Ich trage Röcke, seit einigen Jahren. Ich finde es einfach schön, es gefällt mir, weiterer Argumente bedarf es nicht.
Wie heißt es doch so schön: Mi ne volas esti normala. Man will nicht irgendwer von der Stange sein, will nicht mehr oder weniger gleich aussehen, man will nicht 0815 sein, man will nicht verwechselbar sein. Man will sich irgendwie abheben, hervorheben, seine Individualität ausdrücken. Und andererseits: man hat oft genug Angst, wenn man den Versuch macht, sich abzuheben, weil es da so etwas wie einen gesellschaftlichen Druck gibt. Dieser gesellschaftliche Druck ist aber oft genug nichts anderes, als eine moralisierende Instanz des eigenen Gewissens, sowas in der Art, was Freud Über-Ich nannte. So gesehen muss ich mich nicht über die Gesellschaft unterhalten, sondern allein mit mir in die Auseinandersetzung gehen.
In diesen Prozessen sind wir nicht allein. Viele Dinge laufen in dieser Weise ab.
Ein Beispiel:
https://mitvergnuegen.com/2018/was-es-mich-lehrte-4-monate-keinen-bh-zu-tragen Die Rede ist vom gesellschaftlichen Druck, vom Sich-beobachtet-Fühlen, von dafürsprechenden Argumenten aus experimentellen Untersuchungen usw. Und daneben steht das eigene zarte Pflänzlein des eigenen Gefühls und der eigenen Intention.
Ein anderes Beispiel: In einem Forum die Frage: Welche Strumpfhose zum Jeansrock. Eine Antwort davon von einer Frau:
"Eine schwarze Strumpfhose passt wirklich am Besten zum blauen Jeansrock. Ich hatte vor einiger Zeit ein graue Strumpfhose, wie einige empfohlen hatten, auspropiert. Das war absolut nichts. Selbtst das weibliche Geschlecht hat mich komisch angeschaut."
Ich denke dazu: Häääää??? Sogar andere Frauen haben sie komisch angeschaut? Das kann dann passieren, wenn die eigene Unsicherheit so groß ist, dass man sich ständig umschaut, ob man beobachtet wird. Der gesellschaftliche Druck eben. Aber gut: sie wird wohl nie wieder eine graue Strumpfhose zum Jeansrock tragen.
Immer und überall und bei jedem gibt es irgendeinen Kampf, etwas aus eigenem Wunsch zu tun oder etwas Gewünschtes aus eigener Unsicherheit zu unterlassen. Es ist ein Kampf, den jeder für sich selbst ausficht. In jedem Fall gibt es Argumente Pro, aber auch immer Argumente Contra. Welche Richtung man einschlägt, muss jeder für sich selbst herausfinden. Wenn man seine Richtung gefunden hat, braucht es keine Argumente mehr, warum man etwas tut. Man macht es einfach, ganz unbefangen, unbedarft, unschuldig, so als hätte es vorher nie einen inneren Kampf gegeben.
Ich bewege mich im Rock in der Öffentlichkeit und mir fällt nicht auf, ob mich Leute beobachten, über mich schwätzen. Ich bewege mich im Rock nicht anders als in einer Jeans. Selbst wenn ich eine anthrazitfarbene Strumpfhose zu einem Jeansrock trage, werde ich nicht komisch angeschaut. Gesellschaftlicher Druck - was ist das? Irgendetwas, was ich mir in meinem eigenen moralisierenden Über-Ich zurecht gelegt hatte. Ich kann mich aber verändern. Und ich kann auch mein Über-Ich modifizieren, auch so weit, dass es für mich keine Barriere mehr darstellt.
Gesellschaftlicher Druck ist was Abstraktes, nicht wirklich Vorhandenes. Ich kann nicht jeden Menschen, der mir begegnet, damit konfrontieren, dass er mein gesellschaftlicher Druck ist, dass er mich im Rock nicht toleriert und akzeptiert. Zumal ich mich sowieso nicht sonderlich beachtet fühle. Und da ich mich eben nicht großartig beachtet fühle, brauche ich mich auch nicht über mangelnde Toleranz und Akzeptanz, nicht aber angeblichen gesellschaftlichen Druck beschweren. Diesen eigenen Kampf auszutragen, nenne ich im Sinne Alfred Adlers Selbstverantwortung. Es einfach unterlassen, immer mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern seinen Weg selbst in die Hand nehmen. Schlicht und einfach deshalb: Weil ich mir selbst wichtig bin.
So gehe ich lieber meinen eigenen Fragestellungen nach: welchen Rock kann ich zu welchem Shirt mit welcher Strumpfhose tragen? Wie kombiniere ich was, so dass es mir zusagt? Wie ist mein eigener Stil? Der eigene Stil liegt z.B. darin, dass ich ausschließlich Bleistiftröcke trage, keine Blümchenröcke in A-Linie, keine Faltenröcke. Was gefällt mir? Was steht mir? Ich merke übrigens oft, dass einem Dinge stehen, die man selbst voller Überzeugung trägt, weil sie einem einfach gefallen und weil man ein entsprechendes Gefühl nach außen vermittelt.
Gruß
Matthias