Als rocktragende Männer in der Öffentlichkeit sind wir auch immer irgendwie Werbebotschafter, egal ob wir wollen oder nicht. Aber wir kleiden uns abweichend von der Norm und fallen mehr oder weniger auf. Aber selbst wenn wir weniger auffallen, ist es noch immer mehr als ein Mann in Jeans und Shirt.
Das Organon-Modell von Bühler ist eigentlich auf sprachliche Kommunikation ausgerichtet. Es lässt sich aber auch in nonverbalen Bereichen verwenden. Es gibt immer irgendwo einen Sender, einen Empfänger und eine Beziehung zwischen beiden. Der Sender will sich ausdrücken. Auf uns bezogen ist es der Mann, der sich mit Rock bekleidet. Zwischen Sender und Empfänger steht die Darstellung, die reine wertfreie Information, dass es auch Männer gibt, die Röcke tragen. Zuletzt wird ein Signal, ein Appell gesendet, gewollt oder nicht. Dieser Appell reicht dahin, auch andere noch unsichere Männer dazu zu bewegen, es doch auch einmal mit Rock zu versuchen, bis dahin, dass bei manchen Leuten die Einstellung gefestitgt wird, Röcke gehören allein den Frauen.
Aus Video-Auswertungen und Befragungen zu einigen Experimenten meiner Arbeitsgruppe wissen wir, dass etwa ein Drittel der Menschen, in deren Sichtfeld eine rocktragende Versuchsperson beim Flanieren durch eine Fußgängerzone war, diese nicht wahrnahmen. Ein weiteres Drittel zeigte allgemeine, offene und wertneutrale Neugier. Ungefähr ein Viertel zeigte sich leicht irritiert. Nur 5-8% waren schockiert. Sie drehten sich um oder starrten mit weiten Augen und offenem Mund der Versuchsperson hinterher. (Die Zahlen sind Näherungswerte, die variieren können je nach Ort und Zeit)
Holgers Auswertungen geben schon einmal ein grobes Bild. 5-8% aller Leute reagierten schockiert. Das wäre nach dem Organon-Modell die Ebene des Appells. Allerdings würde ich Studien dieser Art verfeinern wollen. Denn der Ausdruck, wie man sich mitteilt, also wie man sich kleidet, spielt eine große Rolle für den gesendeten Appell.
Es reicht nicht allein aus, sich vor den Spiegel zu stellen, zu sagen "gefällt mir" und dann nach draußen zu gehen. Es wird die Interaktion mit allen anderen Personen vergessen, von denen man wahrgenommen wird. Insofern sollte auch immer der Gedanke eine Rolle spielen, wie man wirken könnte und wie man wirken will. Oder zum mindesten: Wie will man auf keinen Fall auf andere wirken?
Wenn ein Mann seinen Kleidungsstil lebt, wenn er sich mit Rock eher dezent und gefällig kleidet, wenn die Komposition stimmt, wird seine Umgebung tendenziell eher wohlgefällig reagieren. Ich habe starke Zweifel, ob dann überhaupt 5% der Leute schockiert reagieren, sondern vernachlässigbar wenige. Wenn jemand ums Verrecken auffallen will, ein Mann im Ballkleid an einer Dönerbude, dann werden es sicher mehr als 8% sein, die schockiert sind. Wenn die Absicht des Mannes im Ballkleid ein clowneskes Verhalten war, hat er sein Ziel erreicht. Wenn aber seine Intention darin lag, andere Männer dazu bewegen zu können, sich auch mal so zu kleiden, dürften sein Ausdruck und der gesendete Appell nicht zusammen passen. Er wird eher abschreckend wirken.
Selbst wenn man nach draußen geht und nichts weiter will, als seine Freude auszuleben, verkennt man damit, dass man Signale an seine Umwelt sendet. Insofern ist es wichtig, dass eine gedankliche Abstimmung erfolgt. Wenn die Umgebung nicht interessiert, sollte zumindest die Frage grundlegend sein, wie man auf keinen Fall wirken will. Positiv gesehen ist es die Frage, wie man sich kleidet, wie man seinen Stil findet, um mit seinem Ausdruck den gesendeten Appell etwas zu steuern. Und dieser gesendete Appell - wie soll der aussehen? Was will man erreichen? Wie will man wirken?
Ob man tatsächlich so ankommt, ist eine ganz andere Fragestellung. In vielen Fachrichtungen lernt man, wie man ein Thema behandelt, um das und das Ergebnis zu erreichen. In der Rhetorik lernt man dies und das, um Leute zu überzeugen. Immer ist man sich bewusst, dass man niemals alle wird überzeugen können, aber ein gewisser Teil wäre ganz schön. Wie groß dieser Anteil ist, gibt dann wieder Rückschlüsse auf die angewandte Rhetorik. Wenn man nicht ankommt, liegt es auch immer an einem selbst.
Entsprechend spielt es immer eine Rolle, welchen eigenen Stil man pflegt. Insofern sind auch Stilfragen von Bedeutung. Denn immer sendet der eigene Ausdruck ein Signal an andere. Und wie dieses Signal aussieht, liegt nicht allein im Bereich der anderen, sondern wir können hier einen Einfluss ausüben, eine Richtung anstreben. So ist es wichtig, sich immer die Frage zu vergegenwärtigen: Wie will ich wirken? Wie kann ich das erreichen? Und so manches Mal gilt: Weniger ist Mehr. Es gibt kein Ursache-Wirkungs-Verhältnis, sondern man interagiert.
Gruß Matthias