Unsere Uni ist sehr liberal, aber das College wird von Eltern gerade wegen seiner konservativen, streng katholischen Linie geschätzt. Deswegen entscheide ich mich nur selten im Rock zum Unterricht zu erscheinen. Um dann nicht angreifbar zu sein, werde ich nur traditionelle Männerröcke tragen.
Bitte einloggen oder registrieren um das Bild zu sehen.Meine Sonderauftritte im Kilt an schottischen Feiertagen im Unterricht verlaufen unspektakulär. Ich falle nicht besonders auf und es gibt auch keine Irritationen. Man kennt meine Rock-Philosophie und akzeptiert sie. Kommentare sind selten und immer positiv. Es gilt mal wieder das Rock-wie-Hose-Prinzip. Den meisten Schülern und Studenten ist es egal was ich anziehe. Es berührt sie nicht. Ich werde respektiert in Rock wie Hose. Das ändert sich auch nicht, als ich einen Test mache und den Kilt gegen einen femininen Plissee-Rock aus der Sommerkollektion von NET-Fashion tausche. Eine Woche später bitte ich darum, in der Unterrichtspause einen Fragebogen dazu auszufüllen. Etwa einem Drittel der StudentenInnen war die Veränderung nicht aufgefallen. Ein weiteres Drittel meinte sich an eine Veränderung zu erinnern, konnten diese aber nicht genauer beschreiben. Die Personen des letzten Drittels, die sich genau erinnern konnten, erwiesen sich als überzeugte Befürworter meiner Bekleidungsinitiative. Bei der Frage, ob der gefühlte Eindruck eher negativ oder positiv ist, werden durchschnittlich 86 von 100 Punkten vergeben. Die schlechteste Einzelbewertung liegt bei 65 Punkten. Auf die Unterrichtsqualität in Rock oder Hose angesprochen, stellen alle Befragten keine Veränderungen fest. Alle Urteile fallen somit positiv aus.
Ich interpretiere die Aussagen der 77 Befragten so: Mein Bekleidungsstil ist im Alltag angekommen. Und genau das habe ich mir gewünscht. Letztlich will ich nicht auffallen, und ich will nicht provozieren. Ich will nur ein bisschen mehr Normalität. Ich will nur etwas mehr Selbstverständlichkeit. Und warum ist die Akzeptanz so einfach, schnell und lautlos gewachsen? Ich habe den Eindruck, es liegt im Erkennen, dass die Veränderung auf sich beschränkt bleibt. Ich bleibe der Mensch, der ich war. Somit hat sich die Verhaltensänderung nicht als bedrohlich erwiesen. Meine Freiheit berührt nicht die Freiheit der anderen. Bedenken lösen sich auf. Aus kritischer Voreingenommenheit kann jetzt ein positives Priming werden. Dieser Prozess läuft umso schneller ab, je weniger wir anderen fremd sind. Die Sympathie, die andere uns entgegenbringen ist entscheidend für deren Bereitschaft Vorbehalte zu prüfen. Ich glaube, bevor wir bei einem Anliegen Toleranz fordern, sollten wir vorher unserer Umwelt die Gelegenheit geben uns ganz allgemein und von unserer menschlichen Seite kennenzulernen.