Auch neigen wir dazu historische Sachverhalte aus unserer Sicht des 21. Jahrhunderts zu betrachten. Diese Sichtweise stand aber z.B. den Menschen im Barock nicht zur Verfügung. So empfinden wir den barocken Adel als efeminiert, was sie aus Sicht der damaligen Zeit aber nicht waren. Was wir feminin interpretieren war damals für gehobene Männer absolut cool und supermännlich.
Für das niedere Bürgertum galt der Adel aber auch als feminisiert.
Auf dieser
Seite wird sogar unterstellt, dass Jungen von ihren Müttern in Mädchenkleider gezwungen wurden, auch wenn es nicht der Mode entsprach. Ob die damaligen Menschen den Adel und was er trug, als supercool und männlich empfanden, sind auch nur Spekulationen.
http://www.miarte.ch/mode-barock/Der Durchbruch der Hose an Frauen wurde durch verschiedene Strömungen lanciert und nicht allein durch Feministinnen. Eine entscheidende Rolle spielten auch die Veränderungen im Turnen.
Übungen, die im langen Rock geturnt und deshalb für Mädchen empfohlen werden konnten,
waren Frei- und Ordnungsübungen, Reigen sowie Hang-, Stemm- und Balancierübungen an
feststehenden Geräten. Die Devise war: Kopf oben, Beine unten und geschlossen.
Als sich der Übungskanon ausweitete, wurden die langen Röcke immer hinderlicher. Den Rock zu
kürzen, war aber nur beschränkt möglich, weil Konflikte mit den Moralvorstellungen
vorprogrammiert waren, sobald der Rocksaum über das Knie rutschte. Wie in anderen
Sportarten entbrannte auch im Turnen nach der Jahrhundertwende der Kampf um die Hose, die
die notwendige Bewegungsfreiheit garantierte, die aber auf energischen Widerstand stieß, weil sie
als Tracht der Emanzipation, der leichtlebigen Muse und des Mannweibsports galt. Angst vor der
Vermännlichung des weiblichen Geschlechts wurde sowohl von Frauen als auch von Männern
geäußert, wobei in den Argumenten der Männer das Bemühen, ihre privilegierte Stellung zu
verteidigen und die "Hosen anzubehalten", deutlich wird.
Eine Vorreiterrolle in der Hosenfrage spielte übrigens der 1893 gegründete Arbeiterturnerbund.
Eine Arbeiterturnerin erinnerte sich: Bald wichen "die weiten Pumphosen und die Turnbluse ...
einer weniger weiten Hose und einem eng anliegenden gestreiften Sweater. Ohne baumwollene
Strümpfe ging es jedoch nicht ... Als kurz vor dem ersten Weltkrieg die ersten mutigen
Turnerinnen ... strumpflos zum Turnen antraten, gab es wieder heftige Auseinandersetzungen, die
jedoch so endeten wie später der Streit: langes Haar oder Bubikopf? Was beim Turnen hinderlich
war, wurde weggelassen!" (Dierker/Pfister 1991, S. 29).
Als in den 20er Jahren immer mehr Beschränkungen und Hindernisse für Frauen im Turnen
wegfielen, nahm auch die Zahl der Turnerinnen kontinuierlich zu. So wurde auch in Sindlingen eine Mädchen- und Turnerinnen-Abteilung aufgebaut. Inzwischen war das Korsett auf
dem Müllhaufen der Geschichte gelandet, die Damen zeigten Bein, der Bubikopf war der "Dernier
cri" und das "Sportgirl" wurde zum Idol. Der Frauenanteil in der Turnbewegung stieg in der
Weimarer Republik auf ca. 20 % (Pfister 1988).
Nach dem zweiten Weltkrieg setzte dann eine kontinuierliche "Feminisierung" des Turnens ein. Die
Mitgliederzahlen im 1950 gegründeten Deutschen Turnberbund (DTB) stiegen von circa 900 000
Anfang der 50er Jahre auf über 4,5 Millionen 1997. Der Anteil der weiblichen Mitglieder wuchs
von 43 % Anfang der 50er Jahre auf 70 % heute.
Die Ursachen dieser Veränderungen können hier nur angedeutet werden. Sie stehen u.a. mit der
Entwicklung und Ausdifferenzierung der Gymnastik als typischer Frauenaktivität sowie der
Zunahme freizeitorientierter und zielgruppenspezifischer Angebote in Zusammenhang. Gleichzeitig
nahm die Attraktivität des Gerätturnens ab.
Mit der Veränderung der Angebote veränderten sich auch die Mitgliederstrukturen der
Turnvereine bzw. -abteilungen, d.h. die Zahl der Mädchen, der weiblichen Jugendlichen, aber
auch der älteren Frauen nahm und nimmt kontinuierlich zu, während sich das Interesse des
"starken Geschlechts" am Turnen langsam aber stetig verringerte. Mit den Veränderungen in der
Mitgliederrekrutierung wandelte sich dann das Image der Turnbewegung: Angebote, die sich
offensichtlich an Frauen richten, schreckten und schrecken männliche Jugendliche und Männer von
einer Teilnahme ab. Zudem gelang es bis jetzt nicht, die Bereiche Gymnastik/Aerobic, Fitness und
Gesundheit auch Jungen und Männern "schmackhaft" zu machen, obwohl für sie gerade
Aktivitäten im Entspannungs- und Gesundheitsbereich mindestens ebenso wichtig wären wie für
Mädchen und Frauen.