Hallo Cephalus!
Schöner Beitrag.
Ein Teil der Rocker will schlicht die Faktenlage nicht akzeptieren, ein anderer Teil redet sie sich schön, und der Rest versucht sie zu ändern, was aber bedeuten würde die Gesellschaft zu verändern. Das wird auch passieren, aber durch keinen von uns und auch nicht durch uns gemeinsam – sie wird sich ändern, weil sie permanenter Wandlung ausgesetzt ist, in welche Richtung und in welchem Zeitrahmen, das steht auf einem anderen Blatt.
Ich erachte es für wichtig auszuleben, dass heute Unkonventionelles als nichts Ehernes verstanden wird. Es gibt Moden, aber eben nichts, was in Stein gemeißelt ist, wie gerade die Modegeschichte eigentlich deutlich macht. Deswegen kann der Hinweis auf die Möglichkeit der Gesellschaft zur Änderung nicht oft genug kommen. Es ist wohl nur größtenteils sicher, dass es anders kommen wird als wir uns vorstellen.
Gerade Frauen konnten ja im vergangenen halben Jahrhundert große modische Freiheit erlangen, dass sie die Beschränkung auf Rock und Kleid als Einschränkung ihrer Freiheit symbolisieren konnten. Wie Männern die gleiche Leistung gelingen kann -- nun, diese Frage harrt noch einer Antwort.
Immer wieder driften Themen in Richtung Rollenverhalten und andere gesellschaftliche Bereiche ab, was meiner Ansicht nach sehr interessant ist, zumal die Diskussionen auf sehr hohen Niveau geführt werden, aber für mich auch ein klares Zeichen setzen:
Viele tragen, vielleicht auch un- oder unterbewusst gerne einen Rock, weil es ein Protest oder auch Identifikationsmangel, mit der derzeitigen Situation ist. Nein, kaum einer hadert mit seiner gesellschaftlichen Rolle, weil er gerne einen Rock tragen würde, sondern viele kommen auf die Idee einen Rock zu tragen, weil ihnen anderes nicht passt – und seien es nur die „genormten Erwartungen“ an die Herrengarderobe.
Ich denke, es ist wichtig zu wissen, dass Kleidung eine Form der Sprache darstellt, mit der sich Aussagen über den Träger und dessen Einstellung zu sich selbst und zum Leben treffen lassen. Man kann keine Kleidung tragen, ohne eine wie auch immer geartete Aussage zu treffen. Wenn Männer also in der Damengarderobe wildern wollen, müssen sie auch die damit einhergehenden Aussagen und Selbst- und Lebenseinstellungen für sich akzeptieren lernen, wie sie auch entsprechendes bei anderen Männern akzeptieren lernen müssen. In der Hinsicht ist es wichtig, 'Weibliches' nicht als an das weibliche Geschlecht gebunden aufzufassen und für sich selbst zuzulassen. Im Umkehrschluss ist heute konventionell 'Männliches' auch nicht per se als etwas rein an das männliche Geschlecht Gebundenes. Kurz: Ich fordere individuelle Selbstakzeptanz und Akzeptanz anderer Individuen, sowie Abstandnahme von irgendwelchen irrationalen Erwartungen.
Möglicherweise ließe sich das Kleidungsstück Rock sogar in die Herrengarderobe integrieren, ohne weitergehende Übernahme von Aussagen wie "gib mir Aufmerksamkeit", "ich empfinde mich als reizvoll" und ähnliches. Ich sehe darin dann nur keine wirkliche Freiheit in der Herrengarderobe, da man dann nur die üblichen Aussagen unter erschwerten Bedingungen treffen will.
Und genau in diesem Kontext entsteht auch wieder das Problem der Ablehnung, der Skepsis und des Verdachts einer irgendwie gearteten sexuellen Motivation: Es steckt meist mehr dahinter als eine reine modische Spielerei – und das transportieren auch die meisten, unbewusst und subtil. Seinen Empfänger erreicht so eine Botschaft aber und die sorgt eben schnell für Besorgnis, Ablehnung oder Skepsis.
Ich sehe Wirkung und Ursache andersrum: Männer leiden heutzutage unter dem Generalverdacht, immer nur aus sexueller Motivation heraus zu handeln. Gerade Männer, die das immer tun, sind diejenigen, die als erstes den Vorwurf erheben, ein Rockträger oder auch Crossdresser wolle sich die weibliche Geschlechtlichkeit zueigen machen. Und eben weil wir Träger unkonventioneller Mode das wissen --wir sind ja Männer und kennen unsere Geschlechtsgenossen--, entsteht daraus die Unsicherheit, diesem Vorwurf ausgesetzt zu werden. Deswegen propagiere ich gerne, dass Männer auch aus anderen Gründen, nämlich denselben Gründen wie auch Frauen, zu Kleidung aus der Damengarderobe greifen können. Das muss nur mal in die Köpfe unserer Umfelder. Insofern bin ich tatsächlich ein Missionar und stehe dazu. Es geht mir darum, einen ungewohnten Gedankengang gewohnt zu machen.
Wenn man dann jammert, dass Frauen alles tragen können, ohne sich erklären zu müssen, ist das auf den Punkt gebracht: Eine Frau macht ein modischen Spiel oder Experiment – der Mann beschwert sich nicht gleich behandelt zu werden, vergleicht seine Situation und Rolle, nach innen und nach außen und schon sind wir wieder weg vom rein modischen Aspekt.
Die (wenigen) Männer, die es verstehen wirklich nur mit Mode zu spielen, haben meist auch keinerlei Probleme mit ihrer Umgebung.
Man kann mit Mode spielen, ja, aber das machen zumeist erst die, die ein wenig Ahnung von Mode haben und deren Möglichkeiten erahnen können. Für alle anderen ist Mode Pflichterfüllung oder Pflichtverweigerung (wahlweise). Ich habe mich schon an anderer Stelle hier im Rockmode-Forum damit unbeliebt gemacht, dass ich den Mangel an Ästhetik bei so manchem Mitglied angeführt habe. Es sieht für mich so aus, als würden Modelaien anfangen, das Modespiel zu spielen. Mit teilweise katastrophalen Ergebnissen. Man kann sicher einwenden, dass man das Spiel nicht lernt, wenn man es nicht spielt, ich würde dennoch gerne bei mehr Männern eine modische Grundbildung sehen, bevor sie anfangen, mit Mode zu spielen -- dadurch würden viele Anfängerfehler vermieden werden.
Um den Vergleich mit den Frauen mal anzusprechen: Männer sollten da mal lernen, Kritik zu üben und deren Spiel oder Experiment nicht immer vom sexuellen Standpunkt zu sehen. Enge Hose und tiefer Ausschnitt ergibt nicht gleich ein schönes Bild. Vielleicht ein reizvolles, aber nicht unbedingt ein schönes Bild. Solch Kritik muss dann angemessen artikuliert werden. Auch muss man den Kontext des Outfits berücksichtigen lernen. Alles in allem ist das aber noch leichter als ohne Erfahrung eigene Experimente zu wagen. Männers! Lernt Ästhetik und Kritk! Und Kritik nicht nur zu äußern sondern auch zu akzeptieren. Vieles aus der Damengarderobe dient der Betonung der eigenen körperlichen Ästhetik. Nutzt man als Mann diese Elemente, stechen die Makel umso deutlicher hervor (z.B. schlecht gepflegter Bart, schlampige Frisur, raue und grobe Haut an den Händen sowie ungepflegte Fingernägel).
Ich sehe hier jede Menge Männer, die wohl erst relativ spät in ihrer Lebensgeschichte mit Kleidung zu experimentieren anfingen. Denkt daran, dass Frauen schon als Mädels oftmals ihre Modelektionen machen mussten! Als Mama darauf geachtet hat, dass das Kleid zu den Strümpfen und die zu den Schuhen passten, während Sohnemann in Turnschuh und Sporthose auf dem Fußballplatz rumbolzte. Und vielen Männern geht es heutzutage ähnlich. Einziger Ausgleich (halbwegs) dürfte sein, dass den jungen Mädels von heute in ihren reizvollen Geschmacklosigkeiten keine Grenzen mehr gesetzt werden, wodurch auch deren Sinn für Ästhetik verkümmert. Den Frauen, zu denen diese Mädels werden und wurden, wird seitens der Männer und auch eines großen Teils ihrer Geschlechstgenossinnen eigentlich nur modische Gleichgültigkeit entgegenbracht, oder es wird Meinungsinzucht betrieben.
LG
Masin