Ja, Micha, die Biologie kennt eine Menge geschlechtlicher Varianten und zwar nicht nur im Tierreich. Und dabei haben wir noch gar nicht über den Hypothalamus im Hirn gesprochen, der sehr unterschiedlich gestrickt sein kann und die sexuelle Identität und Orientierung in einer Weise mitbestimmt, dass wir uns dem kaum widersetzen können. Wir entscheiden uns eigentlich nicht für das eine oder andere Geschlecht. Wir sind was wir sind. Deswegen kommen Transmenschen auch nicht mit ihrem genetischen Geschlecht klar. Wer die genetischen Umsetzungsmechanismen kennt, der versteht warum das so ist. Die Fachwelt ist sich daher über alle Disziplinen wie Genetik, Neurobiologie, Psychiatrie, Psychologie und Soziologie hinweg einig.
Deswegen ärgere ich mich ja über die manchmal sehr reduzierte biologistische Darstellung des Geschlechts auf das Geschlechtschromosom in den Parteien und Kirchen.
Gerade bei ultrakonservativen Menschen habe ich den Eindruck, dass sie das nötige genetische Wissen entweder nicht haben, oder bewußt unter den Tisch fallen lassen, um eine Ideologie oder "gottgewollte Ordnung" der Cis-Binäritat um jeden Preis aufrechtzuhalten.
Übrigens, bezüglich deines Beispiel bei Lurchen, lass mich noch ergänzen, dass auch alle menschlichen Embryonen Kiemenbögen bilden. Statt zu deren Ausdifferenzierung kommt es dann in Abwandlung der genetischen Vorlage durch Tagging aber doch noch zum Umbau in Gewebe für den Kehlkopf.
Interessant, lieber Holger! Ich habe mich mit dem Hypothalamus noch nicht beschäftigt.
Aber was konservatives Verhalten angeht, kann ich erklären, dass es - auch evolutionsbiologisch gesehen - deshalb weit verbreitet ist, weil es energiesparsamer ist. D.h. dass wir Menschen uns im Zuge des Erwachsenwerdens eine Art zu denken angewöhnen mit besimmten Inhalten, mit denen wir klar kommen, und diese dann beibehalten, solange keine schwerwiegenden Probleme damit auftreten. Solange sie uns also die Orientierung bietet, die wir brauchen, um zu überleben und uns ein für uns schlüssiges Weltbild und damit ein emotionales Wohlbefinden vermitteln, bewahren (konservieren) wir sie. Jedes Umdenken kostet Kraft und Energie und birgt das Risiko, die Orientierung und damit Überlebensfähigkeit zu verlieren. Deshalb wehren sich viele Menschen gegen Erneurer, Modernisierer, Weiterentwickler.
Die Erneuerer usw. gehen also immer das Risiko ein, von anderen Menschen abgelehnt zu werden. Das geht uns männlichen Rockträgern ja auch so. Erst wenn eine Bereitschaft, neu zu denken, in der Bevölkerung latent vorhanden ist, weil sich eine gewisse Unzufriefenheit mit alten Denkmustern zunächst oft unsausgesprochen entwickelt hat, stoßen Neudenker usw. auf Verständnis und Unterstützung. So geht es uns Rockträgern derzeit ja auch.
Aber grundsätzlich gilt auch, dass einfachere Weltbilder weniger Energie verbrauchen als komplexe. Ein Weltbild mit zwei klar voneinander abgegrenzten Geschlechtern ist deshalb energiesparender als eines mit vielen, die auch noch ineinander übergehen.
Jetzt kommt bei den poltischen Ideologen aber noch ein anderes Streben dazu: das nach Macht. Das kostet zwar auch viel Energie, aber manchen Menschen ist das so wichtig, dass sie bereit sind, diese aufzuwenden. Die sehen nun die Unzufriedenheit vieler konservativer Menschen, die ihr einfaches Weltbild in Gefahr sehen, durch Neudenker marginalisiert zu werden und dann selbst umdenken zu müssen. Diese Unzufriedenheit greifen sie auch und stacheln sie an, um selbst die Zustimmung der Konservativen zu bekommen und so an Macht zuzunehmen. Sie entwerfen selbst einfache Weltbilder, mit klaren Kategorien und darunter auch klaren Feindbildern. Das kann dann zu Katastrophen führen wie Pogromen an dem zu Feinden erklärten Menschen, zu Kriegen usw.
Deswegen ist es wichtig, die komplexeren Weltbilder, die der Wirklichkeit näher kommen als die einfachen, so zu erklären, dass sie verstanden werden. Wenn Menschen das Gefühl haben, etwas zu verstehen, fühlen sie sich in iher Sicherheit der Orientierung weniger bedrohnt und gehen den Ideologen nicht so leicht auf den Leim.
Und ich finde, hier im Forum machst Du das ganz gut. Zumindest meine ich, nach dem Lesen Deiner Beiträge, einiges besser zu verstehen. Allerdings sollte man darauf achten, die Menschen nicht gering zu achten, deren Verständnis noch nicht so weit ist, wie das eigene. Kaum einer wird gerne für dumm gehalten.
LG, Micha