Autor Thema: Die Welt, in der wir leben  (Gelesen 4557 mal)

Offline christian

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Die Welt, in der wir leben
« am: 17.03.2010 09:22 »
Hallo Rockers,

heute morgen war ich mal wieder etwas mutiger. Um 7h30 im Bus zum Bahnhof. Schülerhauptverkehrszeit. Und ich im kurzen Strickkleid und hohen Stiefeln mittendrin.

Da ich in den letzten Tagen immer mit demselben Bus gefahren bin wurde ich sozusagen schon erwartet. Die ganze hintere Hälfte des Busses bestand aus einem kollektiven Gaffen. Nix neues, die Gesichter kenne ich schon. Es sind ja immer dieselben. Aber Kommentare habe ich keine vernommen. Klar, daß ich in einer von Bushido und Seinesgleichen geprägten Welt fast nur in mir unbequemen Schubladen lande. Aber ich scheine mich dort nicht mehr so sehr zwischen geistigem Unrat einklemmen zu müssen. Offensichtlich habe ich in diesen Köpfen doch eine Art Platz gefunden. Vielleicht bekomme ich dort sogar heimliche wohlgesinnte Gedanken ab. Auch wenn sich in solchen Gruppen das kaum jemand zu sagen traut. ("solche Gruppen" == geistig schlicht gestrickte Wesen auf dem Weg ins Berufsförderungszentrum.)

Am Bahnhof gab's dann natürlich einige Lacher und Pfiffe. Aber nur aus größeren Gruppen, die ohnehin schon etwas lauter waren. Schade, daß ich nicht unauffällig hinter mir her laufen kann, um mir die genauer anzusehen. Im Großen und Ganzen reagieren die Meisten auf so eine Störung im normalen Weltbild recht gelassen. Woraus ich schließe, daß die Störung gar nicht so groß ist, wie ich mir manchmal einbilde. Scheinbar kommt unsere Gesellschaft mit solchen Ausnahmen wie mir doch einigermaßen zurecht.

Einerseits bin ich in unserer 40K-Einwohner-Stadt schon Vielen bekannt. Andererseits werde auch ich selbst in gewagteren Outfits immer entspannter und nehme meine Umgebung gleichmäßiger wahr. Früher habe ich mit Radar-Ohren und selektiven Blicken genau die Leute bemerkt, die deutlich auf mich reagiert haben, mit Rufen, Pfeifen oder Fingerzeigen. Aber eine etwas gelassenere Betrachtung offenbart doch, daß das nur Einzelne sind. Klar schauen alle ...

Alle? Noch nicht mal das. Wenn man beim Warten auf Bus & Bahn gelangweilt herumsteht, ist einem ja jede Attraktion recht. Und wenn es nur die krümelpickende Taube ist. Aber es gibt auch Grüppchen, die sich angeregt unterhalten und, obwohl sie mich bemerken, einfach weiterreden. Ohne zu Gaffen. Ohne ihre Gesprächspartner auf mich aufmerksam zu machen.
Die gucken einfach nicht. Ja sowas! Frechheit! ;)

Fazit: so schlimm isses garnicht. Klar falle ich auf, aber es ist nur für Einzelne unangenehm oder lächerlich. Weil die eben ihre eigenen Merkwürdigkeiten in ihrer Welt im Kopf spazierentragen. Ansonsten verträgt unsere Gesellschaft uns Rocker doch ganz gut. Wenn man sich selbst entspannt, entspannt sich plötzlich auch vieles um uns herum.

Wir leben nicht in ein und derselben Welt. Jeder hat seine eigene im Kopf. Und im Bauch. Diese persönlichen Welten sind eine Summe der Erfahrungen und augenblicklicher Eindrücke. Sozusagen eine Spur der Standpunkte und Blickrichtungen von unserem Weg durch das Ganze, das uns umgibt. Es sind alles persönlich gefärbte Ausschnitte aus dem großen Ganzen. Wir sind sehr vorsichtig am auswählen, was wir daraus in unsere Welt hineinlassen. Da wird gefiltert, schöngefärbt und ausgeblendet. Das  Ganze nimmt wohl kaum jemand wahr. (Das Ganze uns Umgebende und den ganzen Prozess des Filterns.)

Die Welten der anderen kennen wir nicht, wir beinflussen sie nur. Aber meine Erfahrung ist: Sobald ich anfange, nicht mehr verspannt und ängstlich um mich zu schauen, sieht das Außen auch gleich weniger bedrohlich aus.

Unsere Gesellschaft, unsere kollektives Bewußtsein, wie auch immer man es nennt, erlaubt uns, uns so zu kleiden, wie es uns gefällt. Das schwierigste daran ist, es zu erkennen.

ciao, christian
Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom!

AsiaHarry

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Re: Die Welt, in der wir leben
« Antwort #1 am: 17.03.2010 10:23 »
Hallo!

Ja, da gebe ich dir vollkommen recht.
Als ich vor 3 Jahren mir vorgenommen hatte, mit dem Rock auch raus zu gehen, da hatte ich auch diese tausend Gedanken was die anderen wohl sagen werden, oder wie sie sich verhalten würden. Aber dann war alles äusserst entspannt :D Heute denke ich oft gar nicht mehr daran, dass ich eigentlich einen Rock oder Kilt anhabe ;D ;D ;D

Aber das entscheidende für mich ist, dass der Rock mir nach wie vor eine viel bessere Lebensqualität gibt. Sowas war ich 30 Jahre lang einfach nicht gewohnt, dass Kleidung auch angenehm sein kann :D

Offline kalotto

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Re: Die Welt, in der wir leben
« Antwort #2 am: 17.03.2010 13:34 »
Hallo Christian, das trifft es doch haarscharf vierkant auf den Kopf! Feiner Beitrag, Gruss aus Kärnten
Unisex=Einbahnstraße? Dann bin ich Geisterfahrer ;)
Er kam sich underdressed vor und nähte sich Röcke

rocker56

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Re: Die Welt, in der wir leben
« Antwort #3 am: 17.03.2010 18:15 »
Kann mich  kalotto nur anschließen, ist ein guter Beitrag.
mehr Mut , mehr Tolleranz bei allen!


Offline tightform

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Re: Die Welt, in der wir leben
« Antwort #4 am: 18.03.2010 07:21 »
Ich kann allen Vorrednern nur Recht geben, seit ich völlig entspannt mit meinen Röcken, hohen Schuhen oder sonstiger Kleidung des"vermeintlich anderen Geschlechts" umgehe und mich ganz selbstverständlich damit auch in der Öffentlichkeit zeige, kommt es fast nie zu blöden Kommentaren.
Im Gegenteil, positiv werde ich recht häufig angesprochen.

-- tightform.

Offline tightform

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Re: Die Welt, in der wir leben
« Antwort #5 am: 18.03.2010 07:24 »
Ich kann allen Vorrednern nur Recht geben, seit ich völlig entspannt mit meinen Röcken, hohen Schuhen oder sonstiger Kleidung des"vermeintlich anderen Geschlechts" umgehe und mich ganz selbstverständlich damit auch in der Öffentlichkeit zeige, kommt es fast nie zu blöden Kommentaren.
Im Gegenteil, positiv werde ich recht häufig angesprochen.

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Offline GregorM

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Re: Die Welt, in der wir leben
« Antwort #6 am: 18.03.2010 07:55 »

Die Welten der anderen kennen wir nicht, wir beinflussen sie nur. Aber meine Erfahrung ist: Sobald ich anfange, nicht mehr verspannt und ängstlich um mich zu schauen, sieht das Außen auch gleich weniger bedrohlich aus.

Unsere Gesellschaft, unsere kollektives Bewußtsein, wie auch immer man es nennt, erlaubt uns, uns so zu kleiden, wie es uns gefällt. Das schwierigste daran ist, es zu erkennen.


Hallo Christian,

besser kann es nicht gesagt werden.

Die persönliche Ausstrahlung bedeutet alles!

Um das eigene Selbstvertrauen zu erbauen handelt es. Das bedeutet auch, dass die meisten am Anfang einige Niederlagen erleben müssen. Nur nicht aufgeben, sondern lernen, wie man entspannt und auf sich selbst sicher "hosenlos" im öffentlichen Raum bewegt.   

Gruß
Gregor
Gruß
Gregor

Offline robotobo

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Re: Die Welt, in der wir leben
« Antwort #7 am: 18.03.2010 12:39 »
Hallo Christian, hallo Freunde

ich kann mich den kollegen auch anschliessen. Schöner Beitrag, sehr mutig mit solchen Jugendlichen in einem Bus zu fahren. Vielleicht haben die ja auch Till Schweiger im Kino als Frau gesehen. http://www.youtube.com/watch?v=d0zwxA_X0jw hier im song von keri hilson I like, ab und zu zu sehen. Schaut ruhig mal rein.

Viel Spaß weiterhin mit euren Röcken in der Öffentlichkeit
Ich bin nachher auch wieder draußen im Rock auf meinem Rad unterwegs.

LG Robotobo
Ohne Angst verschieden sein!


 

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