Gude Wolfgang,
ja, eine gute Frage.
Aus meiner eigenen Erfahrung mit meinem anerzogenen, parallelisierten Gefühl heraus würde ich sagen: Weil es ihm peinlich wäre.
Ich kenne das von mir, dass ich früher dieses Gefühl der Peinlichkeit hatte, wenn mich jemand für schwul oder trans hielt. Das Gefühl kommt daher, dass diese Gruppe von der Mehrheitsgesellschaft verachtet und ausgegrenzt wurde. Homosexualität war bis in die 1970er sogar ein Straftatbestand. Und auch wenn man sich rational dagegen wendet, ist man emotional doch so sozialisiert, dass man zwar beteuert, nichts gegen diese Menschen zu haben, emotional aber zu ihnen auf Abstand geht. Es ist ein uns anerzogener Sexismus, den wir als Gesellschaft ganz langsam überwinden.
Und ganz klar ist es nicht wertfrei, wenn ich sage, eine solche sexistische Einstellung sollte man eigentlich gar nicht haben. Wertfreiheit ist vielleicht bei einer wissenschaftlichen Erforschung angebracht, aber auch nur, um die Ergebnisse nicht durch die eigenen Werte zu beeinflussen. Gesellschaftspolitisch ist Wertfreiheit nicht angebracht.
Um Sexismus und auch Rassismus und ähnliche Einstellungen in sich zu überwinden, muss man sie erstmal in sich wahrnehmen und akzeptieren, dass sie da sind. Das ist eine Frage der Achtsamkeit. Und dann kann man beobachten, was sie mit einem machen, wie sie das Verhältnis zu andern Menschen beeinflussen, welche Gefühle ihnen gegenüber sie hervorbringen. Und wenn man dann merkt, dass sie das Verhältnis zu den Mitmenschen belasten, kann man sich daran wagen, sie zu überwinden. Am besten, indem man positive Erfahrungen mit den zuvor verachteten Menschen sammelt.
Du hast aber recht, dass mein "man sollte" belehrend ist, und insofern Belehrung und Erziehung einen Eingriff in die Entwicklung eines Menschen bedeutet, ist sie nicht gewaltfrei.
Es ist aber vor allem ein Wunsch, den ich habe, dass wir Menschen solche Einstellungen andern Menschen gegenüber endlich überwinden. Es ist vor allem ein Stück Arbeit an sich selbst, insofern ein Stück Gewalt, sich selbst gegenüber. Jedes Training enthält diese Art von Gewalt. Jedes Lernen enthält es.
Und ja, reine moralische Belehrungen können auch das Gegenteil bewirken, nämlich dass der so belehrte sich verschließt und seine Position verhärtet.
Andererseits empfinde ich es als Pflicht, eine sexistische Äußererung in einem Gespräch, an dem ich teilnehme, nicht unwidersprochen stehen zu lassen. Sonst verbreiten sich solche Äußerungern wieder und werden wieder gesellschaftsfähig. Und irgendwann ist Homosexualität wieder strafbar. Das möchte ich gerne verhindern.
LG und habt alle einen schönen Tag!
Micha