Autor Thema: Toleranz bedeutet, Fremdes zu achten  (Gelesen 2390 mal)

JuergenB

  • Gast
Toleranz bedeutet, Fremdes zu achten
« am: 05.04.2005 10:21 »
Hallo Leute,

folgender Beitrag war ursprünglich sicher nicht auf Männermode gemünzt, aber ich glaube der Inhalt ist sehr gut zu übertragen.

Gruß
JürgenB


Karl Kardinal Lehmann über das Wertschätzen von anderen Standpunkten

Eine tolerante Haltung beinhaltet, der anderen Meinung gegenüber Achtung zum Ausdruck zu bringen. Karl Kardinal Lehmann spricht sich in der Reihe „Signale“ in der Rhein-Zeitung zum Schillerjahr für den verbindlichen Dialog verschiedener geistiger, ethischer, spiritueller und religiöser Ãœberzeugungen aus.


Das Wort Toleranz wird besonders seit der Mitte des 16. Jahrhunderts gebraucht. Das Problem gab es auch in früheren Zeiten, wenn man zum Beispiel im römischen Weltreich viele verschiedene Völker mit unterschiedlichen Religionen einigermaßen friedlich integrieren mußte. In der frühen Neuzeit hat sich auch in Europa nicht zuletzt durch die Vielzahl und das strittige Nebeneinander christlicher Konfessionen das Problem verschärft.

Toleranz hat in diesem Zusammenhang einen vielfältigen Sinn. Es bedeutet zunächst, vor allem im Blick auf Ãœberzeugungen Verschiedenartiges ernst zu nehmen und ihre Andersartigkeit gelten zu lassen. Dies kann sich jedoch sehr verschieden gestalten. Es kann ein bloß vorübergehendes Zugeständnis sein, das man rein taktisch macht. Toleranz kann aber auch eine Form des Hinnehmens oder Zulassens sein, die letztlich von Desinteresse und Gleichgültigkeit zeugt.

Toleranz kann jedoch auch über das bloße Ertragen – dies ist ja die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes – hinausgehen. Dann bringt man einer anderen, vielleicht sogar entgegenstehenden Meinung gegenüber Achtung zum Ausdruck. Schließlich hat dies grundlegend etwas mit Freiheit der Person zu tun. Toleranz achtet darum die freie Entscheidung anderer Menschen, Gruppen, Völker, Religionen, auch andere Denk- und Sichtweisen, Lebensstile und Lebensformen. So ist die Geltung der Toleranzforderung weit über den engeren politischen Bereich hinausgewachsen.

Toleranz ist heute nicht mehr das einzige Wort für die gemeinte Sache. In unseren Verfassungen werden verschiedene Freiheiten garantiert, so zum Beispiel das Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit. Es gibt in der Toleranz das Recht, anders zu sein und so mit dem Anderen zu leben. Es besteht nicht mehr der Zwang, sich der Meinung und Ãœberzeugung einer Mehrheit zu unterwerfen. Die Unterschiede unter den Menschen, die oft mit Gewalt beseitigt worden sind, werden zivilisiert.

Es gibt nicht nur die Möglichkeit des mehr oder minder lästigen, unwilligen „Ertragens“ abweichender Anschauungen und Gemeinschaften. Echte Toleranz ist auch bereit, Gegensätze auszuhalten und Konflikte friedlich auszutragen.

Im gesellschaftlichen Dialog gibt es bei aller Toleranz gewiß auch die Möglichkeit des Widerspruchs und verschiedener Formen des Widerstandes, zum Beispiel in gewaltfreier Form. Darum ist es nicht leicht, echte Toleranz einzuüben. Auch in unseren von der Aufklärung und Kritikfähigkeit geprägten Gesellschaften ist es für weite Teile der Bevölkerung immer noch schwierig, das Andersartige und Fremde, vor allem aber auch fremde Menschen, aufzunehmen und gelten zu lassen. Hier kann Toleranz eine sehr herablassende Haltung bedeuten. Die Intoleranz versteckt sich manchmal hinter Gleichgültigkeit, bricht aber bei provokanten Herausforderungen durch Fremdes plötzlich durch.

Wir brauchen eine neue Kultur der Anerkennung des Anderen und Fremden. Dies kann man aber nicht wirklich leisten, wenn man im Blick auf die Wahrheitsfrage einen prinzipiellen Relativismus vertritt. Es geht nicht darum, daß jemand im Besitz absoluter Wahrheiten ist, sondern daß ein Anspruch auf Wahrheit überhaupt anerkannt wird und gültig ist.

Darum ist in einer modernen Gesellschaft, die grundsätzlich durch den Pluralismus gekennzeichnet ist, der verbindliche Dialog verschiedener geistiger, ethischer, spiritueller und religiöser Ãœberzeugungen wichtig, damit mitten in aller Toleranz das Gemeinwesen auch verbindliche Maßstäbe (die so genannten „Grundwerte“) bereithält, um ein Minimum gemeinsamer Grundannahmen, vor allem im Blick auf das Ethos, zu gewährleisten. Dafür braucht es die Duldung anderer geistiger Standpunkte, aber eben auch den Mut zur Aufrechterhaltung und Verteidigung des eigenen Standortes, wozu Argumentation und Dialog die vorzüglichsten Mittel sind.

Offline Wolfgang

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Re:Toleranz bedeutet, Fremdes zu achten
« Antwort #1 am: 05.04.2005 19:43 »
Hallo Jürgen,

ja, Du hast Recht, das Thema ist voll übertragbar. Nur der letzte Absatz stellt ein Teil der viel gepriesenen Toleranzbereitschaft wieder in Frage.

Ich habe bei einer Firma vor kurzem folgende Erfahrung gemacht: Man gibt sich zwar tolerant, weltoffen  und möchte die Gleichberechtigung, aber ich solle doch bitte demnächst nicht mehr im Rock erscheinen.

Es gibt offensichtlich Menschen, die sich bei dem Thema Männerrock wie Kinder in der Pupertät verhalten, nämlich dumm, widersprüchlich und vorschnell, und glauben auch noch, im Recht zu sein.

Klar, die Firma werde ich nicht weiter betreuen, schließlich laß ich mir nicht vorschreiben, was ich anzuziehen haben, solange es legal ist (ich habe schließlich auch meinen Stolz und ich kann es mir Gottseidank leisten), aber nun überlege ich mir, ob ich das Zitat dem Kündigungsbrief beilegen sollte.

Liebe Grüße aus Bayern

Wolfgang



 
Zitat Adenauer: Ich bin wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich...


 

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