Autor Thema: Die Annahme, dass man als Rockträger immer Probleme hat  (Gelesen 1339 mal)

Offline Yoshi

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Es gibt bei mir eine Kollegin, die mich ständig auf meine Kleidung anspricht und das mit Problemen assoziiert. Bereits nach wenigen Tagen hatte sie mich gefragt, ob mich Eltern in der Kita schon angesprochen hätten auf meine Röcke. Als ich dies verneinte, war sie überrascht. Daraufhin sagte sie: "Du hast doch bestimmt öfter Probleme und wirst diskriminiert!" Auch das verneinte ich, denn bisher hat mich noch niemand blöd angemacht. Ich erklärte ihr, dass meistens kein Kommentar kommt und wenn mal einer kommt, dann sind das Komplimente, was nicht selten vorkommt. Das schien sie irgendwie nicht glauben zu können.
Nächstes Mal kamen wir darauf zu sprechen, dass ich die Arbeit gewechselt habe, weil es dort unauflösbare Konflikte gab. Ich wollte über Details nicht reden, weil ich nicht so jemand bin, der Leute schlecht redet. Geht schließlich niemand was an. Ihre Assoziation: "Wurdest du wegen den Röcken gekündigt?" Mal abgesehen, dass man aufgrund dessen nicht gekündigt werden darf, wurde ich nicht gekündigt, sondern habe auf eigenen Wunsch die Einrichtung innerhalb desselben Arbeitgebers gewechselt. Auch darauf sagte ich ihr dann: "Damit hatte keiner Probleme. Das wurde akzeptiert und positiv aufgenommen. Es gab Streit im Team. Das hatte pädagogische Gründe und nichts mit meinem Kleidungsstil zu tun."
Vor einigen Tagen kamen wir darauf zu sprechen, dass wir eine gemeinsame Bekannte haben. Ich erzählte ihr, dass sie mal an mir Interesse hatte und wir uns trafen. Wir haben uns in der Kennenlernphase gestritten und sie streitet mittlerweile ab, dass wir uns getroffen haben. Meine Kollegin hat mich mit großen Augen angestarrt. Mehrere Stunden später kam sie nach Feierabend nochmal zu mir: "Ich kann immer noch nicht glauben, dass du nicht schwul bist. Da war ich mir 100% sicher." Ich antwortete ihr gelassen: "Nur weil ich öfter mal einen Rock anhabe?" Da fühlte sie sich wohl ertappt und brüllte wie aus der Pistole geschossen ein lautes "Nein!" heraus. Sie hielt einige Sekunden inne, wirkte irgendwie beschämt und fügte hinzu: "Ja, doch... und wegen dem Nagellack." Ich sagte ihr, dass Mode und Sexualität zwei unterschiedliche Dinge sind und dass man sie vor einigen Jahrzehnten für lesbisch gehalten hätte, weil sie eine Hose trägt. Dann sagte sie zu mir, dass unsere Bekannte ja ein ziemlich oberflächlichlicher Mensch sei und sie sich nicht vorstellen kann, dass sie einen Mann im Rock daten würde. Ich erklärte ihr, dass das schon etwas länger her sei und ich damals noch keine Röcke oder Nagellack trug. Sie war verblüfft: "Ich dachte, du machst das schon immer."
Das Thema schien sie über Nacht beschäftigt zu haben. Direkt als ich sie den nächsten Morgen sah, sagte sie, sie hätte sich Gedanken gemacht. Unsere Bekannte würde die Treffen bestimmt abstreiten, weil es ihr peinlich sei wegen meiner Röcke und dem Nagellack. Das sei nichts gegen mich, aber sie wollte wohl mit so einem Mann nicht in Verbindung gebracht werden. Ich sagte ihr, dass sie das damals schon abgestritten hatte, bevor ich Röcke öffentlich trug und sie das vielleicht auch gar nicht von mir weiß, weil wir keinen Kontakt haben. Sie wirkte irgendwie enttäuscht, weil ihr Erklärungsmodell nicht zutraf: "Komisch. Ich glaube dir! Aber warum streitet man das ab?"
Am selben Tag kamen wir darauf zu sprechen, dass ich auf Wohnungssuche bin und in eine andere Großstadt ziehen möchte. Sie riet mir von einigen Stadtteilen ab, weil die Migranten mich dort anfeinden und zusammen schlagen würden. Sie war allerdings noch nie dort gewesen, um das beurteilen zu können.
Ich weiß, dass diese Person ihre Aussagen nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Unwissenheit macht. Man muss auch dazu sagen, dass sie eine christliche Schwarzafrikanerin ist und das alles aufgrund ihrer Sozialisation noch mal befremdlicher wirken kann. Irgendwie schwingt da schon mit, dass sie das sehr seltsam findet. Ich finde es auch sehr interessant, dass alle Probleme, die ich habe und die jeder andere Mensch auch schon mal erlebt hat, mit meinem Erscheinungsbild verknüpft werden. Zudem wirkt sie oft verwundert, weil es zwei Kolleginnen und einen Kollegen gibt, die mich auch auf meine Outfits ansprechen und mich mit Komplimenten überhäufen. Eventuell ist da auch etwas Neid und Missgunst dabei. Ich hatte schon mal eine Kollegin, die meinte, sie fühle sich in meiner Gegenwart "underdressed" und klein, weil ich immer im Mittelpunkt stehe. Hat jemand schon mal ähnliche Erfahrungen gemacht?

Offline SW Michl

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Ja, und zwar war die negativ voreingenommene Person ich selbst.  ;) Völlig ohne Grund, wie ich heute weiß.
Und doch traue ich mich in bestimmte Umgebungen immer noch nicht ohne Hose. Aber ich bin dabei, mir selbst gegenüber Überzeugungsarbeit zu leisten. Und jeder einzelne hier hilft mir dabei.

Deine Kollegin meint vielleicht in dir eine Art "Verbündeten" zu sehen, weil sie selbst möglicherweise Diskriminierungserfahrungen gemacht hat und das als Gemeinsamkeit von euch beiden annimmt.

Liebe Grüße
Michael

Offline cephalus

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Hi Yoshi,
Die Kollegin muss wohl noch an ihrem Weltbild, bzw. Deutschlandbild arbeiten. Wie ich westafrikanische Länder kenne, wird ungeachtet der dort teilweise noch üblichen langen bunten Gewänder für Männer, alles was Geschlechterrollen verletzt sehr kritisch betrachtet. Meine langen Haare wurden mehrfach thematisiert  trotz Begleitung meiner Frau.

Die grundsätzliche Annahme, dass Röcke u.ä. Probleme oder Ärger verursachen, habe ich tatsächlich am häufigsten hier im Forum erlebt.
Vermutlich ist das auch der Grund warum manche im Forum sind: Würde man nicht von Widerstand ausgehen, würde jeder einfach machen und bräuchte keinen Austausch

Offline Yoshi

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Deine Kollegin meint vielleicht in dir eine Art "Verbündeten" zu sehen, weil sie selbst möglicherweise Diskriminierungserfahrungen gemacht hat und das als Gemeinsamkeit von euch beiden annimmt.

Sehr interessanter Aspekt, der mir so nicht bewusst war, aber eine Erklärung sein könnte. Die Aussagen wirken teilweise recht unreflektiert von ihr, aber die Person begegnet mir ja sehr positiv und ist voll gesprächig. Vielleicht kann man es so vergleichen wie die alltäglichen Fragen, die Menschen mit Migrationshintergrund zu hören bekommen, die sie selbst als rassistisch empfinden, die unsereins aber gar nicht böse gemeint hat.


Offline SW Michl

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Denke ich auch. Ihre Fragen erscheinen mir mehr interessiert als ablehnend, auch wenn sie gleichzeitig eine gewisse Irritation durchblicken lassen (Stichwort Weltbild [cephalus]).

Offline Yoshi

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Heute war ich mit besagter Kollegin nach der Arbeit zum Bahnhof gelaufen. Ich trug einen plissierten Maxi-Rock, der bräunlich mit orangefarbener Note war, dazu ein schwarzes Pikachu-Shirt und meine Nägel sind aktuell in einem dunkleren Orange lackiert.
Wir fahren die Rolltreppe hoch und als wir uns an den Bahnsteig stellen, läuft ein Ü60-Herr vorbei. Als er an uns vorbei war, realisierte er erst wohl, dass ich einen Rock trug. Er drehte sich ruckartig um, machte große Augen und riss den Mund weit auf. Er war sichtlich geschockt. Einige Leute wurden daraufhin auf mich aufmerksam, weil sie wahrscheinlich dachten, er hätte etwas "schlimmes" gesehen. Sie gehen weiter und ihre Gesichtern drücken Gleichgültigkeit aus: "Ein Mann im Rock? Na und?"
Einen ganz kurzen Augenblick später steht ein Teenager vor mir, wahrscheinlich arabischer Herkunft und schien unter Drogeneinfluss. Er stellt sich vor mich und sagt fordernd: "Hast du Kleingeld?" Ich verneinte und er wurde aggressiv: "Lüg' mich nicht an!" Meine Kollegin schimpft: "Was ist dein Problem? Geh weiter!" Er geht nicht weiter, dann sag ich zu ihr: "Dann gehen wir halt!" und ich laufe Richtung Bahn, die gerade einfährt. Er geht dann weiter und meine Kollegin schreit ihm hinterher: "Ich versteh euch nicht. Nur weil ein Mann anders ist, müsst ihr ihn nicht gleich blöd anmachen!"
In dieser Situation kann ich nicht leugnen, dass das Problem vielleicht wirklich der Rock war. Kann aber auch nur Zufall sein. Jedenfalls toll, wie sie sich mit mir solidarisiert hat!

Offline MAS

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Ich werde im Rock gefühlt häufiger um Geld gebeten als in Hosen. Kann aber auch sein, dass die Bettelei eh zugenommen hat im Vergleich zu damals, als ich noch mehr Hosen trug.

LG, Micha
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Offline Skirtedman

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Ha, und ich werde im Rock viel häufiger angesprochen und nach dem Weg gefragt.

Das ist mir schon in den Neunzigern aufgefallen, wo ich durchaus den direkten Vergleich hatte, weil ich da auch noch in Hosen unterwegs war.

Oft war ich auch nicht weit und breit der Einzige, den man hätte fragen können. Und selten hatte ich das Gefühl, die Frage nach dem Weg sei fingiert, nur um mit mir ins Gespräch zu kommen, bzw. "mich auszutesten".

Ganz im Gegensatz zur Frage nach der Uhrzeit. Was Kinder z.T. gerne fragen, um einen näheren Eindruck von mir zu bekommen. Das ist besonders dann für die Kinder peinlich, wenn sie ein Handy in ihrer Hand halten.  ;D

Beim Nach-dem-Weg-Fragen war neulich gerade folgender Fall. Zwei Handwerker osteuropäischer Herkunft mit eigenem Sprinter irrten durch die Wege. Sie würden schon ewig die Hausnummer suchen. Hier nicht, das gehört zu anderer Straße, sagte ich. Ja, aber die Hausnummern würden hier passen. Welche sucht Ihr? 64? Die Straße, die Ihr sucht, ist da vorne quer. Ja, das wissen sie. Und ich sagte: Aber da gibt es nur 10, 12 Häuser. Die zeigten mir dann die notierte Adresse. Tja, die waren in der falschen Stadt. Sie bedankten sich, stiegen in ihren Sprinter und fuhren los. Kein Anzeichen davon, dass ihnen meine Kleidung komisch vorkam. Oder sie mir misstrauten.

@Yoshi

Danke für die tolle Geschichte. Beim Lesen dachte ich genau das, was Du als Fazit selber schriebst:

In dieser Situation kann ich nicht leugnen, dass das Problem vielleicht wirklich der Rock war. Kann aber auch nur Zufall sein. Jedenfalls toll, wie sie sich mit mir solidarisiert hat!

Offline GregorM

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Ha, und ich werde im Rock viel häufiger angesprochen und nach dem Weg gefragt.

Es ist genau, was ich auch erlebe. Und Leute, die fragen, haben bestimmt nichts gegen einen Mann im Rock.

Gruß
Gregor
Gruß
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Offline Yoshi

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Ich hab im Speziellen auch den Eindruck, dass vor allem Frauen weniger nervös sind beim Ansprechen. Manchmal haben Frauen anfangs ein leichtes Zittern in der Stimme, aber im Rock nehme ich das tatsächlich seltener wahr.

Offline Skirt-Man

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Antw:Die Annahme, dass man als Rockträger immer Probleme hat
« Antwort #10 am: 12.09.2023 19:39 »
....
Einen ganz kurzen Augenblick später steht ein Teenager vor mir, wahrscheinlich arabischer Herkunft und schien unter Drogeneinfluss. Er stellt sich vor mich und sagt fordernd: "Hast du Kleingeld?" Ich verneinte und er wurde aggressiv: "Lüg' mich nicht an!" Meine Kollegin schimpft: "Was ist dein Problem? Geh weiter!"
.....
Es kann an Deinem Rock gelegen haben, aber auch einfach an Deinem Erscheinungsbild.
Solche Aussagen komen meistens, wenn die Leute das Gefühl haben, dass sie Stärker sind, als der Angesprochene.

Ich werde im Rock gefühlt häufiger um Geld gebeten als in Hosen. Kann aber auch sein, dass die Bettelei eh zugenommen hat im Vergleich zu damals, als ich noch mehr Hosen trug.
Die Bettelei hat auf jeden Fall zugenommen.

Ich hab im Speziellen auch den Eindruck, dass vor allem Frauen weniger nervös sind beim Ansprechen. Manchmal haben Frauen anfangs ein leichtes Zittern in der Stimme, aber im Rock nehme ich das tatsächlich seltener wahr.
Die Frauen haben schon begriffen, dass kein Triebtäter im Rock rum läuft.

Offline Skirtedman

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Antw:Die Annahme, dass man als Rockträger immer Probleme hat
« Antwort #11 am: 12.09.2023 20:55 »
Manchmal haben Frauen anfangs ein leichtes Zittern in der Stimme, aber im Rock nehme ich das tatsächlich seltener wahr.

Oops, das kenne ich eigentlich eher von den wenigen Männern, die es wagen, mich darauf anzusprechen...!

Offline Yoshi

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Antw:Die Annahme, dass man als Rockträger immer Probleme hat
« Antwort #12 am: 13.09.2023 00:16 »
Es kann an Deinem Rock gelegen haben, aber auch einfach an Deinem Erscheinungsbild.
Solche Aussagen komen meistens, wenn die Leute das Gefühl haben, dass sie Stärker sind, als der Angesprochene.

Ich nehme an, dass es ihm wahrscheinlich nicht wirklich ums Geld ging, sondern eher um mein Äußeres. Er hat ja explizit nur mich gefragt und ging sofort auf Konfrontation. Für mich war er zwar keine ernsthafte Gefahr, denn dafür war er viel zu zugedröhnt und schmächtig, aber ich hab kein Bock mich mit so Halbstarken zu prügeln.


 

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