Wenn wir den inoffiziellen, aber irgendwo doch verbindlichen Bekleidungsnormen folgen, markieren wir uns automatisch auch geschlechtlich. Selbst ein gleiches Kleidungsstück kennzeichnet durch unterschiedlichen Körperbau und Körpersprache differenzierend. Die Geschlechtsmerkmale gehören zu den wichtigsten Merkmalen, nach denen Menschen unterschieden werden. Auch in Situationen, in denen das Geschlecht ohne Bedeutung ist und wir einfach nur Mensch sind, wird auf das Geschlecht geachtet. Das fängt schon mit einer weiblichen oder männlichen Anrede an.
Wenn ich einen Rock anziehe, dann stehen gesellschaftlich meine praktischen Motive nicht im Vordergrund der Beurteilung meiner Erscheinung. Ganz automatisch und unbewusst stelle ich mich darauf ein, indem ich versuche, durch die Rockwahl (z.B. nichts buntes, blumig gemustertes) und eine klassisch männliche Kombination mich männlich zu präsentieren. Ich habe den Anspruch auch im Rock ein ganzer Mann zu sein. Mein öffentliches Auftreten hat neben dem Spaß Rock zu tragen auch die Funktion diesen Anspruch notfalls durchzusetzen. Vielen anderen Männerrockkulturen ist das in der Vergangenheit gelungen. Mein Anspruch ist also realistisch. Lediglich hinsichtlich der Umsetzungsstrategie ist eine planmäßige, schrittweise Vorgehensweise sinnvoll, weil patriarchalische Männer die Rockkonnotation in den letzten 250 Jahren in den Köpfen der Menschen radikal verschoben haben. Es ist nie leicht zurück zu rudern.
Andere Männer, ich habe sie mal in Anlehnung an das Anima-Animus-Prinzip als Anima-Typ definiert, wollen mit Rockbekleidung ein alternatives Männermodell zeigen, dass sich klar zur weiblichen Seite bekennt. Sie brechen mit der klassischen Männerrolle oder wollen sie weiterentwickeln.
Nötig hätte unsere Gesellschaft das durchaus. Denn Macht und Aggression verlieren in einer modernen Gesellschaft, in der Männer nicht mehr auf die Jagd gehen und sich schlagend durchsetzen, immer mehr an Bedeutung. Empathie, Teamgeist und Seilschaften (Networking) machen heutzutage Freunde oder ebnen den beruflichen Aufstieg. Die Anhängerschaft dieses Prinzips kann man doch auch durch Kleidung zum Ausdruck bringen.
Dieser Weg ist beschwerlich, weil es ein Weg ist gegen archaisches Triebverhalten. Und hier gilt evolutionsbiologisch, dass Bekleidung zu den nonverbalen Ausdrucksmitteln gehört, mit denen wir seit Urzeiten Friedfertigkeit in einer sozialen Gruppe signalisieren, um Sympathie zu ernten. Dieses Element ist so wichtig, dass uns die Evolution unser Hirn speziell mit Spiegelneuronen ausgestattet hat. Die arbeiten wie ein Autopilot ohne unser aktives zutun. Sie sind schuld, wenn Männern das Rock tragen schwerfällt. Immer, wenn uns etwas peinlich ist, ohne dass es einen vernünftigen Grund gibt, dann sind die Spiegelneuronen dafür verantwortlich.
Kleidung markiert ganz archaisch. Und Archaik braucht Schubladen. Früher haben die zwischen Freund und Feind getrennt. Aber auch heute schaffen sie Ordnung und Klarheit zwischen Menschen, die sich anfangs immer erst fremd sind. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum nebenbei betrachtet „straßentaugliche“ Transmenschen zunehmend Anerkennung finden. Sie haben halt gerade durch moderne Hormonsubstitutionsmethoden und Chirurgie mit den relevanten Merkmalen überzeugend die Seiten gewechselt. Sie stehen nicht mehr zwischen den Stühlen. Sie sind in einer neuen Schublade angekommen, und Schubladen sind eine Heimat die Zweifel auflösen.