Ich will nochmal näher auf das "jüdische Mitbürger" eingehen. Das wurde hauptsächlich aus folgendem Punkt von Juden kritisiert, wie eben auch der Begriff "Menschen jüdischen Glaubens", weil manche Politiker und Teile der Medien aus falscher politischer Korrektheit das Wort "Juden" vermeiden wollten. Man wollte nicht mehr "Juden" sagen, weil es ein durch den Nationalsozialismus negativ geprägter Begriff sei. Jüdische Verbände und auch der von dir zitierte Henryk M. Broder verurteilten das stark, weil "Jude" kein abwertender Begriff ist, sondern die Selbstbezeichnung dieses Volkes. Man mache dadurch "Jude" zum Schimpfwort und wolle nicht, dass es zum "J-Wort" wird. Broder nannte es sinngemäß, einen "falschen Scham der Deutschen". Die Kritik an dem "Mitbürger" war nicht Hauptteil der Kritik, sondern ein zusätzlicher Punkt. Sie sagten, dass die Sprache ausgrenzend sei, weil man "jüdische Mitbürger" oder auch "muslimische Mitbürger" sagte, aber beispielsweise nie von "christlichen Mitbürgern", sondern eher in die Richtung "die Christen in unserem Land". Das ist eine feine Unterscheidung, die wahrscheinlich ohne Absicht der Sprecher gemacht wurde und ich kann die Kritik durchaus nachvollziehen, weil "Jüdischsein" unbewusst als etwas "Anderes", "Fremdes" dargestellt wird.
Henryk M. Broders Aussagen sollte man auch mit Vorsicht genießen. Er ist offenkundig ein Zyniker und Sarkastiker und einer der schärfsten dieser Art in der deutschen Journalistenlandschaft. Man muss über seine Aussagen oft zwei- und dreimal nachdenken, weil er sehr überspitzt und provokativ formuliert. Als säkularer Jude, wie er sich versteht, hat er auch eine gewisse Distanz zur Religion. Bei ihm passt der Begriff "Hassliebe". Sehr zu empfehlen fand ich damals die ARD-Sendung "Entweder Broder" mit ihm und Hamed Abdel-Samad. Ich fand das gelungene Satire und eine gute Religionskritik.
Gil Ofarims Aktion war geschmacklos und so eine Falschaussage ist in keinerweise zu entschuldigen. Ich will aber nochmal einen Satz zu dem Zentralrat der Juden sagen: Die haben sich anfangs natürlich auf Ofarims Seite gestellt, weil man zuerst davon ausgeht, dass er wahrheitsgemäß über eine Diskriminierung spricht. Der Zentralrat distanzierte sich aber auch direkt, als es sich als Lüge herausstellte, und haben ein Statement veröffentlicht, in dem sie Ofarim dafür verurteilen.
Hajo hat es auf den Punkt gebracht: Eine Kippa oder einen Davidstern auf der Straße zu tragen, kann dich zum Opfer von Gewalt machen. Viele Juden ziehen das erst an, wenn sie die Synagoge betreten, welche generell unter Polizeischutz steht. Ebenso jüdische Schulen, wo Kinder auf dem Weg zur Sporthalle von Polizisten begleitet werden müssen. Sowie erst die kürzlichen Berichte der Makkabi-Verbände, dass bei Fußballspielen jüdische Vereine nach einem Sieg sich in die Kabinen einschließen, weil sie von gegnerischen Teams schon häufig attackiert wurden. Das halte ich nicht für dünnhäutig, das halte ich für skandalös in einem demokratischen Staat.