Autor Thema: Das Kleid und der Psychologe  (Gelesen 3220 mal)

Offline Holger Haehle

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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #15 am: 30.10.2022 03:30 »
Lieber Lars,

woher weisst du, dass deine Erfahrung die richtige ist und nicht die des anderen. Jeder Mensch ist von seiner Meinung überzeugt. Das Meinungen unterschiedlich ausfallen, überrascht nicht, wenn Menschen unterschiedliche Erfahrungen machen. Eine Erfahrung, die nicht das Ganze erfasst ist einseitig und folglich muss auch die daraus abgeleitete Meinung einseitig sein.

Wie überprüfst du die Qualität deiner Erfahrung? Auch jemand, der eine andere tiefe Erfahrung macht vertraut wegen der Intensität des positiven Gefühls darauf, dass er Recht hat und könnte deinem Empfinden entschieden widersprechen. Wieso liegt er falsch? In der empirischen Wissenschaft werden immerhin Erfahrungen placebokontrolliert verglichen, um Ungereimtheiten zu entdecken. Wie machst du das?

Unser Hirn hat ein emotionales  und ein rationales Zentrum. Wir hätten somit zwei Ansätze, um uns einer Frage zu nähern. Da empfehle ich nicht den einen oder anderen Weg, sondern beide für doppelte Absicherung.

Ganz ohne Wissenschaft geht es nicht, wenn wir etwas sicher wissen wollen. Denn das Sammeln von Erfahrungen ist bereits Wissenschaft, weil du deine Wahrnehmung interpretierst. Jede Kognition und Verarbeitung mit dem Ziel induktiv zu einer relevanten Aussage zu kommen, gehört zu den Methoden der empirischen Wissenschaften. Im Gegensatz dazu gibt es dann noch die deduktiven Wissenschaften, die kausal ableiten und mathematisch berechnen.

Offline MAS

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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #16 am: 30.10.2022 09:46 »
Lieber Lars,

gerade Emotionen sind ja sehr subjektiv. Zwar gibt es auch kollektive Gefühlsäußerungen, die aber dann auf einer Parallelisierung individueller Gefühle durch Kommunikation (verbale, aber auch andere) beruhen.

Wissenschaft arbeitet ja mit methodischer Wissensgenerierung. Die Methoden werden immer wieder überprüft und ggf. korrigiert. Wobei aber nicht alle Wissenschaftler*innen eines Faches derselben Meinung sein müssen. Deswegen gibt es oft verschiedene Schulen innerhalb einer Wissenschaft, die einander widersprechen. Wissenschaftliches Wissen ist also nicht vollkommen objektiv. Aber es nähert sich diesem objektiven Wissen an.

Aber kann man sich auch emotional objektivem Wissen annähern?

LG, Micha
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Online Lars

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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #17 am: 30.10.2022 19:00 »
woher weisst du, dass deine Erfahrung die richtige ist und nicht die des anderen. Jeder Mensch ist von seiner Meinung überzeugt. Das Meinungen unterschiedlich ausfallen, überrascht nicht, wenn Menschen unterschiedliche Erfahrungen machen. Eine Erfahrung, die nicht das Ganze erfasst ist einseitig und folglich muss auch die daraus abgeleitete Meinung einseitig sein.

Wie überprüfst du die Qualität deiner Erfahrung? Auch jemand, der eine andere tiefe Erfahrung macht vertraut wegen der Intensität des positiven Gefühls darauf, dass er Recht hat und könnte deinem Empfinden entschieden widersprechen. Wieso liegt er falsch? In der empirischen Wissenschaft werden immerhin Erfahrungen placebokontrolliert verglichen, um Ungereimtheiten zu entdecken. Wie machst du das?

Erfahrung oder Meinung? Viele haben eine Meinung, aber keine passende Erfahrung. Eine Erfahrung kann auch nicht richtig oder falsch sein. Sie IST einfach.
Und deswegen kann man sie niemandem aufdrängen. Eine Erfahrung ist u.a. deswegen sehr wertvoll, weil sie das Verständnis und die Nachvollziehbarkeit, z.B. von Erlebnissen der Klienten eines Psychotherapeuten, extrem erleichtert. Viele traumatisierte Menschen sind einfach nur dankbar, wenn überhaupt jemand da ist, der wirklich zuhört und, wenn es gut läuft, die Dinge auch verstehen und nachvollziehen kann. Und ein empathischer Zuhörer kann im weiteren Verlauf ein guter Wegbegleiter sein, wenn auch meistens nur für eine kurze Zeit. Und genau das macht einen guten Psychotherapeuten aus.
Um wieder näher zum Thema zu kommen: vor einer knapp zweistelligen Zahl an Jahren habe ich mich kurzzeitig in die Behandlung durch einen Psychotherapeuten begeben. Beim vierten oder fünften Mal bin ich im Rock dort aufgekreuzt. Aus reiner Neugier, um zu erfahren, wie die gute Frau das einordnet. Sie konnte damit überhaupt nix anfangen und wirkte etwas überfordert damit. Genau so, wie sie insgesamt sehr überfordert wirkte. Ich habe die Therapie wenige Sitzungen später beendet, nachdem sie mitten in der Sitzung den Satz "Von Ihnen kann ich viel lernen!" gesagt hat. Das hat mich zeitgleich entsetzt aber auch mit Stolz erfüllt. Das Angebot, die Plätze zu tauschen - ich auf den Sessel, sie auf die Couch - habe ich dann aber nur gedacht und nicht ausgesprochen  ;D
 
Viele Grüße,
Lars
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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #18 am: 31.10.2022 01:38 »
Ich dachte immer, das Therapeuten zuerst unvoreingenommen an Themen herangehen sollten, wenn ich bedenke, dass er nach eigener Aussage auch Jugendliche wegen Transsexualität als Patienten hat, dann stimmt mich das mehr als nachdenklich.

Cephalus
Du solltest weniger denken ;) Psychologen brauchen oft selber eine Psychotherapie. Bei den meisten könnte man meinen, die sitzen selber auf der falschen Seite und der Bekloppte ist der Normale von Beiden. Ich hatte mal einen Verwandten, der hat sich auch wegen irgendwas (ich glaube Hypochondrie) an einen Psychodoc gewandt hat. Als Egon (ich nenne den Verwandten mal so) aufgerufen wurde, saß er eine viertel Stunde auf dem Sofa im Zimmer des Psychologen. Bis es laut Buuuhhh rufte und der Vogel hinterm Schrank vorkam.  ::)
Und Egon erschrocken so "Sollen wir lieber die Plätze tauschen? Ganz dicht scheinen Sie nicht zu sein."


Offline Holger Haehle

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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #19 am: 31.10.2022 02:45 »
Richtig, eine Erfahrung kann auf den ersten Blick weder gut noch schlecht sein, denn sie ist ja nur Wahrnehmung. Aber die Wahrnehmung führt zu einem Eindruck, der dann schon sehr unterschiedlich trotz gleicher Wahrnehmung ausfallen kann. Da uns die Sinne von der Natur gegeben sind, damit ein Lebewesen erfolgreich in seinem Habitat leben kann, ist es schon wichtig, auch der Wahrnehmungsverarbeitung Beachtung zu schenken.

Leider ist es oft sogar so, dass schon die reine Wahrnehmung unterschiedlich ausfallen kann, weil das wahrnemende Organ unterschiedlich geeicht ist. Das zeigen Verkehrstauglichkeitstests, wo die Teilnehmer nach der Anzahl der Ampeln gefragt werden und tatsächlich unterschiedliche Angaben zur gleichen Filmsequenz machen.

Krass wird es, wenn Versuchspersonen eine politische Talkschow sehen und aufschreiben was sie gehört haben. Jeder schreibt etwas anderes auf. Hier haben wir es neben der selektiven Wahrnehmung obendrein mit einer Wahrnehmungsverzerrung (Confirmation bias) zu tun, die deutlich wird, wenn man das Aufgeschriebene mit der politischen Haltung der Versuchspersonen abgleicht. Die Leute lassen tendentiell das weg, was ihnen nicht politisch gefällt oder werden detaillierter, wenn es ihrem politischen Denken zusagt.

Wenn du dann mit dem Therapeuten die Plätze tauscht, kann es sein, das du tatsächlich mit deiner Erfahrung die therapeutische Kompetenz erweiterst, aber eventuell auch gleichzeitig reduzierst, weil andere Erfahrungen fehlen. Wir können nie alle Erfahrungen haben. Da sollte ein Psychologe wenigstens die Erfahrungen gesammelt haben, die Erfahrene in ihre Bücher geschrieben haben.

Offline Skirtedman

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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #20 am: 31.10.2022 03:58 »
Ich habe die Therapie wenige Sitzungen später beendet, nachdem sie mitten in der Sitzung den Satz "Von Ihnen kann ich viel lernen!" gesagt hat. Das hat mich zeitgleich entsetzt aber auch mit Stolz erfüllt.

Dieser Satz scheint wohl öfter zu fallen, als man vermutlich annimmt.

Ich kenne eine Reihe von Leuten mit Therapie-Erfahrungen, und da haben einige genau diesen Satz auch gehört. Der scheint wohl dann am ehesten zu fallen, wenn die Therapie aus Therapeutensicht anfängt anzuschlagen.

Vielleicht ist dieser Satz auch nur eine übliche, vielleicht auch therapie-beabsichtigte Floskel. Vielleicht aber auch ur-ehrlich gemeint.

Wer von einem Therapeuten Erfahrungen erwartet, der darf nicht vergessen, dass diese Fachkraft auch während seiner Tätigkeit Erfahrungen sammelt. Eigentlich sollte der Therapeut in und aus jeder geleisteten Sitzung dazulernen.

Insofern finde ich diesen Satz überhaupt nicht befremdlich, eher sogar sympathisch. Mir würde dieser Satz sicherlich auch sehr bedeutsam im Gedächtnis bleiben. Aber als ein Zeichen irgendwelcher Kompetenzschwächen des Therapeuten würde ich diesen Satz nicht werten.

Offline MAS

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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #21 am: 31.10.2022 08:24 »
Ich lerne ja auch von meinen Studierenden, denen ich ja eigentlich etwas beibringe(n soll), und das gebe ich dann auch zu.
Ich habe auch die Geschichte im Hinterkopf, in der sich ein Zen-Meister vor einem kleinen Kind verbeugt, von dem er gerade etwas gelernt hat. Meines Erachtens ist es ein Zeichen von Größe, von jedem etwas lernen zu können und das auch zuzugeben.

Hier in diesem Thread werden Wörter wie "Erfahrung" und "Wahrnehmung" verwendet. Beide Wöter, und auch andere wie "Empfindung", "Erleben" usw.  - nebst ihren Verbformen selbstvertändlich - sind nicht eindeutig, sondern werden von verschiedenen Menschen mit verschiedenem Sinn belegt. Wenn es sich um einen wissenschaftlichen Text handelt - was er ja hier im Forum nicht sein muss - müsste, wer sie benutzt, erklären, was er jeweils darunter versteht. Geht es um die körperliche Empfindung oder um die geistige Wahrnehmung, geht es um körperliche oder um psychische Empfindungen, usw.?

LG, Micha
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Online Lars

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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #22 am: 31.10.2022 11:51 »
O.K., ich habe den besagten Satz vielleicht zu sehr aus dem Kontext gerissen. In meiner Erzählung kommt nicht so ganz rüber, WIE sie diesen Satz gesprochen hat ...
 
Viele Grüße,
Lars
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Antw:Das Kleid und der Psychologe
« Antwort #23 am: 31.10.2022 11:54 »
Ja, Kontexte sind wichtig und das Wie einer Aussprache auch.

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