Darum geht es letztlich. Jede Diskussion zu Stilfragen oder Grundsätzlichem zur Historie oder Philosophie des Rocks dient nur dazu den Weg zu bereiten, es dann auch zu tun. Die geistige Beschäftigung mit dem Thema ist eine mentale Konditionierung Bedenken und Ängste auszuräumen oder wenigstens in den Griff zu kriegen. Und das lohnt sich, denn Angst soll lähmen, damit wir nicht in unserem Sinne handeln. Angst dient immer dazu den Willen der Angstmacher durchzusetzen. Auch peinliche Empfindungen sind eine Form von Angst. Wir haben Konventionen so sehr verinnerlicht, dass wir in einer Art vorauseilendem Gehorsams, bei jedem Versuch mit Regeln zu brechen, in uns Gefühle aufsteigen sehen, die wir als peinlich beschreiben. Wird es intensiver, lähmt es unsere Handlungsfähigkeit, denn es sind die gleichen Hormone beteiligt, die für Angst zuständig sind.
Als archaische Rudeltiere wollen wir es allen recht machen. Es ist das Prinzip genetisch fixierter archaischer Regeln, dass selbst ein durchdachter und als vernünftig erkannter Verhaltenswunsch nicht durchsetzungsfähig ist, wenn er archaischen Regeln widerspricht, weil das limbische System im Hirn, dass unabhängig vom Neocortex operieren kann, hormonell gegensteuert. Es braucht Training, durch regelmäßige geistige Beschäftigung und praktische Übungen, um den rationalen Hirnteil mit neuronalen Bahnungen zu stärken. So kann man dem emotionalen Zentrum Paroli bieten. Das praktische Rocktragen ist so wichtig, weil es konditioniert (psychologisch prägt). Denkt bitte daran, der Gegenwind gegen den Männerrock ist bei Leuten entstanden, die durch die Erfahrung konditioniert wurden, dass ausschließlich Frauen Röcke tragen.
Da Angst einen objektiven Blick auf eine Situation blockiert, fehlt eine differenzierte Sicht der Dinge. Letztere kann erst entstehen, wenn wir uns den Bedenken stellen und es immer wieder tun. Dann kommen wir zu Erfahrungen, die Barefoot Joe mal so beschrieben hat: „Ich habe irgendwann gemerkt, dass das ja gar nicht mein Problem ist, sondern deren Problem. Mein Problem war es, solange ich versucht hatte, in deren Klischees zu passen und es nach Möglichkeit allen Recht zu machen. Wir wollen eben von allen anerkannt werden, aber wenn wir versuchen, allen Anforderungen der anderen gerecht zu werden, bleibt ja nicht mehr viel übrig.
Ich habe mittlerweile gemerkt, dass ich ja gar nicht so oft anecke. Für jeden, bei dem ich anecke, gibt es mindestens einen, der das klasse findet, wenn jemand aus den Rollenklischees ausbricht. Unter dem Strich hat sich praktisch noch nie jemand negativ über den Rock geäußert, aber es gab eine ganze Menge positiver Rückmeldungen. Es spricht also überhaupt nichts dagegen aus seiner Box auszubrechen - außer den eigenen Ängsten. Die anderen finden das in der Regel sogar gut, weil sie sich das selbst nicht trauen.“
Aus Video-Auswertungen und Befragungen zu einigen Experimenten meiner Arbeitsgruppe wissen wir, dass etwa ein Drittel der Menschen, in deren Sichtfeld eine rocktragende Versuchsperson beim Flanieren durch eine Fußgängerzone war, diese nicht wahrnahmen. Ein weiteres Drittel zeigte allgemeine, offene und wertneutrale Neugier. Ungefähr ein Viertel zeigte sich leicht irritiert. Nur 5-8% waren schockiert. Sie drehten sich um oder starrten mit weiten Augen und offenem Mund der Versuchsperson hinterher. (Die Zahlen sind Näherungswerte, die variieren können je nach Ort und Zeit)
Es bleibt also eine Minderheit, die uns nicht mag und hinter der ganzen Angstmache steht. Ich hoffe ihr seht, dass es sich nicht lohnt, uns von einer Minderheit Angst machen zu lassen. Nur die Angst lässt uns eine Majorität gegen unseren abweichenden Dresscode vermuten. Wir neigen hier zu dem gleichen Fehler wie überall, wo mit Angst gespielt wird. So, wie auch derzeit eine ganze Religionsgemeinschaft wegen einer Minderheit durchgeknallter radikaler Spinner diskriminiert wird, so machen wir es auch unseren natürlichen Bekleidungsbedürfnissen schwer, weil wir Sanktionen fürchten von einer Gruppe, die genauer betrachtet, bei Weitem nicht die Mehrheit repräsentiert.
Rock an und raus an die frische Luft ist letztlich auch eine Chance. Denn da wo sich Leute outen als Freund oder Feind entsteht Klarheit und die Option unsere Beziehungen zu Kollegen und Nachbarn neu zu ordnen. Wer Seinesgleichen oder weltoffene Freunde sucht, der sollte unbedingt: Rock anziehen und an die frische Luft gehen!
Aber denkt auch an einen adäquaten Stil, der auf den ersten Blick deutlich macht worum es euch geht, denn da draußen seid ihr auch Botschafter einer Philosophie.