Als ich zum ersten Mal Leggings angezogen habe, war das 1983 bei der Marine in Wilhelmshaven. Ich bin mit den Leggings und Sportshorts von meinem Schiff (Zerstörer Bayern) über die Stelling auf die Pier gestiegen und dann eine dreiviertel Stunde durch den Standort gelaufen. Das habe ich nur in der kalten Jahreszeit gemacht, sonst nicht. Mit den Leggings konnte ich das Warm-up bei Kälte verkürzen, ich hatte seltener Verspannungen und konnte längere Strecken bei höherer Geschwindigkeit laufen.
Dafür habe ich im Deck reichlich Prügel bezogen. Wenn ich vom Laufen zurückkam, hatten die Kameraden meist schon einige Runden Skat gespielt und gesoffen (Alkohol und Zigaretten an Bord waren erlaubt). Ich musste aufs Deck, denn hier war auch meine Koje. Natürlich ließ man mich angetrunken nicht in Ruhe. Mein Verhalten fanden sie auch nicht sportlich, sondern einfach nur schwul. Den Kompromissvorschlag des Decksältesten, ich laufe in Zukunft weniger und trinke mehr mit den Kumpels, habe ich abgelehnt. Also wurde eine Einigung blutig ausgefochten. Da ich als Kadersportler aber auch austeilen konnte, liefen die gewalttätigen Auseinandersetzungen auf einen Kompromiss hinaus. Der Kommandant empfahl meine Versetzung, weil Herr Hähle sich unfähig zeigte in eine Männergemeinschaft zu integrieren. Meine fachlichen Leistungen interessierte niemand bei dem Deal. Hauptsache weg mit der „schwulen Sau“.
Nur, Fussballprofis laufen mittlerweile im Winter auch mit wärmender Beinbekleidung unter den Adidas-Shorts auf. Die Leggings heißen dann nur Trikotstrumpfhosen. Die Motive sind die gleichen wie bei mir. Aber niemand hält Bayern Münchens erste Mannschaft für schwul. Schön das sich die Zeiten langsam ändern.
Gestern habe ich in einer großen Drogerie in der Sockenabteilung Leggings gesehen. Die waren deutlich getrennt nach Damen– und Herrenleggings. Endlich sind Leggings für alle Menschen legitimiert. Aber warum wird schon wieder unterschieden zwischen Leggings für die eine Seite und Leggings für die andere Seite? Eine Frau mit dicken, kurzen Beinen kann doch bestimmt auch eine Männergröße tragen so wie Nico bestimmt eine Damengröße für schlanke, lange Frauenbeine tragen kann. Wieso wird nicht eine riesige Unisex-Auswahl für alle angeboten?
Immerhin freut es mich, dass ich aktuell zum Herbst hin (die Temperaturen in Taiwan liegen mittlerweile unter 30 Grad) im Alltag immer mehr Männer sehe, die meist zu Basketballshorts schwarze Leggings und Sportschuhe kombinieren. Hier ist eine Brücke gebaut. Wenn diese jungen Männer jetzt auch noch Leggings mit Longshirts kombinieren, sind wir nicht weit weg entfernt von revolutionären Entwicklungen in der Männermode. Hier müssten jetzt die Männermodelabels reagieren. Ich werde das zum Anlass nehmen um Vorreiter zu sein. In den nächsten Wochen werde ich weniger Rock tragen und stattdessen Longshirts mit blickdichten Strumpfhosen kombinieren. Mal schauen, ob ich auch solche Longshirts bekomme, wie Barefoot-Joe sie bei Männermode gefunden hat, mit einem unteren Teil, der vom Schnitt und der Farbe minirockähnlich abweicht. Wenn wir hier einen Trend setzen können, dann ist es nicht mehr weit, den Rock für jeden Menschen hoffähig zu machen.