Es muss im Juli/August 2000 gewesen sein, dass ich mir meinen ersten Rock kaufte und trug.
Wie es war, schrieb ich auf meine erste Webpage ein Jahr später. Ich habe den Text wieder gefunden - sehr nostalgisch, viel davon:
14. Der Anfang
Anfang der achtziger Jahre sah ich auf der Straße einen Mann in einem m schwarzen kurzen Rock. Der Rock war das einzige, das unmittelbar an ihm merkwürdig, „unnormal“ oder „weiblich“ vorkommen könnte. Einige Leute drehten sich herum und starrten ihm nach. Einige hatten Kommentare zu seinem "Outfit". Die meisten aber bemerkten ihn kaum. Es war Sommer, heiß, und die, die nicht sehr aufmerksam waren, haben vermutlich seinen Rock mit Shorts verwechselt. Sonst hätten die sich zweifellos auch umgedreht und sich wundern lassen. Eine halbe Minute später war er im Gewühl verschwunden.
Ich wunderte mich auch. Ich war alleine, aber wenn zum Beispiel meine Frau da gewesen wäre, hätte ich ihr sicher gesagt: "Sehe doch den Mann da. Er hat einen Rock an!". Und meine Frau hätte sich ebenfalls gewundert.
Ich muss aber gestehen: Ich war neidisch auf ihn um seinen Mut. Dieser Mann hatte das gewagt, das ich eigentlich "immer" gewünscht hatte. „Nie“ hatte ich so richtig verstanden, warum nur Frauen Röcke tragen dürften. Für mich wäre ein Rock aber total unmöglich. So könnte man sich als Mann nicht kleiden. Damals nicht. Allerdings nicht öffentlich.
Wäre meine Frau dabei gewesen, damals, hätte ich gehofft, dass sie gesagt hätte: "Sieht aber ganz gut aus. Du könntest doch auch einen Rock tragen".
Ich weiß auch: Sie hätte das nicht gesagt. Denn das würde gegen alle Normen streiten. Und den Gedanken, je selbst einen Rock zu tragen, schob ich deshalb zur Seite.
In den letzten Jahren habe ich zwar nicht oft, aber trotzdem ab und zu Männer im Rock oder Kilt gesehen, im Internet gibt es Foren, die sich intensiv mit Männern im Rock und Kilt beschäftigen, und in Rock/Pop-Bands treten Männer im Rock oder Kilt auf. Auch kommt es manchmal vor, dass Röcke mit Männermode verbunden werden.
Dazu kommt, dass die Gesellschaft toleranter geworden ist. So stelle ich mir das jedenfalls vor.
15. Sollte auch endlich ICH?
Zur Geschichte gehört, dass ich mich für einen ganz normalen MANN halte: 100% heterosexuell und seit Jahren mit einer wunderbaren Frau verheiratet. Gegen Hosen habe ich weder bei Frau noch bei Mann viel einzuwenden, nur möchte ich gern nicht länger immer NUR Hosen tragen.
Lange war ich beim Überlegen. Einen Kilt habe ich mir tatsächlich vor kurzer Zeit gekauft, aber ihn nur in sehr begrenztem Umfang getragen.
Wie wäre es nun mit einem ganz normalen Rock?
Wie und wo könnte ich mir einen kaufen?
Wie sollte er aussehen?
Wie kurz?
Sollte ich vorgeben, ich würde meiner Frau ein Geschenk kaufen, oder nicht verheimlichen, dass ich dabei wäre, einen Rock für mich selbst zu besorgen?
Und was mit der Größe?
Und wenn gekauft, würde ich es dann überhaupt je wagen, mich öffentlich im Rock zu zeigen, und wenn ja, wie würde die Reaktion sein? Klar, das letzte war das wichtigste.
Meine Frau meinte, als ich mit ihr eines Abends darüber unterhielt, ich würde (zu) viel Aufsicht erregen, und vielleicht würde ich noch ausgelacht werden.
Eines Tages mitten im Sommerurlaub, fern von zu Hause habe ich mich endgültig entschlossen.
"Wenn ich heute einen nicht (zu) femininen Rock in meiner Größe finde, kaufe ich ihn".
16. Im Einkaufszentrum
Eine Stunde nach meinem Entschluss, hielt ich vor einem Einkaufszentrum, wo es möglich sein sollte, einen Rock zu finden. Es gab dort ein H&M, und bei H&M gibt es den Vorteil, dass sie nicht nur Frauensachen verkaufen. Dann fühlt man sich als Mann nicht so fremd.
Ich wusste auch, dass einige H&M Filiale Herrenröcke verkauft hatten. Sie waren aber alle lang, und die würden für mich nicht infrage kommen, da ich sowieso lieber einen kurzen Rock möchte.
Im Laden habe ich bei Männerhosen, Shorts und Hemden angefangen zu suchen - während ich mir den Mut sammelte, mich hinüber in den Damenbereich zu bewegen.
Bei den Männerkleidern waren übrigens auch Frauen auf der Suche, und wer findet das irgendwie merkwürdig?
Als ich endlich so weit war, fand ich innerhalb einer Viertelstunde drei kurze Röcke, die mir alle gefielen: Zwei waren Wickelröcke. Der eine war schwarz, der andere grau. Sonst sahen sie identisch aus und kamen mir nicht als zu weiblich vor. Der dritte war ein „normaler“ Rock im Jeanshosenstoff, olivgrün, mit vier großen Taschen, Reißverschluss vorne und mit Schlaufen für einen breiten Gürtel. Sah übrigens völlig aus wie die kurzen Hosen, die ich anhatte. Die Taschen und die Farbe waren genau gleich, und der Rock war von ungefähr derselben Länge. – nur es war ein Rock.
Was nun? Erstens die richtige Größe feststellen. Laut Augenmaß sollte es wohl um 44 sein, aber vielleicht würde 42 auch noch gehen.
17. Rock anprobieren
Ich wollte nicht erst zu Hause feststellen, ob die Röcke passten, obwohl es viel einfacher gewesen wäre.
Den grauen Rock in Größe 42, den schwarzen und den Jeansrock in 44 unterm Arm ging ich - ein bisschen zögernd - zum anprobieren - in den Männerbereich.
Eine Verkäuferin stand vor dem Eingang, hat aber keine Fragen gestellt. Eigentlich wäre es ja auch egal, habe ich mich überzeugt. Wenn ich einen Rock anprobieren will, wer oder was soll mich dann davon abhalten können?
Der schwarze war – wie der graue – ziemlich kurz, sah aber im Spiegel ganz gut aus. Ein bisschen mehr als Fingerspitzenlänge. Er passte auch besser als der graue in Größe 42. Der Jeansrock war einige Zentimeter länger als die beiden anderen.
Ich wollte alle drei haben und auf dem Weg zur Kasse tauschte ich den grauen mit einem in Größe 44.
18. Gedanken an der Kasse
An der Kasse war eine ziemlich lange Schlange.
Ich sagte mir, es wäre falsch, meine ersten drei Röcke irgendwie zu verstecken. Wagte ich nicht mit Röcken in der Hand zu stehen, wie würde ich es dann je schaffen, öffentlich berockt zu sein? Wenn so, konnte ich es ebenso gut gleich vergessen. Also, nicht die Röcke viermal zusammenlegen, damit es den anderen Kunden nicht zu sehen wäre, was ich in der Hand hatte.
Sollten einige vor mir, neben mir oder hinter mir sich darüber Gedanken machen, wozu ich, ein Mann, Röcke kaufte, dann wäre es ihre Sache. Die Röcke gefielen mir. Das alles habe ich mir mehrmals gesagt, als es langsam vorwärtsging. Und dann, als nur noch zwei Kunden vor mir waren, kam mir die Idee: "Du verlässt diesen Laden nur im Rock"
Als ich bezahlt hatte, und es nur noch dem Mädchen an der Kasse fehlte, meine Röcke in eine Tüte zu legen, habe ich sie endlich gebeten, alle Preismarken vom Jeansrock zu entfernen. Meinen Wunsch erfüllt, die beiden anderen Röcke schon in der Tüte und den olivgrünen Rock noch in der Hand, blickte sie mich für eine Sekunde an und reichte mir ihn dann mit einem verständnisvollen Lächeln.
19. Point of no Return
Mit der weißen H&M-Tüte in der linken Hand und dem Jeansrock in der rechten ging es wieder in die Anprobe.
Warten, bis eine Kabine frei wurde. Gürtel, Geld und Autoschlüssel auf den Hocker, Shorts ab und in die Tüte. Den Olivgrünen Rock an, Gürtel in die Schlaufen des Rockes, Geld und Schlüssel in die vorderen Rocktaschen.
Mich selbst im Spiegel betrachtet. Dann wieder Zweifel. Noch konnte ich ja bereuen. Sollte ich nicht einfach meine Shorts wieder anziehen und das Rocktragen in eine undefinierte Zukunft verschieben?
Nach zwei Minuten oder so, mit für und wider, meist wider, stellte ich fest, dass ich die Zeit wohl verpasst hatte. Draußen im kleinen Flur warteten viele, die auch was anprobieren wollten. Ich musste jetzt einem anderen die Kabine überlassen.
Ich wusste, dass in dem Augenblick wo ich die Tür zum Flur mit den wartenden Kunden aufschob, würde es definitiv Point-Of-No-Return sein. Mein Auto schien mir plötzlich weit, weit entfernt zu sein.
Tiefe Einatmung. Eins... zwei... drei. Tür auf und hinaus... im olivgrünen Minirock!
20. Wie war das erste Mal?
Durch H&M und in das Einkaufszentrum hinaus. Merkwürdiges Gefühl von einer Freiheit, die ich in Hosen nie erlebt habe, auch nicht im längeren Kilt, gemischt mit der Angst, ausgelacht und verpönt zu werden.
Und die Reaktion? Es war keine Reaktion. Hier ging ich, ein Mann, zum ersten Mal im kurzen Rock, und niemand bemerkte es, kam es vor. Ich verbrachte eine halbe Stunde im Einkaufszentrum, kaufte mir einige CDs, einen Film und ein Autozeitschrift im Kiosk.
Soviel ich feststellen konnte - und man ist am Anfang sehr empfindlich und aufmerksam - haben keine Frau wie auch keinen Mann - jung oder alt - sich umgedreht oder über mich geredet, geschweige von gelacht.
Mit dem Auto in die Innenstadt. Auf einem Parkplatz mit viel Kommen und Gehen bin ich ausgestiegen. Warten vor dem Parkscheinautomaten. Im kleinen Rock. Zurück zum Auto mit dem Parkschein. Nichts Böses passiert. In den Straßen sehr viele Fußgänger an mir vorbei. Mehrere Personen haben mich im Rock mit Sicherheit bemerkt, aber es war nicht zu sehen, ob mein „Outfit“ ihnen positiv, negativ oder einfach gleichgültig vorkäme.
Sogar meine Frau sah nicht sofort, als ich zurückkam, dass ich im Rock war. Sie glaubte, ich hatte meine Shorts an. Aber bestens, sie fand den Rock akzeptabel.
Nachschrift
Die Akzeptanz meiner Frau dauerte nicht. Sie hat wohl gedacht, ich würde nach kurzer Zeit das alles wieder aufgeben. So ging es nicht. Das Rocktragen ging mir ins Blut, sozusagen.
Wir fanden aber einen Kompromiss: den Kilt.
Gruß
Gregor