Gestern trug ich dank des schönen Wetters einen knielangen Faltenrock in einem Rot, das einen kleinen Ticken heller als bordeauxrot war, dazu ein königsblaues T-Shirt mit einer Pride Cat (=süßes Kätzchen in Regenbogenfarben). Wie immer war ich natürlich der einzige erwachsene Rockträger im Team. Unsere Praktikantin sagte, dass sie mich beneide und sie hätte heute wohl besser auch einen Rock anziehen sollen, aber das wäre ihr am Morgen doch zu kalt gewesen. Ich meinte, Röcke haben doch den Vorteil, dass man einfach eine Strumpfhose oder Leggings drunter ziehen kann, die man dann später einfach auszieht. Sie sagte mir: "Ja, das stimmt. Soweit habe ich gar nicht gedacht, weil ich so selten Röcke trage."
Einige Kinder sahen mich gestern zum ersten Mal, weil sie seit meinem Arbeitsbeginn noch nicht da waren und für längere Zeit im Urlaub gewesen sind. Zwei Jungen riefen mir deshalb zu: "Hallo Mädchen!", "Du bist ein Mädchen!" Ich registrierte zuerst gar nicht, dass sie mich damit meinten. Nach kurzer Zeit standen sie vor mir und wiederholten das. Nennen wir die beiden mal Nils und Tom.
Nils und Tom: "Haha, du bist ein Mädchen."
Yoshi: "Seid ihr euch da sicher?"
Beide überlegen.
Yoshi: "Sehe ich aus wie ein Mädchen?"
Tom: "Du hast ein Rock an, also bist du ein Mädchen."
Yoshi: "Bist du ein Mädchen, Tom?"
Tom: "Nein, ein Junge."
Yoshi: "Du hast aber lange Haare, also bist du ein Mädchen."
Tom: "Nein, Jungen können auch lange Haare haben."
Yoshi: "Ja, das stimmt. Genauso können Jungen auch Röcke tragen."
Nils: "Dann bist du ein Mädchen mit Bart."
Tom: "Ja, ich habe noch nie einen Jungen im Rock gesehen."
Yoshi: "Ihr müsst mal nach Schottland. Da tragen viele Männer Röcke."
Beide verstummen und schauen sich an.
Nils und Tom: "Schottland?"
Yoshi: "Ja, in Schottland. Oder in Asien tragen auch viele Männer Röcke, aber ihr habt Recht, dass das in Deutschland selten ist. Ich bin meistens der einzige Mann im Rock, wenn ich unterwegs bin."
Beide schauen sich fragend an.
Nils: "Tschüss, Mädchen mit Bart."
Yoshi: "Tschüss, Mädchen mit langen Haaren."
Dies war wieder mal ein Beispiel für provokative Kontaktaufnahme, denn die Jungen kamen im Laufe des Tages noch häufiger zu mir, um mit mir zu sprechen. Dabei ging es gar nicht mehr um den Rock, sondern um alles Mögliche. Der Rock diente als provokativer "Opener" für ein Ansprechen und den weiteren Beziehungsaufbau. Ich finde es immer wieder interessant, dass für die Kinder meine Kleidung ein Gesprächsöffner ist. Mit Rock, Nagellack und Motivshirts biete ich ja auch viele Möglichkeiten zum Anquatschen.
Nils war auch bei einer weiteren Situation dabei. Er saß in der Nestschaukel, die ich anschubste und quasselte mich zu. Es saßen ein weiterer Junge und noch drei Mädchen darin. Die Mädchen sagten zu mir, dass ich kein Rock und keinen Nagellack tragen darf, weil ich ein Junge bin. Nils, der mich vorhin für mein Rocktragen neckte, schritt ein und sagte: "Stimmt nicht. Nagellack ist auch für Jungs. Ich trage auch oft Nagellack. Meine Mama hat mir blauen Glitzernagellack gekauft." Damit hätte ich bei ihm ja überhaupt nicht gerechnet. Es entwickelte sich daraufhin ein Gespräch über Nagellack und jedes Mädchen wollte mir erzählen, welche Farbe es am liebsten mag. Nils berichtete anschließend sehr detailliert von dem Nägel lackieren. Letztens sei leider sein "Fläschchen" zerbrochen, weil die Mama ihn beim Aufschrauben fallen ließ und der ganze Fußboden voll mit türkisem Nagellack war. Das wäre eine riesige Sauerei gewesen, alles hätte geklebt, aber als Entschädigung hat er jetzt den blauen Glitzernagellack von der Mama gekauft bekommen, den er sogar noch besser finden würde.
Nach einer Weile kamen die Mädels wieder auf meinen Rock zurück, warum ich ihn trage. Ich meinte: "Schaut mal, Mädels. Ihr habt heute auch alle Röcke und Kleider an. Das ist doch viel luftiger bei dem warmen Wetter als Hosen, oder?" Nacheinander murmelten sie alle ein: "Ja." und ich sagte: "Seht ihr, ich empfinde das auch so wie ihr. Es ist bequemer und mir wird nicht so schnell heiß wie in Hosen." Sie wollten sich vergewissern, ob es Rock oder Kleid ist, weswegen ein Mädchen mein Shirt hochhob und feststellen musste: "Ah, das ist ein Rock. Ich dachte, das wäre ein Kleid. Das sah aus wie zusammengemacht."
Ein anderes Mädchen fragte mich, ob ich noch andere Männer im Rock kenne oder mal gesehen habe. "Ja, es gibt einige Männer, die Röcke tragen. Ich schreibe manchmal im Internet mit welchen und die zeigen auch Bilder von sich." Die Mädels machten große Augen und sie wollten es dann ganz genau wissen: "Was tragen die für Röcke?", "Welche Röcke ziehen die an?", "Sehen die so aus wie du?", "Welche Farben haben die Röcke?", "Wie lange sind die Röcke?", "Warum tragen die das?", "Wie heißen die Männer?", "Wohnen die in Deutschland?", "Haben die auch Nagellack?", "In welchem Kindergarten sind die?", etc.
Meine Lieblingsfrage war jedoch: "Haben die von den Mamas die Röcke gekauft bekommen?" Den Kinder sagte ich, dass die Männer selbst ihre Röcke kaufen und viele von uns sogar sehr viele Röcke besitzen. Aber vielleicht hat ja wirklich einer von uns mal einen Rock von seiner Mutter geschenkt bekommen. Jetzt wäre die Möglichkeit sich zu "outen".