Mich verwundert Deine Schönrederei, Joe.
So zumindest empfinde ich Deinen Beitrag auf den ersten Blick.
Bist Du, wie Du selbst sagst, doch auch in der LGBTQ+ (und etc)-Gruppe verortet.
Aber ja, Du hast wahrscheinlich mehr Einblicke in die Selbstwahrnehmung 'dieser' Gruppe als manch anderer hier im Forum. Darum Danke für die Informationen darüber. Es mag schon erschrecken, wenn hierzulande - wo viele doch denken, es ginge hier immer liberaler zu - sich manche davon abhalten lassen, trotzdem oder gerade deswegen, sich offen als LG...Gruppenzugehöriger (ist einfacher zu schreiben) zu erkennen zu geben.
Unberührt soll hier die Fragen bleiben "Muss man sich offen als Zugehöriger zeigen?" Nein, muss man nicht, aber was soll schlimm daran sein, wenn man es trotzdem tut. So jedenfalls die Ideale. Aber wie gesagt, diese Frage ist eher sogar obsolet, jedenfalls hier im Thread fehl am Platz.
Die Rechtfertigung von offenbar offizieller Stelle der ungarischen Regierung liest sich wie eine Rechtfertigung unter Zuhilfenahme bedeutungsverlagernder Wortverdrehungen. À la unsere Freiheit sehen wir, indem wir unsere Freiheit einschränken. Ja, ist ein Wort - und eigentlich sollte das jedes souveräne Land auch so handhaben können - außer man stützt sich auf einen Staatenverbund mit gemeinsamen Zielen und Werten, dann geht das nicht mehr ganz so einfach.
Das mit der Homoehe in Ungarn ist mir jetzt nicht geläufig. Aber Homo-/Trans-etc-Phobes ist aus Ländern, die sich in ihrer Integrität bedroht fühlen, nichts seltenes.
Und da hat Jule recht, dass von klassischen Mann-Frau-Entwürfen abweichende Lebensmodelle in solchen Ländern wohl auch ganz intensiv als Bedrohung ihres Fortbestands angesehen werden. Ihnen ist es lieber, homosexuelle Menschen unterdrücken ihre Neigung und leben ein angepasstes Leben in Form von kinderproduzierender Gleichschaltung.
Die Angst, Homosexualität könne sich vererben, ist deutlich geringer als die Angst, Homosexualität könne erlernt werden. Jedes am Nationalglück nagende Modell jenseits der herkömmlichen Famile wird als Bedrohung mit nationaler Tragweite angesehen. Da sind die kleinen Staaten des ehemaligen Ostblocks vorne mit dabei, weil sie Angst haben, von den Großkulturen überrollt zu werden. Da ist Polen mit dabei, weil sie über die Jahrhunderte hinweg immer hin- und hergeschoben wurden. Und da ist Ungarn mit dabei, weil gerade mit der sprachlichen Identität sie da ja eine besondere Sonderstellung innehaben und auch alleine in dieser Integrität von außen bedroht werden.
Nicht zuletzt durch die österreichische k.u.k.-Besatzung, aber auch nach Öffnung des Eisernen Vorhangs sind Ungarn (also die Bewohner Ungarns) sehr in Richtung deutschem Sprachraum orientiert. München ist meines Wissens nach die größte 'ungarische' Stadt nach Budapest. Die Auslandsungarn haben einen sehr intensiven Nationalstolz. Mehr als Spanier, Türken, Tunesier. Ja, Marokkaner kommen dem noch recht nahe - das nur nebenbei. Zudem ist die ungarische Bevölkerung ja auch nicht wirklich homogen. In Ungarn sind neben den deutschen Minderheiten auch noch rumänische und weitere - eigentlich müsste man sagen - Nationalitäten beheimatet.
Diese Integrität im Innern und von Außen zu bewahren, ist eine sicherlich nicht einfache Aufgabe. Das ergibt dann Bestrebungen, die von außen als ziemlich radikal wahrgenommen werden. Und es ist nicht sonderlich verwunderlich, wenn diese Strömungen von der Politik und nicht vom Volke ausgehen. Denn die Politik sieht dies als ihre Mission an, auch wenn es die Bevölkerung so in dieser Form vielleicht gar nicht so will.
Ja, Joe, das Mann-Frau-Kinder-Modell ist nicht das einzig glücklichmachende Modell für alle Menschen, aber ich gebe Dir Recht, dass die kleinste Einheit "Familie" durchaus ein schützenswerter Raum ist, den man nicht für Beliebigkeiten opfern sollte. Über kurz oder lang wird die Menschheit - jedenfalls dort, wo es leistbar sein wird - diese 'Enge' der Familie ohnehin überwinden und Reproduktion wird durch technische Möglichkeiten vollends von Sexualität abgetrennt werden - ja, soweit meine kleine leider dystopische Weissagung (warum schreibt man die eigentlich nicht mit 3s oder ß?) - aber auf dem Weg dorthin sollte man den Wert von Familie möglichst noch lange bewahren - was allerdings nicht zur Degradierung anderer Lebensentwürfe führen soll.
Manche Staaten, die sich schnell überfahren fühlen, tun sich halt noch etwas schwer, die anderen Lebensentwürfe aushalten zu können.