den sozialen Status ihrer Männer, denen sie dienten. Jedes andere Engagement, vor allem in Politik und Wirtschaft, war den Männern vorbehalten. Heute können Frauen alles tragen. Beschränkungen gibt es nur noch für die „eigentlich” freien Männer, die sich aber die einengenden Regeln selbst verordnet haben, um sich auf „höherer“ Ebene noch wichtiger zu machen..."